In deutschen Städten verkommen hübsche Einkaufsstraßen zu tristen Ladenzeilen. In der Hamburger Wandsbeker Chaussee will man sich bessern - doch zu wenige machen mit.
Von: Lena Frommeyer
Eilbek hat ein Problem: seine Einkaufsmeile. Die Wandsbeker Chaussee ist hässlich. Auf 1,8 Kilometern. Für die sechsspurige Fahrbahn stehen vernachlässigte Häuserfassaden Spalier. Dahinter bieten Einzelhändler ihre Ware in kleinen Geschäften an. Draußen buhlen sie mit Leuchtreklame um Aufmerksamkeit. 30 der 137 Ladenlokale stehen leer. Shisha-Lounges, Phone-Shops und Nagelstudios prägen das Straßenbild. Es ist ein ständiges Wechselspiel - zieht ein Nagelstudio aus, eröffnet eine Wellness-Lounge.
Renate und Peter Krack kennen noch die Zeit, als hier Gemüse-, Fischhändler und ein Schlachter verkauften, was die Anwohner zum Leben brauchten. In der dritten Generation betreibt das Ehepaar sein Juweliergeschäft an der Wandsbeker Chaussee 169. 1898 eröffnete der Laden. Heute kleben rote Schilder am Schaufenster: "Geschäftsaufgabe". Die Kracks gehen mit Ende 60 in Rente. Einen Nachfolger haben sie nicht gefunden. Der Abschied fällt schwer. "Es hat schon Tränen bei meiner Frau gegeben", so Peter Krack.
Das Paar kann viele Gründe dafür nennen, warum der einstige Stolz Eilbeks zum hässlichen Entlein verkommt. Zum einen sei da der Verkehr. "Als mein Großvater anfing, gab es nur Pferdefuhrwerke. Dann die Pferdestraßenbahn. Für die U-Bahn wurde viel Platz gebraucht. Später entwickelte sich der Autoverkehr rasant. Heute ist die Straße sechsspurig und es gibt kaum Parkplätze."
"Shisha-Café" ist zum Reizwort gewordenIgnoranz und Desinteresse sind weitere Sargnägel. Das Ambiente ist an einigen Abschnitten an Trostlosigkeit kaum zu überbieten. Die Straßenschilder stehen kreuz und quer. Unebene Gehwegplatten sind Stolperfallen. Es gibt keine Plätze zum Verweilen, für Klönschnack. Warum auch? Man würde sein eigenes Wort kaum verstehen. Abends ist die Straße tot. Bis auf den Verkehr. Es röhrt durch die Nacht, wenn Lamborghinis und R8 sich hier Rennen liefern. Peter Krack habe mit Polizei, Bezirksamt und Wegewart gesprochen. Viel passiert sei nicht.
An der Straßenseite gegenüber sitzt das Umzugsunternehmen Hirschberg, seit 20 Jahren. Auch Inhaber Thorsten Hirschberg ist verdrossen. Er ärgert sich über die Hauseigentümer in Eilbek. "Viele vermieten die Ladengeschäfte anders, als man sich das wünscht", sagt er und meint den unausgewogenen Gewerbemix. Eilbek hat heute keinen Schlachter mehr, aber gefühlt eine Wasserpfeife auf jeden zehnten Einwohner. Der Begriff "Shisha-Café" ist zum Reizwort geworden.
Nicht die fremde Kultur, sondern die Dopplungen im Angebot beklagen Unternehmer wie Hirschberg. Am Anfang der Wandsbeker Chaussee kommen auf einen Radius von 100 Metern drei bis vier Beautystudios. Ein anderes Beispiel: "Da, wo eine der vielen Shisha-Lounges ist, war früher ein Optiker", so Peter Krack. "Ich kenne den Hausbesitzer und habe ihm gesagt, er solle mal zusehen, dass da ein vernünftiger Mieter reingeht. Er meinte, dass sei ihm doch scheißegal. Und wenn ein Puff reinkommt und die bezahlen ordentlich, dann ist es gut."
Eilbek ist international geworden. Hier leben viele Zuwanderer. Dem Stadtteil steht sein multikulturelles Gesicht sehr gut. Es gibt eine deutsch-spanische Schule, asiatische, persische und afrikanische Lebensmittelläden. Im Sommer kommen diverse Nationen zu Grillfesten im grünen Eilbektal zusammen. Das alles sind tolle Ergänzungen zu lange gewachsenen Strukturen, wie das beliebte Otto’s Eiscafé oder dem Turnerbund. Wenn der Mix stimmt.
