Thomas und Fabian Klar müssen ihre Buden am Breitscheidplatz nun wieder schließen. Die Corona-Krise macht sie perspektivlos
Thomas Klar ist überraschend gut gelaunt. Dabei muss er wegen der Corona-Regeln am Mittwoch seinen Glühwein- und Imbissstand am Breitscheidplatz schließen. Er befindet sich nahe der Gedächtniskirche, gegenüber des Einkaufcenters Bikini Berlin. Am Dienstag steht Klar neben seinen beiden Mitarbeitern. Er hilft, die Kunden zu bedienen, an diesem letzten Tag. Auf die Schließung angesprochen lacht er kurz und zuckt mit den Schultern. „Enttäuscht bin ich nicht, die Gesundheit geht vor", sagt er. Sorgen mache ihm vor allem die Perspektivlosigkeit nach dem Pandemie-Jahr 2020. Ob auch das kommende Jahr von der Ausbreitung des Virus überschattet werde, wann er wieder seine Bude auf Jahrmärkten öffnen könne, wisse er nicht, sagt Klar.
Kurz hatte Klar die Hoffnung, seinen Glühweinstand bis zum 10. Januar 2021 öffnen zu dürfen. Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf hatte eine Ausnahmeregel erlassen. Insgesamt 25 Weihnachtsbuden durften Schausteller durften demnach ab dem 2. Dezember 2020 in der Berliner City West aufstellen, unter anderem am Kurfürstendamm, am Breitscheidplatz und an der Wilmersdorfer Straße. Der Alternativplan sollte eine kleine Kompensation für die wegen Corona abgesagten Weihnachtsmärkte sein - für Schausteller und Kunden. Ordnungsstadtrat Arne Herz (CDU) wollte so „Weihnachten in Berlin sichtbar machen."
Doch die Hoffnung von Klar und anderen Schaustellern, ihre Buden wenigstens knappe sechs Wochen zu öffnen, erlosch am Sonntag. Nach einem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten wurden Regeln für einen strengen Lockdown erlassen. Viele Geschäfte - darunter Kleiderläden, Friseure und Elektronikgeschäfte - müssen demnach ab Mittwoch schließen. Auch Weihnachtsstände sind betroffen. Eine schlechte Nachricht für Klar. Auch an Weihnachten darf er keinen Glühwein verkaufen.
„Ich bin aber froh, dass ich wenigstens ein paar Tage öffnen konnte", sagt er. Er schaut nach rechts, ein junger Mann kommt auf ihn zu. Es ist sein Sohn Fabian Klar. Auch er betreibt einen Stand auf dem Breitscheidplatz, schräg gegenüber der Budes seines Vaters. Dort verkauft er Süßigkeiten mit seiner Freundin. Der Sohn wirkt betroffener als sein Vater, wenn er vom Lockdown spricht. Er sei „Schausteller mit Leib und Seele", die Schließung mache ihn traurig, sagt der 29-Jährige. Dabei zieht er etwas nervös an seiner Zigarette. Seit vier Generationen sind die Klars Schausteller. „Schon als Vierjähriger habe ich Weihnachten mit meinem Vater und meinem Opa in den Buden auf dem Breitscheidplatz verbracht", sagt Klar. An einen Heiligabend Zuhause könne er sich gar nicht mehr erinnern.
Während der vergangenen Tage sei es besonders schön gewesen, Stammkunden wiederzusehen, sagen die Klars. „Unsere Knackwurst mit Grünkohl ist legendär, dafür kommen die Leute immer wieder", sagt der Vater. Ein Großteil der Kunden, die an diesem Tag seinen Stand aufsuchen, sind ältere Menschen. Viele kennt Klar mit Namen. Man grüßt sich freundlich, redet miteinander. Ein alter Mann, der sich eine Wurst bestellt hat, sagt: „Das sind nette Menschen hier."
Die Glühweinstände waren in den vergangenen Tagen in Kritik geraten. Politiker warnten davor, dass Menschenansammlungen vor den Buden zu Corona-Neuinfektionen führen könnten. Einer der prominentesten Kritiker war SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD). „Glühweinstände unterlaufen unsere Kontaktbeschränkungen", twitterte er Anfang Dezember. „Das kostet zum Schluss Neuinfizierte und Tote. Dazu ist später noch Zeit, wenn wir geimpft sind."
Von Andrang vor den Buden am Breitscheidplatz könne in diesem Jahr jedoch keine Rede sein, sagt Klar. Er und sein Sohn hätten sehr wenige Kunden gehabt. Das liege auch daran, dass schätzungsweise 80 Prozent der Besucher des Weihnachtsmarkts an der Gedächtniskirche Touristen gewesen seien. „Die dürfen ja gar nicht mehr nach Berlin, also haben wir wenig Umsatz gemacht", sagt er.
So kommen auch an diesem Dienstag nur wenige Kunden, um ihre Wurst oder ihren Glühwein zu kaufen. Das liege wohl auch daran, dass viele vor dem Lockdown noch Weihnachtseinkäufe in Geschäften erledigen wollten, vermutet Klar. Tatsächlich bilden sich Anfang der Woche teilweise lange Schlangen vor den Läden am Kudamm, aber nicht vor den Weihnachtsständen am Breitscheidplatz.
Der Umsatzausfall bedrohe jedoch nicht die Existenz seines Geschäfts, versichert Klar: „Ein gesundes Unternehmen kann das überleben." Nun müsse er abwarten, ob er bereits an Jahrmärkten im Frühling teilnehmen darf - oder doch erst im Herbst. Auf dem Breitscheidplatz stellt er seit über 20 Jahren regelmäßig seinen Imbissstand auf.
Er und sein Sohn haben während ihrer Arbeit als Schausteller schon vieles erlebt. So ist der Attentäter Anis Amri bei seiner Terror-Attacke auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche am 19. Dezember 2016 mit dem Lkw auch in den Stand von Fabian Klar gefahren. Elf Besucher des Weihnachtsmarktes starben bei dem Attentat, 67 wurden zum Teil schwer verletzt. Sein Sohn sei nicht verletzt worden, sagt Klar. „Aber wir mussten danach beide eine Therapie machen. Wir waren traumatisiert", erklärt er. Sein Sohn sagt, er habe dennoch nie mit dem Gedanken gespielt, die Schaustellerei am Breitscheidplatz aufzugeben. „Wir machen immer weiter", sagt er.