Wenn Donald Trump eine Pressekonferenz gibt, dann sehen wir seine Mimik. Seine Gestik. Seine Haltung. Wir sehen hinter ihm den Vizepräsidenten. Wir sehen seine Mitarbeiter. Das Podium. Die Flagge. Die große Show. Und all das ergibt ein Orchester des Wahnsinns - oder aber der Stärke, je nachdem, wie man dazu steht. Wenn wir aber nur die Tonspur anhören - dann wird dieses Ensemble wegreduziert. Ohne jede Ablenkung destilliert sich die Essenz dessen, was Trump zu sagen versucht. Und wir verstehen: "What???" Wie etwa hier, als Trump versucht zu erklären, warum er während der Riots vor dem Weißen Haus im Bunker war:
"During the day, and I was there for a tiny, little short period of time. And it was much more for an inspection, there is no problem during the day, and I go down, I've gone down two or three times, all for inspection. And you go there some day you may need it. But you go there and I went down, I looked at it, it was during the day, it was not a problem."
What the fuck did you just say?Sarah Cooper nimmt diese Tonspur - und spielt sie lippensynchron nach. Und erst durch ihre pointierte Mimik wird so richtig deutlich, wie shizophren das teilweise klingt, was Trump sagt. So als würden sich multiple Persönlichkeiten untereinander streiten. In Jump-Cuts mimt sie die verschiedenen Stimmen, die sich da, so scheint es, Wortgefechte im Kopf liefern. Und das ist so unfassbar komisch, dass diese Frau gerade völlig zu Recht den Fame bekommt, den sie verdient.
Sarah Cooper ist Comedy-Autorin und lebt in New York. Mit den Büchern "100 tricks to appear smart in meetings" und "How to be successful without hurting men's feelings" war sie bislang ein Geheimtipp bei uns. Der absolute virale Erfolg kam dieses Jahr mit ihren Lip-Synch-Videos auf Tik Tok und Twitter, wo sie mittlerweile über eine Million Follower hat. "Als Autorin versucht man ja, das Groteske auf die Spitze zu treiben", sagt sie in einem Interview mit The Guardian. "Aber bei Trump ist das alles nicht mehr nötig." Allein seine Antwort auf die Frage, was seine Lieblingsstelle in der Bibel sei, ist purer Jazz:
Wie der Corona-Lockdown ein neues Genre fördertNun haben diverse Länder dieser Welt neuerdings Politiker*innen, bei denen keine satirische Übertreibung mehr nötig ist, um sie zu parodieren. Das sagt mehr über den Zustand unserer Welt, als über den Zustand unserer Comedians. Aber mit der Corona-Krise kommt nun hinzu, dass Künstler*innen nicht mehr live auftreten können.
Was tut man also, mit dem Smartphone im Lockdown? Mit Politiker*innen die wirres Zeug reden? Nun: Die Show geht weiter. Und die Not fördert ein neues Genre: Das bloße Mimen des Gesprochenen. Denn der Comedian hat seit Corona kein optisches Ensemble mehr. Kein Publikum. Kein Applaus. Keine Bühne. Keine Techniker für aufwändige Bilder. Der Comedian muss also in die Essenz gehen, in den Kern des Komischen. Entkleidet von allem, was gerade nicht da ist - und was eh nur ablenkt. Die nackte Rede des Politikers wird genauso nackt und minimal in Szene gesetzt. Es ist die doppelte Essenz des Wahnsinns.
Verbale Autounfälle in ZeitlupeDas muss man können. Sarah Cooper kann das. Ein anderer, großartiger Mime des Wahnsinns ist Michael Spicer. Seine One-Man-Show im Netz heißt " The room next door".
Der englische Schauspieler und Autor Michael Spicer lebt in Ashford, und produziert seine Videos ganz minimalistisch von daheim aus. Vor der Corona Krise hatte er seine kurzen Clips im Netz schon etabliert - mit über 40 Millionen Klicks auf Twitter. Es begann im Juni 2019, als Spicer ein Interview mit Boris Johnson sah, in dem der darüber sprach, wie gerne er aus Weinkisten Modelbusse nachbaut. Naturgemäß war das Interview ein einziges Desaster. Und die Idee zu "The room next door" wurde geboren.
Denn bei all den unzähligen, peinlichen Pressekonferenzen und Interviews von Politiker*innen mag man sich fragen, wie es eigentlich der Person in der Regie dabei geht. Die im Nebenraum mit Headset auf dem Kopf dem verbalen Autounfall beiwohnen muss. Und die mit panischen Regieanweisungen zu retten versucht, was sie noch retten kann.
Dieses Bild setzt Spicer wunderbar in Szene. Und knöpft sich dabei nicht nur Politiker*innen vor, sondern auch andere Würdenträger*innen, die jegliche Würde vermissen lassen. Wie etwa hier, als sich Prinz Andrew in einem Interview um Kopf und Kragen redet, nachdem seine Verbindungen zum Epstein-Skandal aufgedeckt wurden:
Wie bei Sarah Cooper ist auch bei Spicer die Tonspur die Essenz des Wahnsinns. Durch seine fiktiven, verzweifelten Regieanweisungen werden die gesprochenen Statements gespiegelt und auf das reduziert, was sie mitunter sind: Der totale Nonsense. Und durch Spicers Interpretation des Aufnahmeleiters kommt bei ihm noch die Tragik als zweite Ebene hinzu. Die Tragik derer, die Andere gut aussehen lassen müssen - und an dieser Aufgabe komplett verzweifeln.
Das Unbehagen, die Verwirrung, die Fremdscham - Sarah Cooper und Michael Spicer bringen diese Gefühle wunderbar auf den Punkt. Ihre nackte Inszenierung der verbalen Autounfälle ist mit das Lustigste, was Comedy derzeit zu bieten hat.