Weiter nördlich, in der Blumenau oder am Eilbekkanal, stehen die Stadthäuser. Hier wohnt es sich nobel. Früher gingen auch diese Bewohner in der Wandsbeker Chaussee einkaufen. Heute schlucken die Innenstadt oder benachbarte Einkauftempel wie die Hamburger Meile oder das Quaree ihre Kaufkraft. Das unattraktive Erscheinungsbild der Eilbeker Einkaufsstraße verstärkt den Effekt.
Manchmal kann man gar nicht so schnell hinschauen, schon ist ein Laden verschwunden. Innerhalb weniger Monate eröffnete und schloss ein Geschäft für bulgarische Kost im Eckhaus Nummer 170. Etwas weiter die Straße runter gab es bis vor Kurzem die Cinar Familienschlachterei, ein Geschäft mit Frischware: Fleisch, Fisch, Backwaren, Obst und Gemüse. Am Wochenende lag auch schon mal ein ganzes gehäutetes Lamm hinter der Theke. Für eine Familienfeier. Auch dieser Betrieb schloss nach etwa einem Jahr. An der Scheibe kleben noch die Fotos von Schafen und Kälbern.
Eilbek braucht Hilfe. Das hat nun auch das Bezirksamt Wandsbek erkannt. Die Behörde beauftragte das hier ansässige Büro raum + prozess sowie das Dortmunder Büro Stadt + Handel mit der Durchführung des Projektes "Impulse für Eilbek". Zusammen mit den Eilbekern sollen Entwicklungsperspektiven für die Wandsbeker Chaussee und den Stadtteil erarbeitet werden. Nach der ersten Bestandsaufnahme und öffentlichen Diskussion im September 2014 luden die Akteure Mitte November erneut zum Treffen in die Grundschule Wielandstraße.
Viele Bewohner, einige Eigentümer und wenige Einzelhändler kamen. Die Gastgeber präsentierten zwei Szenarien der möglichen Entwicklung: Nummer eins, der "Eilbeker-Dreiklang", konzentriert sich auf die Wandsbeker Chaussee. Sie wird in Entwicklungszonen aufgeteilt. Unter anderem soll um die U-Bahn-Haltestelle "Wartenau" eine neue Szene mit Gastronomie und kreativem Gewerbe entstehen. Die Haltestelle "Ritterstraße" wird zur Quartiersmitte – attraktiv für Familien mit Cafés und einem Wochenmarkt. Außerdem sollen zwei Spuren der Straße zurückgebaut werden.
Im Szenario "Kreativproduktion Eilbek" fördert man punktuell das "Hinterland" abseits der Wandsbeker Chaussee und hofft auf dessen Strahlkraft. Im westlicheren "Kiebitzquartier" wird die Ansiedlung von Dienstleistern gefördert. Weiter östlich entsteht ein neues Quartier für eine urbane Nutzungsmischung. Bei diesem Ansatz stehen Begegnungsstätten, bessere Fußwege und die Stärkung von Gewerbehöfen als Keimzelle urbanen Lebens im Vordergrund.
Beide Szenarien sorgen für Diskussionen. Über Kernpunkte ist man sich schnell einig: Eilbek brauche Mittelpunkte, einen Dorfplatz, ein Bürgerzentrum. Auch die Politik nutzt die Veranstaltung als Bühne. Olaf Duge, Mitglied der Grünen Bürgerschaftsfraktion und gebürtiger Eilbeker, betont, dass der Rückbau der Wandsbeker Chaussee auch Gegenstand des rot-grünen Koalitionsvertrages sei.Die Anwohner fordern schnelle Impulse, wie die Realisierung des Wochenmarktes an der Ritterstraße. Geschwindigkeit ist jedoch ein Stichwort, dass bei der Umsetzung solcher Projekte den wunden Punkt markiert. Geld ist ein weiteres. Das Projekt "Zukunft Bramfeld 2.0" etwa, das ebenfalls die Aufwertung eines Stadtteils im Bezirk Wandsbek betrifft, nahm vor 15 Jahren seinen Anfang und ist bis heute nicht abgeschlossen.
Viel wichtiger als jede Steuerung von außen ist der Impuls von innen. Die Zukunft der Wandsbeker Chaussee steht und fällt mit der Motivation der Anwohner und Geschäftsleute. Momentan beschränkt sich der Austausch und Zusammenhalt auf eine Interessengemeinschaft aus Kaufleuten, die bescheidene 13 Mitglieder umfasst und gelegentliche Stadteilgespräche.
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