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Feature

Galaktische Trickkiste

Mit ihren Spezialeffekten haben die „Star Wars“-Filme Hollywood verändert. Doch bahnbrechende Digitaltechnik ist nicht mehr das Nonplusultra: Der Trend geht wieder zu Stoff, Latex, Holz und Farbe, um die perfekte Illusion zu erzeugen.

Das Chaos in der Halle ist gigantisch, pralles Hollywood wie von vorgestern: Kleinwüchsige, die in großen grauen Boxen stecken, laufen auf klobigen Roboterbeinen herum. Haushohe Geschütztürme stehen hier und da. Auf den ersten Blick erbaut aus verrostetem Metall – in Wahrheit aus Holzlatten und Pressspanplatten. Und hinten, in der Ecke, zoomt ein Objektiv auf eine kleine Kugel mit Flügeln in T-Form – die in einem Sandkasten liegt.
Von wegen, „Star Wars“ ist ein einziges Hightech- Spektakel. Die „Practical Effects“, handgemachte Spezial- effekte, feiern ihr Comeback. Das sorgt gerade bei älteren Filmfans für leuchtende Augen: In Zeiten, in denen Filme wie „Avatar“ und „Warcraft“ fast komplett am Computer entstehen, setzt „Star Wars“, die Mutter des Kinospekta- kels, wieder auf die gute, alte Tricktechnik.
Wie damals, beim ersten Teil der Reihe. Nachdem Autor und Regisseur George Lucas grünes Licht für das Projekt „Krieg der Sterne“ bekommen hatte, gründete er im Mai 1975 ein eigenes Effektstudio, das seine irrsinnigen Ideen umsetzen sollte. Industrial Light & Magic (ILM) fand seine Heimat in einem alten Lagerhaus in Van Nuys, Los Angeles, nahe dem Airport. Auf 2500 Quadratmetern sollte dort ein Universum entstehen. Die Spezialisten waren Künstler, Techniker, Studenten. Durchschnittsalter: Ende 20. Ein Team aus Träumern.

„ALLES EIN TRICK. UND WIR SIND DIE ZAUBERER“
Genau das brauchte es. Denn es mussten Effekte kreiert werden, die es bislang nicht gab. Ironischerweise bedien- ten sich die ILM-Mitarbeiter dafür einfachster Methoden: Auf Glas- und Pappwände malten sie Wüstenpaläste, Eisebenen und Waldmonde, die später als Hintergrund für die in der Wüste von Tunesien, auf den Gletschern von Norwegen oder vor den Mammutbäumen von Kalifornien gedrehten Szenen dienten. Lebensgroße Gleiter wurden auf Schienen geschoben, mit Spiegeln an der Unterseiten, die die Umgebung reflektierten und sie schweben ließen. Beleuchter klammerten sich an Cockpitbauten und brachten sie zum Wackeln. Für das Spiel des Jedi-Meisters Yoda kroch „Muppets“-Macher Frank Oz über Wochen unter einem aufgebockten Set hindurch.
Puppen, Malereien, künstliche Orte: All diese Filmtechniken waren schon damals uralt. Aber so geballt und mit dem rasanten Schnitt sowie der faszinierenden Story entfalteten die Effekte eine ungeahnte Wucht. Das ILM-Team erdachte geniale Tricks: Ein Jahr lang tüftelte der Sound- Designer Ben Burtt an Tönen, die es in unserer Galaxis nicht gibt. Zumindest scheinbar. Chewbaccas Brüll- und Knurrlaute mixte er aus Lauten von Hunden, Tigern, Bären und Walrossen zusammen. Die Bieps und Bubs von R2-D2 sind in Wahrheit Babygebrabbel, vermengt mit Synthesizerklängen. Für Darth Vaders schweres Atmen montierte Burtt ein Mikrofon in den Atemregler eines Tauchgeräts. Und für Lichtschwerter und Blaster nahm er summende Bildröhren, surrende Projektoren oder Hammerschläge auf Stromleitungen. Ein organ scher Sound. Überirdisch. Aber doch vertraut.
Auch das „Kitbashing“, das wahllose Zusammensetzen handelsüblicher Modellbausätze, war in diesem Ausmaß neu: Für die Nahaufnahmen des Todessterns wurden Sets für Flugzeuge, Panzer, Autos und Brücken zu einer zwölf mal 24 Meter großen Platte zusammengeschustert. Dann ogen Kamerakräne über die Gräben, Turbolaser und Funktürme, während ringsum X-Flügler an Drähten entlangsurrten und mit Böllern in die Luft gejagt wurden. Ein Knaller. Revolutionär. Filmmagie. George Lucas sagte es so: „Es ist alles ein Trick. Und wir sind die Zauberer.“
Mit „Star Wars“ schrieb ILM Kinogeschichte – und war fortan federführend bei Special Effects. Im Lauf der Jahre gewannen die Tricktechniker 15 Oscars, unter anderem für „Jurassic Park“, „Terminator 2“ und „Fluch der Karibik“. Lucas setzte bald voll auf Computer, um seine Sci-Fi-Welten zu visualisieren. Für die zweite „Star Wars“-Trilogie drehte er Tausende Einstellungen vor blauen und grünen Leinwänden, an deren Stelle er später Planeten voll riesiger Pflanzen, Aliens mit meterlangen Hälsen und Klonarmeen hineinpixeln ließ. Die Zukunft des Films heißt Digitaltechnik, davon war Lucas damals überzeugt. Aber bald be- klagten viele Fans die seelenlosen Effektorgien. Lucas habe verlernt, die Leute ins Staunen zu versetzen, hieß es. Und als er Lucas lm 2012 an Disney verkaufte, bangten viele um das Erbe ihrer Kindheit. Doch dank der Produzentin Kathleen Kennedy und des Regisseurs J. J. Abrams mit seinem Faible fürs Retro-Kino, er- wiesen sich diese Ängste als unbegründet.
Für „Das Erwachen der Macht“, den Auftakt der dritten Trilogie, besannen sich die beiden auf die Gründerjahre von ILM. Zwar ohne Kartoffeln an Drähten, die Meteroiten doubeln. Aber Hunderte Kreaturen sind von Hand gefertigt. Der rotierende Roboter BB-8 funktioniert vollmechanisch. Die Soldaten sind nicht mehr aus Nullen und Ein- sen, sondern aus Fleisch und Blut, man sieht Staub und Schweiß an ihren Rüstungen. Feuern die Filmkomparsen ihre Gaspistolen ab, haut es sie fast von den Füßen.

EINE GALAXIE ZUM ANFASSEN
Die Zahl der Szenen, die nur am Rechner entstehen, hält sich in Grenzen. Und das ist gut so. Manchmal nämlich fühlt es sich einfach richtig an, wenn man jede Niete auf dem Raumschiff sieht. „Irgendwas tief in uns weiß, wann etwas real ist“, sagte Neal Scanlan, Special Effects Su- pervisor bei ILM. „Es mag nicht ganz so überwältigend aussehen, aber wir akzeptieren es in unserem Herzen.“
„Star Wars“ setzt wieder Maßstäbe. Für „Die letzten Jedi“, der gerade im Kino zu bestaunen ist, baute man auf der irischen Insel Skellig Michael den Planeten Ahch-To mit riesigen Tempeln nach. Dort sollen die Hüter der Gerechtigkeit vor Jahrtausenden ihren Orden begründet haben. In Lehm und Stein, wie zum Anfassen. Und unten, auf den Klippen vor tosender Brandung, steht der Millennium Falke, die Schrottmühle, im Maßstab 1:1 – und plötzlich ist die weit entfernte Galaxis ganz, ganz nah.