Flöhe und Läuse im verfilzten Fell, klamme Schlafplätze und zu Mittag Aas oder Müll - das würde streunenden Hunden drohen, gäbe es nicht Einrichtungen wie das Tierheim München. HALLO-Volontärin Laura Pettenkofer hat Tierpfleger Mario einen Tag lang begleitet.
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Ein Kläffen, ein Husten, ein Bellen, ein Heulen - in verschiedenen Tonlagen. Die Wände tragen das Bellen fort, die Kacheln werfen den Schall zurück. Mario ist den Lärm gewohnt, er ist der Pfleger der Hunde und trägt bunte Ohrstöpsel. Er ist der einzige Pfleger im Hunde-Rondell. Ein Hundehaus, die Zwinger sind im Kreis angeordnet. Durch die großen Fenster fällt Licht und trotzdem ist es eisig.
Der Mitte Dreißig-Jährige hat schulterlanges, braunes Haar und hat trotz der Kälte eine kurze Hose und das T-Shirt an, das alle Tierheimmitarbeiter tragen. Es ist schwarz und in gelber Schrift steht „Tierheim München" darauf. Darüber das Logo - der Kopf eines Hundes, einer Katze und eines Hasen.
Tagsüber sind die Hunde sein Lebensinhalt. Nach Feierabend versucht er das Schicksal eines jeden Hundes im Tierheim zu lassen. „Wenn ich privat mit meinen drei Hunden raus gehe, bin ich froh, dass ich meine Ruhe habe und keine Fragen über Hunde beantworten muss", erzählt er, während er den Hunden das morgendliche Mahl in den Zwinger schiebt. Mahl deshalb, weil die Hunde kein normales Trockenfutter bekommen. Darauf achtet der Hunde-Liebhaber und erklärt: „Trockenfutter ist auf Dauer eine Art Fast-Food für die Hunde." Deshalb bekommen sie klein gedrechselte Karotten, Äpfel und Gurken, dazu Reis und Fleisch, manchmal gibt es Herz oder Nieren. Als er die Tür der Zwinger öffnet, drängen sich die Hunde ihm entgegen und springen an ihm hoch. „Nein, sitz! Sie müssen nicht viel machen. Aber das verlang ich von ihnen", erzählt Mario, während er die silbernen Näpfe in die Zwinger schiebt. Das laute Gebell verstärkt die Euphorie. Die anderen Hund stehen hechelnd und in freudiger Erwartung hinter den Gittertüren. Die Rute wedelt hin und her. Die Augen weit offen. Doch nicht alle warten auf die Fütterung. Manche Hunde lässt das Geschehen kalt. Sie liegen in ihren Körbchen, nur ein Ohr zuckt. Der Futternapf bleibt unberührt. Der Tierpfleger ist aufmerksam und bemerkt das, setzt sich zu ihnen auf die an manchen Stellen von einer Heizung gewärmten, braunen Fliesen: „Na Kleine, was ist los?" Als er zurück auf den Gang möchte, winseln sie.
Durch die Glastür linst eine Frau. Graue Haare, Kurzhaarschnitt, sie lächelt. Die erste Gassigeherin an diesem Tag. „Sie kommen nicht ins Haus, das wäre zu viel Unruhe für die Hunde". Ein zweites Augenpaar taucht an der Tür auf. Die Damen ratschen. Tauschen sich über die Hunde aus.
