Das Biedersteiner Wohnheim in München ist bekannt für seine Partys - und für seinen Hausmeister Horst Volling, der bald in Rente geht. Im Interview erzählt er von feiernden Promis, illegalen Umbauten und seiner goldenen DJ-Regel.
SPIEGEL: Herr Volling, Sie sind seit bald 35 Jahren Hausmeister im Biedersteiner Wohnheim in München-Schwabing …
Volling: … erst mal: Ich bin der Horst. Vor zehn Jahren haben die Studenten angefangen, mich zu siezen. Klar, versteh ich, ich bin mittlerweile 65. Aber das Siezen finde ich ganz komisch. Ich bin mit allen per du und das darf auch gern so bleiben.
Zur Person
Horst Volling wurde am 31. Dezember 1958 in Münster geboren. Nach seiner Ausbildung zum Elektriker in Nordrhein-Westfalen kam er mit Ende zwanzig nach München. Aus einer spontanen Urlaubsvertretung für seinen Bruder wurde eine Lebensaufgabe: im Juli jährt sich sein Antritt als Hausmeister des Biedersteiner Wohnheims zum 35. Mal. Ende des Jahres wird er in Rente gehen.
SPIEGEL: Ok, also Horst. Du hast als Hausmeister Generationen von Studierenden durch die Unizeit begleitet, giltst als »gute Seele des Wohnheims«. Wie hält man das als Handwerker aus, 35 Jahre unter Akademiker:innen?
Volling: Ich glaube, ich war immer mehr als nur der Hausmeister. Ich war oft auch Lebensberater. Mit vielen bin ich immer noch in Kontakt, wir sehen uns auf dem Biedersteiner Sommerfest oder auf Geburtstagspartys. Letztens habe ich mit der Tochter eines ehemaligen Bewohners telefoniert. Sie hatte einen Kurzschluss in ihrer WG in Berlin und fragte mich nach Tipps.
SPIEGEL: Die Studierenden können also einiges von dir lernen?
Volling: Bestimmt haben sie was über Handwerk gelernt. Wie man ein Kabel verlegt, eine Glühbirne wechselt oder einen Abfluss reinigt. Viele lernen das daheim nicht mehr. Ohnehin: Ein paar Jahre im Wohnheim machen aus Studis selbstständige Leute.
SPIEGEL: Gibt es auch etwas, das du von den Studierenden gelernt hast?
Volling: Ich bin ja nicht nur Hausmeister, sondern gelernter Elektromeister, als solcher arbeite ich auch weiterhin. 1997 musste ich bei einem Auftrag Serverschränke verkabeln. Ich hatte keine Ahnung, wie das geht, das Internet war damals noch recht neu. Ein Bewohner meinte zu mir: »Horsti, das wird mal ganz groß.« Ich habe ihm geglaubt und mich mit seiner Hilfe reingefuchst. Das war eine gute Entscheidung.
»Als ich zum ersten Mal dort war, stand ein zerlegter VW-Bus im Garten. An einem Baum hing ein Banner mit Hammer und Sichel, auf einigen Balkonen lagen ausgefranste Matratzen.«
SPIEGEL: Das Biedersteiner Wohnheim hat in München Kultstatus. Wie bist du damals ausgerechnet dort an einem Job als Hausmeister gekommen?
Volling: Eigentlich wollte ich nur Urlaub in München machen. Mein Bruder war Hausmeister in einem anderen Wohnheim dort und zur selben Zeit verreist, ich konnte also in seiner Wohnung übernachten. Die einzige Bedingung war, dass ich ihn vertrete. Das war 1988, ich war damals 29. Nach zwei Wochen hatte ich mit jedem Wohnheimbewohner mal ein Bier getrunken und dachte mir: Schon cool, dieses Studileben. Mach das doch zu deinem Job – Party machen und nebenbei Hausmeister sein. Also zog ich mit meiner Familie von Münster nach München und nahm erst mal einen anderen Job als Hausmeister an. 1989 kam dann der Anruf des Studentenwerks: »Wir haben da was für Sie. Das müssen Sie sich aber erst mal angucken.«
SPIEGEL: Was meinte das Studentenwerk damit? Wie muss man sich das Biedersteiner Wohnheim zu der Zeit vorstellen?
Volling: Es war ziemlich wild! Als ich zum ersten Mal zum Vorstellungsgespräch dort war, stand ein zerlegter VW-Bus im Garten. An einem Baum hing ein Banner mit Hammer und Sichel und auf einigen Balkonen lagen ausgefranste Matratzen. Das Gelände hat mich erst mal abgeschreckt – bis ich die Dienstwohnung sah: ein kleines Haus für 248 Mark Miete. Das war perfekt.
SPIEGEL: Du warst damals nicht viel älter als die Studierenden im Wohnheim. War das kein Problem?
