Jeden Advent cruisen Rollerfahrer weihnachtlich kostümiert durch Hamburg. Unsere Autorin findet so was peinlich - nun ist sie mitgefahren und war danach bestens gelaunt.
Von: Lena Frommeyer
"Du musst das mit allen Sinnen genießen", sagt Daniel Stolba, den Kopf zu mir herumgedreht. Ich klammere mich an seinen roten Mantel. Unter mir vibriert der Zweitaktmotor einer Vespa. Um mich herum stehen 20 kostümierte Rollerfahrer auf der Straße. Weihnachtsmänner und Engel, die mit dem Gasgriff ihrer Maschinen spielen. Ich bin beduselt von den Abgasen. Meine Zehenspitzen sind taub von der Kälte. Dann springt die Ampel auf Grün und wir fahren durch die Hamburger Innenstadt - grinsend, hupend und winkend.
Ich bin Teil eines Rituals. Jeden Sonntag im Dezember treffen sich die Mitglieder der Facebook-Gruppe Hamburg rollt! zur gemeinsamen Ausfahrt. Seit zwei Jahren. Jeder darf mitmachen. Einzige Vorraussetzungen: ein weihnachtliches Kostüm und ein motorisiertes Zweirad - egal ob Vespa oder Lambretta, egal ob 50 oder 150 Kubik. Organisiert wird die Veranstaltung von Sven Heyse und Marc Bauer. "Weil es eine lustige Idee ist und wir die Leute gerne zum Schmunzeln bringen."
Der zweite Advent ist mit einstelligen Plus-Temperaturen ein guter Tag zum Rollerfahren. Am Wochenende davor sind bei minus zwei Grad nur acht Leute zum Treffpunkt an der Alten Rinderschlachthalle gekommen. Heute knattern 17 Weihnachtsmänner, eine Weihnachtsfrau und zwei Engel heran. Lichterketten, Schleifen und Rentiergeweihe aus Stoff zieren ihre Roller - sie sind vor allem mit klassischen Vespas gekommen, die mit den breiten Hinterbacken und Scheinwerfer-Kullerauge.
Die rollenden Engel haben große Flügel und Heiligenscheine. Die Weihnachtsmänner tragen rote Mäntel, weiße Bärte und haben Mützen über ihre Helme gestülpt. Einer von ihnen hat eine übrig und leiht sie mir. Mit Kreppband befestige ich sie an meinem Helm, den ich davor noch schnell mit tanzenden Eisbären beklebt habe. Die Zugabe aus einem Frauenmagazin.
Daniel Stolba, mein Fahrer, ist Filmemacher und hat einen echten Rauschebart. Der ist schwarz und erinnert eher an Knecht Ruprecht als den Weihnachtsmann, aber sei's drum. Der Name seiner Vespa: White Trash. Auf dem weißen Lack wachsen Rost und Moos. Ich setze mich hinter Daniel auf die schmale, kurze Sitzbank und klammere mich an ihm fest.
Im Korso tuckern wir durch die Schanze. Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn die Vespa beim Einkuppeln einen kleinen Satz nach vorn macht. Die anderen Fahrer winken bereits den Fußgängern zu, überholen sich gegenseitig, rufen "Ho, ho, ho!". Eigentlich finde ich Weihnachtsparaden ziemlich peinlich. Diese Guerilla-Version fühlt sich aber gut an. Leute jubeln uns vom Straßenrand aus zu und laufen uns hinterher. Selbst Kurierfahrer lächeln.
Kurzer Halt an der Reeperbahn. Wir haben zwei Fahrer verloren. "Bei einer Tour mit alten Rollern ist oft irgendwas. Einer bleibt immer liegen", sagt Daniel. Als wir wieder vollzählig sind, fahren wir in Richtung Elbe. Ich habe es noch nie erlebt, in Hamburg auf einmal so viel angelächelt zu werden. Als dann auch Obdachlose unter den Brücken an der Helgoländer Allee aufspringen und uns zujubeln, kann ich nicht anders: Auch ich beginne, zurück zu winken.
