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Verständigung - Reden statt lachen

„Wir sind ein Volk“? Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Zugegeben, die Idee eines deutsch-deutschen Austauschprogramms ist zunächst etwas für die Mundwinkel. Die Kalauer sind naheliegend. Man kann sich so drollig-triste Austauschprogramme wie Bielefeld-Bitterfeld vorstellen oder die Verbrüderung verspotteter Mundarten zwischen Schwaben und Sachsen ausmalen. Auch die Einwände, die gegen den Vorschlag des Präsidenten der Kultusministerkonferenz, Helmut Holter (Linke), vorgebracht wurden, sind nicht von der Hand zu weisen. Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), fand den Vorschlag „nicht mehr zeitgemäß“ (ob das dann ihr Amt noch ist, darüber schweigt sie freilich), da geografische Grenzen für Schülerinnen und Schüler heute kaum noch eine Rolle spielen würden. Auch Sachsen-Anhalts Bildungsminister Marco Tullner (CDU) sprach sich dagegen aus, da man keine „ideologischen Mauern“ aufbauen sollte, „wo keine mehr sind“.

Allein, so geeint ist die Republik dann doch nicht. In weiten Teilen Westdeutschlands, vielleicht vor allem im gut situierten Süden, ist der Blick auf den Osten immer noch ein herablassender. Vielleicht lacht man gleichzeitig über Kohls Wahnidee der „blühenden Landschaften“, aber: man lacht über die (teilweise ja nur ausgemalte) ostdeutsche Tristesse. Und man wertet ab. SED-Biografien sind für viele Familien, in denen die Urgroßväter nie über die Zeit an der Ostfront reden wollten, ein Kriterium der Diskreditierung schlechthin. In den Osten fahren? Da muss man erstmal drauf kommen.


Kein Volk, nur individuelle Geschichten

Und in Sachsen widerspricht derweil niemand, wenn ein Bürgermeister dem ehemaligen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) das Sächsischsein abspricht, da er ja Sorbe sei. Womit das Problem sich offenbart: das Diktum „Wir sind ein Volk“, das sich dann in den angeblichen Partypatriotismus von 2006 transformierte und gleichzeitig mordend durchs Land zog, ist immer eine Chimäre gewesen, die über die Unterschiedlichkeit der Menschen in diesem Land hinwegtäuschte. Der Volksbegriff wird da stark, wo die imaginierte Gemeinschaft die reale Gesellschaft überdeckt. Den vereinigten Volkskörper zu postulieren, reicht nicht aus, um die Einheit herzustellen. Im Gegenteil, je kleiner der Nenner – das „Volk“ – desto größer die Zahl derjenigen, die sich nicht darin wiederfinden, oder wiederfinden sollen.

Die Idee des Schüleraustauschs, der ins Ausland geht, war ja stets, historisch-politische Barrieren abzubauen. Im deutsch-französischen Austausch funktioniert das sehr gut. Der persönliche Kontakt löst das Phantasma von „dem Deutschen“ oder „dem Franzosen“ in reeller Erfahrung auf. Warum sollte das nicht auch innerhalb Deutschlands möglich – oder gar nötig – sein? Gewiss, für eine mobile, gebildete, junge Schicht von Leuten ist es längst normal, quer durch die Republik zu ziehen. Am WG-Tisch lacht man dann über lokale Eigenheiten oder streitet hingebungsvoll über sprachliche Differenzen. Doch das findet eben nur dort statt, wo Bereitschaft und Zahlungskraft ohnehin vorhanden sind. Dem einen institutionellen Rahmen geben – warum nicht? Ein deutsch-deutsches Jugendwerk? Dann merkt man recht schnell, dass es eben „den Deutschen“ nicht gibt. Kein Volk, keine Einheit – nur individuelle Geschichten, denen man zuhören kann.


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