Volling: Eigentlich war das sogar ein Vorteil. Meine Ex-Frau und ich hatten damals einen dreijährigen Sohn, die Kinderbetreuung konnten wir uns mit einem anderen Pärchen teilen, das im Wohnheim wohnte. Manchmal haben auch die Studis auf die Kleinen aufgepasst, wenn wir alle vier unterwegs waren.
Hausmeister Volling beim Austauschen der Filter des Lüftungssystems: »Auch mal der Spaßverderber sein« Foto: Mayank Sharma
SPIEGEL: Auch eine Ikone der 68er-Bewegung, Uschi Obermaier, soll im Biederstein gewohnt haben.
Volling: Bis heute geht das Gerücht herum, Studenten hätten ein Streichholz gezogen, um zu bestimmen, wer mit ihr duschen gehen darf. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber das wurde immer beim Sommerfest erzählt.
SPIEGEL: Ist deine Beziehung zu den Studenten heute anders als vor 35 Jahren?
Volling: Klar, allein durch den Altersunterschied. Am Anfang war ich selbst noch ein halber Wilder. Der Münsteraner Hausmeister, der eine alte Karre fährt. Jetzt bin ich eher die gute Seele. Auf demselben Grundstück wohne ich aber immer noch, jetzt in einer Wohnung. Wenn die Studis abends am Lagerfeuer sitzen, rufen sie »Horst, komm her!«. Da setz ich mich immer noch gern dazu, bin ja der einzige zugelassene alte Sack da. Sonst halte ich mich aber zurück.
SPIEGEL: Hat sich die Kultur im Wohnheim in den vergangenen Jahren verändert?
Volling: Es ist weniger Kommune als damals. Früher konnten die Studenten viel mehr selbst bestimmen, wer einzieht zum Beispiel. Heute entscheidet das Studentenwerk. Damit kommen viele erst an einen Wohnheimplatz, wenn ihr Studium schon zur Hälfte um ist. Bis sie sich ans Wohnheimleben gewöhnt haben, müssen sie schon wieder ausziehen. Dadurch hat sich natürlich der Charakter verändert. Und wenn ihr eine ehrliche Antwort wollt: Die Studis sind unselbstständiger geworden.
SPIEGEL: Wie meinst du das?
Volling: Keiner will mehr allein die Verantwortung übernehmen. Früher gab es zum Beispiel nur einen Haussprecher, heute machen das immer zwei. Bis heute gibt es aber eine aktive Studentenkultur. Die Studis organisieren vieles selbst, ihre Faschingsfeste zum Beispiel. Da gibt es jetzt sogar Awareness-Teams, die nüchtern bleiben und sich um die Betrunkenen kümmern. Das finde ich wiederum sehr verantwortungsvoll.
SPIEGEL: Unter Faschingsfreunden ist der Biedersteiner Fasching weit über München hinaus bekannt. Was macht ihn aus?
Volling: Seit Jahrzehnten gibt’s im Wohnheim große Faschingsfeste. Der etwas exzessivere Kellerfasching und der schicke Atriumfasching. Beim Kellerfasching …
SPIEGEL: … dem Fest im Keller der Häuser 1 und 2 …
Volling: … herrscht Ekstase. Hunderte von Menschen feiern im Keller, da kommt man zwangsläufig ständig ins Gespräch. Beim Kellerfasching haben sich Liebespaare gefunden, die vielleicht noch heute zusammen sind. Eine irre Stimmung! Auch bei den Kostümen legen sich die Studis ins Zeug. Zwei kamen immer als Duo, als Aronal und Elmex. Einer kam mal als Duschkabine. An seinem Rücken war ein langer Stab befestigt, daran ein Duschvorhang. Für ein bisschen mehr Privatsphäre zu zweit auf der Tanzfläche wurde der Vorhang zugezogen.
SPIEGEL: Es heißt, dass beim Atriumfasching Berühmtheiten ein und aus gingen.
Volling: Es waren alle da. Hochrangige CSU-Politiker zum Beispiel, die zuvor mit ihren Dienst-Limousinen die Karten abgeholt hatten. War tatsächlich so! Meine Ex-Frau hat viele erkannt. Die haben dann eine Maske aufgesetzt und die Sau rausgelassen. Und heute reden sie wahrscheinlich über Moral und Sittlichkeit.
SPIEGEL: Auch du bist ein integraler Bestandteil des Faschings – als DJ. Wie passt das mit deiner Rolle als Hausmeister zusammen?
Volling: Seit 35 Jahren lege ich auf der Afterparty auf. Aber erst ab drei Uhr morgens. Vorher laufe ich noch mit meinem Rotmann rum, meiner roten Latzhose. Nicht als Kostüm, das ist Arbeitskleidung, ich bin ja im Dienst. Ab drei Uhr gehts dann richtig los. Ich bin meistens der, der am längsten da ist. Der am Ende das Licht anmacht. Wobei: Meistens braucht man da gar kein Licht mehr. Wenn du um 10 Uhr aus dem Kellerloch kommst, scheint draußen schon längst die Sonne.