Weiter in die HafenCity. Der Fahrtwind kommt mir jetzt noch kälter vor. Meine Fingerspitzen versteifen. "Ich bin mal einen Winter durchgefahren", sagt Daniel Stolba an der Ampel. "Minus sieben Grad sind meine Schmerzgrenze." Wir nehmen die Unterführung am Hauptbahnhof. Im Tunnel wird geheizt. Ganz schön schnell, so ein kleiner Roller. Als wir wieder langsamer werden, erzählt Daniel, dass er früher Motorrad gefahren sei. "Dann wurde meine Frau schwanger und ich habe gedacht: Du kannst nicht als Vater durch die Gegend rasen."
Die Gruppe fährt den Jungfernstieg entlang und biegt in die Luxusmeile Neuer Wall ein. Wir spiegeln uns in den Schaufensterscheiben von Cartier und Gucci. Was sehen wir albern aus. Herren im Zweireiher und Damen im Pelzmantel klatschen. Geschenke-Tüten aus dem Alsterhaus rutschen dabei vom Arm. Handykameras sind auf uns gerichtet. Der Engel auf dem Roller neben mir wirft Luftküsse in eine Linse.
Zwischenhalt auf dem Weihnachtsmarkt am Jungfernstieg. Ich trinke mit dem Engel einen Punsch: Katinka Jorschik, 28 Jahre alt, auf St. Pauli lebend. Ihre schwarz glänzende Vespa PX ist mit Aufklebern geschmückt. "If I have to explain, you wouldn't understand", steht auf einem. Auf dem Kennzeichen klebt ein Kussmund. Katinka ist eine Bekanntheit in Hamburgs Roller-Szene: Beim diesjährigen Sommerfest von Hamburg rollt! wurde sie zum "Steilsten Zahn" gekürt. "Ich war die einzige mit Lederjacke, Pumps und rotem Lippenstift. Das Gesamtpaket hat wohl gestimmt", sagt sie.
Katinka Jorschick, 28, rollender Weihnachtsengel | © Lena Frommeyer
Katinka ist eines von über 400 Mitgliedern der Facebook-Gruppe Hamburg rollt!. Sven Heyse, der Gründer, sagt: "Ich wollte die Szene wieder etwas mehr bündeln, bin aber nicht so der Club-Typ." Er mag das Offene, das Unkomplizierte. Mit seiner RollerWerft bietet Sven auch außerhalb der Gruppe eine wichtige Anlaufstelle. Dicht an dicht stehen in seiner Werkstatt Zweiräder. Mal werden sie nur leicht repariert, mal komplett restauriert.
Hier, zwischen Vespa, Lambretta und Schwalbe, hat Katinka ihren Freund kennengelernt. Er machte ihre Vespa wieder fit. Seitdem sind die beiden als Duo unterwegs. Am Wochenende stehen oft Ausfahrten an — etwa zur Oldtimer Tankstelle Brandshof in Rothenburgsort: Im restaurierten Tankstellengebäude von 1953 trifft sich die Oldtimer-Szene samstags und sonntags zum Kaffeeklatsch.
Das Ziel beim Adventsrollern ist ein anderes. Nach dem Punsch am Jungfernstieg klettere ich wieder hinter Daniel auf die Sitzbank. Wir drehen noch eine Runde und fahren dann auf die Reeperbahn. Auf den Weihnachtsmarkt Santa Pauli. Zwei Mitarbeiter der Heilsarmee warten schon auf uns. Die Rollerfahrer haben in den vergangenen Wochen ihre Schränke nach für sie überflüssigen Kleidern durchsucht. Sie spenden sie nun für Obdachlose.
So endet der Ausflug. Mit Karma-Punkten — und mit einem weiteren Punsch.