Viele der ehrenamtlichen Helfer kommen jeden Tag oder mehrmals die Woche, bei Wind und Wetter, bereits seit Jahren. Eine von ihnen ist Evi Zeitler. Mario übergibt ihr Dackel Tobi und sie beginnt ihre gewohnte Runde. Zuerst auf die Wiese vor dem Haupthaus, dann weiter auf die Straße, den Bürgersteig entlang. „Wenn ich Urlaub habe und wegfahre, denk ich mir schon immer, oje, jetzt kann ich ja gar nicht zu den Hunden. Ehrlich gesagt ist das hier ist wie eine Sucht, aber auch ein toller Ausgleich zu meiner Arbeit im Büro", schwärmt sie. Vor Jahren hat sie einen Bericht über eine Gassigeherin des Münchner Tierheims im Fernsehen gesehen und war sofort von der Arbeit fasziniert. Kurz darauf änderten sich ihre Arbeitszeiten und die 47-Jährige hatte mehr Zeit, die sie sinnvoll nutzen wollte. „Dann bin ich ins Tierheim gefahren und hab mir das Ganze mal angeschaut", erzählt sie, als sie an einer roten Ampel stehen bleibt. Es regnet in Strömen, aber Zeitler ist vorbereitet. Sie trägt ein rot-blaues Regencape, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Trotzdem kleben ihr die nassen, braunen Haare, die ihr bis zur Schulter reichen, im Gesicht. Den Hunden ist der Regen egal, der hellbraune Dackel Tobi freut sich und springt an Evi hoch. „Du Lümmel", sagt sie und lacht. Auf ihrem Regencape sind Pfotenabdrücke aus Dreck, Evi Zeitler ist das egal. Als sie weiter über ihre Anfänge als Gassigeherin im Tierheim erzählt, presst sie die Luft hörbar aus den aufgeblasenen Wangen und seufzt: „Am Anfang war ich ziemlich geschockt von den Zwingern und wie laut es war. Aber ich habe von anderen gehört, wie toll es ist, dass manche Hunde auch erfolgreich vermittelt werden. Deswegen bin ich geblieben." Durch Pfützen geht es zurück zum Tierheim. Evi Zeitler versucht ihnen auszuweichen. Dackel Tobi läuft durch. Vor dem Hunderondell wird er mit einem Handtuch abgetrocknet. Kaum ist Tobi zurück im Zwinger, bringt Mario den nächsten Hund, die Runde beginnt von vorne.
An der Vergitterung der Gehege hängen auch die laminierten Informationszettel über die zu vermittelnden Hunden. Jack zum Beispiel, ein Mischling aus Schäferhund und Harzer Fuchs ist ängstlich, kennt keine Kinder und springt über Zäune. Er wurde wegen eines Auslandaufenthalts seines Herrchens im Tierheim abgegeben. 14 Jahre ist er alt und hat bereits eine Schwanzamputation durchgestanden.
Nachmittags sind die Häuser im Tierheim für Tierliebhaber geöffnet. Als die ersten Besucher durch das Hunderondell schlendern, gehen sie nicht nur von Hund zu Hund, sondern begutachten auch die vielen Fotos an den Wänden, auf denen bereits vermittelte Hunde zu sehen sind. „Ach, kuck mal ist der süß!" und „Schau, wie der schaut!", klingt es immer wieder durch das Haus. Manche Stimmen sind so hell, wie wenn manch eine ältere Dame mit kleinen Kinder spricht, andere flüstern ehrfürchtig, inmitten der Hunde, die keiner mehr wollte oder für die kein Platz mehr war. „Sie brauchen nicht viel, aber Liebe", hört man von einer Frau, die vor einem Zwinger kniet.
Später am Nachmittag betritt ein junges Paar, Anfang 30, das Haus. Sie haben einen kleinen, hellbraunen Pinscher dabei. „Für uns war sofort klar, dass es einer aus dem Tierheim werden wird." Sie waren schon siebenmal da und haben mit ihm geübt ins Auto einzusteigen „Das mag er nämlich nicht." Sobald der Pinscher sich in das Auto traut, darf das Paar den Hund mit in die Münchner Wohnung nehmen. Wieder ein Hund weniger, der das tägliche Mahl von Mario zubereitet bekommt. Wieder ein Platz mehr für einen der plötzlich kein schützendes Dach mehr über dem Kopf hat.
Laura Pettenkofer