Erik Brynjolfsson ist Direktor des Zentrums für E-Business am
Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Autor des Buchs The
Second Machine Age.
DIE ZEIT: Herr Brynjolfsson, Sie gelten weltweit als einer der prominentesten Experten in Sachen digitale Revolution. Ihre Stimme wird bei Google ebenso gehört wie beim Lunch mit Barack Obama. Und dennoch haben Sie sich einmal geirrt: Maschinen können nun auch Autos lenken. Das wollten Sie lange Zeit nicht glauben.
Erik Brynjolfsson: Ich dachte, dass diese Tätigkeit für einen Computer nicht möglich wäre, weil zu viele Informationen, wie visuelle Daten und Verkehrsregeln, verarbeitet werden müssen. Kollegen sahen das genauso. 2012 fuhr ich dann in einem selbstfahrenden Auto über den Highway 101 und war fasziniert.
ZEIT: Welche technische Entwicklung hat Sie noch erstaunt?
Brynjolfsson: Der schnelle Fortschritt der künstlichen Intelligenz im Bereich des "Deep Learning", Rechenverfahren, die sich grob an der Arbeitsweise des Gehirns orientieren. Neu ist, der Maschine nicht mehr Schritt für Schritt erklären zu müssen, was sie machen soll. Man stellt heute große Datensätze bereit, und die Maschine kann selbst Lösungswege finden. Sie kann Straßenschilder lesen, Sprache verstehen, sich in Räumen zurechtfinden, Musik empfehlen oder anhand von Röntgenbildern Krebs diagnostizieren.
ZEIT: Menschen werden immer häufiger ersetzbar. Wer wird die Digitalisierung überleben?
Brynjolfsson: All jene, die mit der Technologie eine Kooperation eingehen. Maschinen brillieren in repetitiven Routinearbeiten, Menschen sind kreativ und fähig, persönliche Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Gemeinsam sind sie ein unschlagbares Team.
ZEIT: Könnten Sie ein Beispiel für so eine Zusammenarbeit von Mensch und Roboter geben?
Brynjolfsson: Stellen Sie sich eine Krankenschwester vor, die sich um einen Patienten kümmert, seine Anliegen nachvollziehen kann und diese dann in ein intelligentes Computersystem eingibt. Dieses analysiert das Blut und stellt selbst eine Diagnose. Die Fähigkeiten von Mensch und Maschine ergänzen sich.
ZEIT: In Ihrem weltweit beachteten Buch The Second Machine Age warnen Sie: Ganze Branchen könnten ersetzt werden - Menschen wie Steuerberater oder Verkäufer werden ihre Arbeit verlieren.
Brynjolfsson: Die Hälfte der 500 umsatzstärksten Unternehmen in Amerika ist seit dem Jahr 2000 verschwunden, hauptsächlich wegen des Wandels hin zu einem digitalen Arbeitsmarkt. Es hängt alles davon ab, wie gut wir Menschen umschulen.
ZEIT: Wo werden neue Jobs entstehen?
Brynjolfsson: Arbeit mit großen Datensätzen ist gefragt. Gebraucht werden zum Beispiel Data-Scientists. Auch soziale Fähigkeiten werden noch wichtiger, Berufe, in denen motiviert, verkauft oder auf Menschen eingegangen werden muss - sei es der Beruf des Pflegers, des Coaches oder des Chefs. Maschinen sind nicht gut darin, persönliche Nähe zu schaffen. Menschen aus den Bereichen Kunst, Musik und Literatur werden bessere Voraussetzungen haben als je zuvor, weil sie mit ihrem Schaffen mehr Leute erreichen.
ZEIT: Das klingt nach einer Wunderwelt für soziale und kreative Menschen. Aber wie verdient man in dieser Welt sein Geld? Mit Musik und Kunst im Netz?
Brynjolfsson: Das Geld verteilt sich in der digitalen Wirtschaft nach dem Potenzgesetz. Wenige Superstars erreichen Millionen von Menschen. Sie haben viele Möglichkeiten, gut zu verdienen, zum Beispiel über Werbung oder Abonnements. Der Großteil aber erreicht nur wenige Menschen und verdient fast gar nichts.
ZEIT: In Ihrem Buch warnen Sie vor sozialen Spannungen ähnlich wie in der Zeit der industriellen Revolution. Das mittlere Einkommen steige seit 15 Jahren nicht mehr im selben Maße wie die Produktivität. Was läuft schief?
Brynjolfsson: Politiker und Wirtschaftsbosse versuchen immer noch, die Vergangenheit vor der Zukunft zu bewahren, anstatt die Zukunft vor der Vergangenheit zu schützen. In vielen Städten haben die Regierungen Onlinevermittler für Fahrdienstleistungen wie Uber, Lyft oder Didi Kuaidi blockiert, um den Beruf des Taxifahrers zu beschützen. Städte wie San Francisco aber haben erkannt, dass Uber oder Lyft dreimal mehr Jobs schufen, als es in der ganzen Taxi-Industrie der Stadt vor deren Einführung gab. Viele Politiker lehnen sich noch immer zurück, dabei sollten sie begreifen: Es läuft nicht mehr wie früher.
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