»Ich lege nichts auf, wozu ich nicht selbst getanzt habe. Auf gute Übergänge habe ich noch nie großen Wert gelegt. Das Wichtigste ist die Stimmung.«
SPIEGEL: Hast du einen Tipp aus 35 Jahren DJ-Karriere?
Volling: Ich lege nichts auf, wozu ich nicht selbst getanzt habe. Auf gute Übergänge habe ich noch nie großen Wert gelegt. Das Wichtigste ist die Stimmung. Als ich in den 80ern noch Vinyl aufgelegt habe, waren am Ende des Abends die Papphüllen der Platten komplett durchgeweicht, die Luftfeuchtigkeit im Keller war einfach zu hoch.
SPIEGEL: Hausmeister bei Tag, DJ bei Nacht also.
Volling: Ja, das ist eine lustige Doppelrolle. Einmal hatte ich am Tag nach Fasching Bereitschaftsdienst und wurde wegen eines Rohrbruchs in ein anderes Wohnheim gerufen. Eine sehr verschlafene junge Frau öffnete mir die Tür und guckte mich verwundert an: »Der DJ vom Biederstein?« Ich antwortete: »Ne, der Hausmeister vom Notdienst.«
SPIEGEL: Du bist beim Studierendenwerk angestellt, das das Wohnheim verwaltet, und somit Bindeglied zwischen den Studierenden und dem Werk. Zerreißt dich das manchmal?
Volling: Auf jeden Fall. Natürlich muss ich auch mal der Spaßverderber sein. Manchmal bin ich aber positiv überrascht, wie schnell wieder aufgeräumt ist, wenn ich eine Ansage mache. Am Ende bin ich der Verantwortliche, wenn was passiert, wenn zum Beispiel im Fall eines Brandes die Flure nicht freigeräumt sind. Ich glaube, das ist mir heute bewusster als damals, als ich angefangen habe.
SPIEGEL: Du hast der »Süddeutschen Zeitung« erzählt, das Studierendenwerk habe dir vor Jahren verbieten wollen, dein Markenzeichen – die rote Latzhose – zu tragen. Zu unserem Interview hast du sie angezogen. Aus Protest?
Volling: Irgendjemand kam in der Verwaltung auf die tolle Idee, die Hausmeister-Uniform solle künftig schwarz sein. Stellt euch das mal vor, wie man da im Sommer schwitzt. Mich hat niemand gefragt. Ich trage meinen Rotmann einfach weiter.
SPIEGEL: Es war also nicht immer alles harmonisch?
Volling: Nicht immer. In 35 Jahren habe ich vom Studentenwerk zwei Abmahnungen bekommen. Die erste wegen Wäscheständern und Schuhen auf den Gängen – also Brandschutz. Die zweite wegen illegaler Umbauten, die ich angeblich nicht verhindert habe.
Mehr zum Thema
SPIEGEL: Illegale Umbauten?
Volling: Die Studenten wollten einen Bartresen für Fasching bauen. Ich habe ihnen ein paar Tipps gegeben, natürlich nur rein theoretisch. Ich war dann im Urlaub, ein Architekt und ein Fliesenleger kamen vorbei, und dann war der Tresen zufällig fertig, als mein Urlaub zu Ende war. Ich hatte davon natürlich nichts mitbekommen …
SPIEGEL: … natürlich …
Volling: … die Verwaltung konnte mir jedenfalls nichts anhaben. Die Abmahnung gab es trotzdem. Die Bar steht allerdings bis heute.
SPIEGEL: Das klingt nicht so, als würdest du etwas bereuen.
Volling: Das Ding hält bombenfest. Nur der Holzboden löst sich langsam auf. Den hat das Studentenwerk verlegt.
SPIEGEL: Du gehst Ende dieses Jahres, pünktlich zu deinem 66. Geburtstag am 31. Dezember, in Rente. Verlässt mit dir das letzte bisschen Revoluzzer-Energie das Wohnheim?
Volling: Nein, gerade jetzt regt sich Widerstand bei den Studis gegen die Pläne des Studentenwerks, das wichtige Elemente der Selbstverwaltung abschaffen will. Letzte Woche haben sie vor der Ludwig-Maximilian-Universität eine Demo organisiert, rund 200 Leute waren da. Sie kämpfen unter anderem dafür, dass sie weiterhin ihre Haussprecher in demokratischen Wahlen bestimmen dürfen. Und außerdem: So ganz gehe ich nicht. Ich wohne dann zwar nicht mehr auf dem Gelände, aber ich würde auch nächstes Jahr noch beim Fasching auflegen – wenn die Studenten mich dabeihaben wollen.
Das Interview ist im Rahmen eines Kurses an der Deutschen Journalistenschule entstanden, Mitarbeit: Chiara Dombek, Franka Hennes, Jannik Höntsch, Lea Hruschka, Phoebe Koppendorfer, Lukas Kram, Sara Rahnenführer, Mayank Sharma, Marc Tawadrous, Julia Wyrott