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Wahlsieg mit Auflagen

Frankreichs amtierender Präsident François Hollande (r.) und sein Nachfolger Emmanuel Macron (l.) bei den Feierlichkeiten zum 8. Mai Foto: STEPHANE DE SAULTIN/AFP/Getty Images

Welch Symbolik: gestern Abend der Sieg gegen den faschistoiden Front National (FN), heute begeht Emmanuel Macron mit Noch-Amtsinhaber François Hollande die Siegesfeiern des 8. Mai. Und auch jenseits des geschichtsträchtigen Anlasses hat Macron derzeit Grund zu feiern: Im vergangenen Sommer wurde er noch belächelt, am Sonntag wird er der achte Präsident der Fünften Republik. Damals galt er als schriller Emporkömmling, als „chouchou" der Bourgeoisie, keinesfalls als ernstzunehmender Kandidat. Weniger als ein Jahr später stilisiert man ihn zum Retter der freien Welt.

Man kann es nun rauf und runter lesen: wie jung er ist (das jüngste gewählte Staatsoberhaupt Frankreichs, das viertjüngste derzeit auf der Welt!), wie dynamisch er ist ( En marche! heißt seine Bewegung) und welche Hoffnung er verbreitet (Ein Ja zu Europa, hurra!). Und es stimmt ja: Eine Zeit lang sah es so aus, als könnte sich Frankreich, das Mutterland der bürgerlichen Gesellschaft auf dem Alten Kontinent, von seiner liberalen Tradition verabschieden. Stattdessen sagt das Land der Aufklärung jedoch ja zur Vernunft, ja zu Europa.


Macron verdankt seinen Sieg den Linken

Doch Macron ist bewusst, wem er seinen Sieg zu verdanken hat. Nicht sein Programm, nicht sein bestimmt beeindruckendes Charisma haben den 39-jährigen in den Elysee-Palast befördert. Es waren seine politischen Gegner: die Linken, für die es schon eine Zumutung war, als „ihr" Präsident Hollande ihn zum Minister gemacht hatte. Das „Loi Macron" wurde zum Sinnbild der neoliberalen Politik Hollandes. Das verlangt ihm Demut ab und die zeigte er bereits in seiner ersten Rede nach der Wahl: Er werde alles tun, um dem ihm geschenkten Vertrauen gerecht zu werden. „Ich werde euch dienen", versprach er den Franzosen.

Allerdings wird es mit Worten allein nicht getan sein. Denn Frankreich muss raus aus der Krise und dafür braucht es vor allem eines: Jobs. François Hollande hatte die Arbeitslosenrate zum Gradmesser seiner Präsidentschaft erklärt, Nachfolger Macron wird es ihm gleichtun müssen. Dabei ist die Befürchtung, er werde sich vor allem für prekäre Jobs - Stichwort „Uberisation" - einsetzen, bei dem Liberalen nicht unbegründet. „ Jeder Jugendliche in Frankreich muss die Ambition haben, Milliardär zu werden " - mit diesem American Dream à la française kann der ehemalige Rothschild-Banker vielleicht die Nachkommen des liberalen Geldadels begeistern, für die Millionen Modernisierungsverlierer klingen solche Sätze wie blanker Hohn. Präsident Macron muss nicht irgendwelche Jobs schaffen, sondern gute Jobs.


Aus einer Bewegung muss eine Partei werden

Dabei wird es auch darauf ankommen, mit wem er regieren wird. Denn Präsident wird er ab Sonntag zwar sein und auch seinen Premierminister kann er sich aussuchen. Doch im hybriden politischen System der Französischen Republik ist auch er auf das Parlament angewiesen und das wird am 11. und 18. Juni gewählt. Bis dahin muss Macron seine Bewegung „ En marche! " zu einer Partei machen. 255 Wahlkreise gibt es in Frankreich - er braucht Kandidaten. Die werden sicherlich auch aus anderen Parteien kommen. Denn Macron, der nie zuvor in ein Amt gewählt wurde, braucht die Unterstützung einiger „alter Hasen".

Die Erschütterungen, die das Erdbeben seiner Wahl dabei bei den beiden großen Parteien Frankreichs - Republikanern und Sozialisten (PS) - auslösen wird, könnten eben jenen Etablierten gefährlich werden. Insbesondere die PS droht, nach der 6-Prozent-Schlappe ihres Kandidaten Benoît Hamon und der Flucht eines Großteils der Wählerschaft zu Macron oder dem Linken Jean-Luc Mélenchon, bedeutungslos zu werden. Doch auch bei den Republikanern wird man nervös. Während Bruno Le Maire, ehemals Kandidat bei den Vorwahlen der Konservativen, sich schon bereit erklärte, mit Macron „zusammenzuarbeiten", verkündete die Partei, dass jeder, der für Macron antritt, ausgeschlossen werde. Und dann sind da noch der geschlagene FN und Mélenchon. Beide rechnen sich Chancen aus, in der Assemblée Nationale die größte Fraktion zu stellen.

Wie es auch ausgeht, es ist unwahrscheinlich, dass Macron am Ende eine „eigene" Mehrheit haben wird. Eher ist eine starke Fragmentierung der Parteienlandschaft zu erwarten und somit die Pflicht zur Zusammenarbeit. Das könnte Frankreich guttun. Sollte es tatsächlich gelingen, eine starke linke Fraktion aufzustellen, wird diese Macron stets daran erinnern können, wer seine Königsmacher waren. Eine starke FN-Fraktion schließlich könnte die „republikanische Front", also die vereinten demokratischen Parteien, disziplinieren.

Zuletzt ist trotz der ganzen Erleichterung nicht zu vergessen: 10,6 Millionen Stimmen für Marine Le Pen (ein Rekord) sind kein Detail der Geschichte. Nimmt man die 12 Millionen Enthaltungen (höchster Wert seit 1969) und 4 Millionen ungültigen Stimmen (noch ein Rekord) dazu, schrumpft Macrons Wählerschaft auf 43% der Wahlberechtigten zusammen.


Macron wird sich Berlin nicht unterwerfen

Die erst in der Stichwahl unterlegene Marine Le Pen hatte im Wahlkampf neben Migranten und Eliten vor allem ein Feindbild, das sie in der Fernsehdebatte mit Macron pointiert auf den Punkt brachte: „So oder so wird Frankreich von einer Frau regiert werden: entweder von mir oder von Frau Merkel." In Brüssel und Berlin sollte man da genau hinhören. Auch Macron weiß das. Seine Ankündigung, mit Deutschland eng zusammenarbeiten zu wollen, bedeutet nicht, dass er sich Berlin unterwerfen wird. Im Gegenteil: Berlin und Brüssel können und dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen. Diesmal ist es gut gegangen, doch wer weiß, wie es 2022 aussehen wird?

Emmanuel Macron feierte seinen Sieg vor der Glaspyramide des Louvre, deren Bau auf François Mitterrand zurückgeht. Nicht nur architektonischer Mut zeichnete den ersten sozialistischen Präsidenten aus, sondern auch große Skepsis gegenüber dem vereinten Deutschland. Er fürchtete die ökonomische Übermacht dieser „neuen" Deutschen. Zurecht, könnte man heute sagen. Doch die deutsch-französische Freundschaft ist stets der Motor europäischer Integration gewesen. Diese beiden Länder sollten sich ihrer Schicksalsgemeinschaft wieder bewusstwerden. Fürs Erste sei Emmanuel Macron und allen anderen die Erleichterung gegönnt. Doch dann muss es heißen: En marche, packt es an! Man wird ihnen auf die Finger schauen.

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