Seit Wochen streiten wir über ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Nun erhält die Diskussion eine weitere Komponente: die Entschleunigung des Stadtverkehrs.
Auf Antrag der Koalitionsfraktionen setzen sich Politiker im Bundestag mit möglichen Maßnahmen für sicheren Radverkehr auseinander. Neben den von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bereits angekündigten Änderungen in der Straßenverkehrsordnung - etwa einem festgeschriebenen Sicherheitsabstand beim Überholen von Radfahrern durch Autofahrer - reichen CDU/CSU und SPD einen weiteren Vorschlag ein: flächendeckend Tempo 30 als Modellprojekt in deutschen Städten. Über die Sinnhaftigkeit der Maßnahme streiten Experten schon lange.
Wer schleicht, kommt auch schnell ans ZielDas Ziel soll sein, herauszufinden, "wie es sich auf den Straßenverkehr in Kommunen auswirkt, wenn ein generelles Tempolimit von 30 km/h angeordnet und nur auf Hauptverkehrsstraßen Tempo 50 zugelassen wird", schreiben die Abgeordneten.
Tatsächlich ist das bereits in einigen Städten Europas gelebte Realität:
Wollen die fast 28.000 Einwohner im französischen Bègles ihre Stadt durchqueren, dann geht das seit Juli 2019 nur mit einer Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde. Auch im österreichischen Graz darf man außerhalb von Hauptverkehrsstraßen nur 30 fahren. In Berlin gibt es ebenfalls Modellprojekte und den politischen Willen, diese noch auszuweiten. Stuttgart experimentiert derweil im Zuge des Luftreinhalteplans mit einem Limit von 40 km/h.
Bessere Stadtluft durch langsames Fahren?In Großbritannien gilt für mehrere Kommunen, etwa Portsmouth und Teile Bristols, ein Limit von 20 miles per hour auf den Straßen, was 32 Kilometern pro Stunde entspricht. Das britische Verkehrsministerium untersuchte die Auswirkungen der Maßnahmen, "Die Zeit" berichtete über die Ergebnisse. Demnach verbessert gemeinsames Langsamfahren den Verkehrsfluss und auch große Tempo-30-Zonen verlängern die durchschnittliche Fahrzeiten nur um 40 Sekunden.
Rückschlüsse auf Lärmemissionen und Luftqualität wurden nicht gezogen. Insgesamt ist die Datenlage in der Hinsicht eher dürftig. Das spielt den Kritikern von Tempo-30-Städten in die Karten. Laut einer Untersuchung des ADAC mache eine Verringerung der Geschwindigkeit die Luft in Städten nicht sauberer.
Tatsächlich ist Geschwindigkeit allein auch nicht der maßgebliche Faktor. Sehr wohl aber der Verkehrsfluss, also die Frage, wie oft Fahrzeuge anhalten und beschleunigen müssen. Denn dabei stoßen Fahrzeuge die meisten Emissionen aus. Wird der Verkehrsfluss durch Geschwindigkeitsbegrenzungen verbessert, kann die Tempo-30-Zone also doch zum Luftfilter werden.
40 Prozent weniger Unfälle durch VerkehrsberuhigungWas flächendeckend Tempo 30 sehr wohl bedeuten würde, ist mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Das belegt eine britische Studie: Nach Einführung von sogenannten 20 Miles per Traffic Speed Zones haben sich demnach die Unfälle über 20 Jahre um etwa 40 Prozent verringert. Weniger Unfälle mit Kindern und insgesamt weniger Tote oder Schwerverletzte wurden verzeichnet. Geschwindigkeit ist ein wesentlicher Faktor, wenn es um die Schwere von Verletzungen nach Kollisionen geht.
Entschleunigung für Mensch und MaschineAber es geht um noch mehr: Tempo 30 hat einen Einfluss auf die gefühlte Sicherheit im Straßenverkehr. Denn die sinkt in einem immer komplexer werdenden System aus Infrastruktur und Akteuren. Zwischen Radwegen, Busspuren, Bahnschienen und Straßen versuchen Autofahrer, Radler, E-Roller-Fahrer und Fußgänger den Überblick zu behalten. Etwas Entschleunigung täte da ganz gut.
Dass sich die Menschen im Verkehr immer unsicherer fühlen, ist auch daran abzulesen, dass sich Autofahrer in immer größeren Wagen verschanzen, quasi in fahrenden Sturzhelmen. Sie kaufen sich Sicherheit in Form von SUVs: Knapp 20 Prozent mehr Zulassungen vermeldete das Kraftfahrt-Bundesamt für 2019. Steigt das Sicherheitsgefühl auf deutschen Straßen wieder, schwenken vielleicht auch mehr Menschen auf das Fahrrad um, um Wege in der Stadt zurückzulegen. Das wäre doch was.