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Berufseinstieg als Dolmetscherin: "Sprache schafft eine ganz besondere Verbindung"

Berufseinstieg als Dolmetscherin "Nur mit der richtigen Verdolmetschung können Menschen die Wahrheit erfahren"

Ihren Beruf hat Oleksandra Popek aus einem traurigen Grund gewählt. Nun hilft sie Menschen aus der Ukraine, durch die deutsche Bürokratie zu navigieren. Auch wenn sie sich dabei manchmal emotional abgrenzen muss.

Aufgezeichnet von Larena Klöckner

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Der Start ins Arbeitsleben ist aufregend, anstrengend - und oft ganz anders als geplant. In der Serie "Mein erstes Jahr im Job" erzählen Berufseinsteiger:innen, wie sie diese Zeit erlebt haben. Diesmal: Oleksandra Popek, 24, arbeitet seit Juni als Dolmetscherin im Landratsamt Dachau.

Mein erstes Jahr im Job

Alle bisherigen Folgen von "Mein erstes Jahr im Job" finden Sie auf unserer Serienseite. Sie haben Ihren Berufseinstieg selbst gerade hinter sich und möchten uns davon erzählen? Dann schreiben Sie uns an SPIEGEL-Start@spiegel.de .

"Auch wenn ich den Beruf heute liebe: Dolmetscherin bin ich aus einem tragischen Grund geworden. Mein Papa ist 2016 bei einem Autounfall in Deutschland verstorben. Ich studierte zu der Zeit in Polen, meine Familie lebte in meinem Heimatland, der Ukraine. Nach seinem Tod hatten meine Familie und ich über eine Dolmetscherin Kontakt zu einem Arzt vom Deutschen Roten Kreuz. Dabei kam es zu einem schweren Missverständnis in der Verdolmetschung. Nur, weil ich später noch einmal selbst mit dem Arzt telefonierte - mit meinen damaligen Deutschkenntnissen - ist der Fehler aufgefallen.

Heute arbeite ich selbst als Dolmetscherin im Landratsamt Dachau. Für das Jobcenter übermittel ich Fragen zum Bürgergeld und begleite Gespräche in der Arbeitsvermittlung. Aufgrund meiner eigenen Geschichte weiß ich, wie wichtig eine richtige Verdolmetschung ist. Denn nur mit ihr können Menschen in entscheidenden Situationen die Wahrheit erfahren.

"Da gehören nicht nur die entsprechenden Vokabeln, sondern auch fachliche Inhalte dazu."

Ich wusste schon früh, dass ich etwas mit Sprachen machen möchte. Ursprünglich wollte ich in Polen Anglistik mit Deutsch studieren. Es war mein Papa, der damals den Impuls gegeben hatte, nur Germanistik zu studieren. Das klingt vielleicht seltsam, aber heute glaube ich, dass es so etwas wie Schicksal war.

Meine erste Erfahrung im Dolmetschen habe ich während meines Erasmus-Austauschs in Leipzig gemacht. Dort dolmetschte ich in einem Seminar simultan - also parallel, während jemand spricht. Anfangs hat das gar nicht funktioniert, denn es braucht wirklich viel Übung. Ich entschied mich, dranzubleiben. Und zwar in Deutschland. Schließlich lernt man eine Sprache am besten dort, wo sie täglich gesprochen wird.

Im Anschluss an meinen Germanistik-Master absolvierte ich einen Master im Konferenzdolmetschen in Heidelberg. Neben dem Dolmetschen sind wir in unterschiedliche Themengebiete eingetaucht. Von Wirtschaft und Politik über Medizin bis hin zur Automobilindustrie. Gerade wenn man in Konferenzen dolmetscht, ist es wichtig, sich in den entsprechenden Themengebieten auszukennen. Und da gehören nicht nur die entsprechenden Vokabeln, sondern auch fachliche Inhalte dazu. Es ist daher sinnvoll, sich auf einzelne Themen zu fokussieren. Bei mir sind es Politik und Migration.

Sprache schafft Verbindung

Nach meinem Studium entschied ich mich dazu, erst einmal nicht direkt in Konferenzen, sondern bei einer Behörde zu dolmetschen. Ich wollte wegen des Kriegsausbruchs im Bereich Migration tätig sein und die Stelle im Jobcenter erschien mir da passend.

Meine Arbeit wird stark durch den russischen Angriffskrieg geprägt. Ich habe täglich mit Menschen zu tun, die aus der Ukraine geflüchtet sind, was mich als Ukrainerin sehr erfüllt. Eigentlich habe ich im Studium nicht gelernt, ins Ukrainische zu dolmetschen. Meine Sprachen waren Russisch, Deutsch und Englisch. Doch aktuell werden überall Dolmetscher gesucht, die diese Sprache sprechen. Ich übertrage also aus dem Ukrainischen, Russischen und Polnischen ins Deutsche. Und aus dem Deutschen ins Ukrainische und Russische - manchmal auch ins Englische.

"Ihr Blick wird klarer, wenn sie in ihre Muttersprache wechseln - sie sind erleichtert."

Ein klassischer Arbeitstag beginnt bei mir um 7.30 Uhr. Vormittags bieten wir eine offene Sprechstunde zum Thema Bürgergeld an. Danach geht es in Einzelterminen um die Arbeitsvermittlung. Was vielleicht etwas trocken klingt, bringt mich mit Menschen in entscheidenden Lebenssituationen zusammen. Sprache schafft hier eine ganz besondere Verbindung. Wenn die Klienten mit mir auf Ukrainisch über ihre Anliegen sprechen können, ihre Fragen stellen und Sorgen und Ängste teilen, verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Ihr Blick wird klarer, wenn sie in ihre Muttersprache wechseln - sie sind erleichtert.

Emotionale Abgrenzung ist wichtig

In meinem Job geht es nicht nur ums Dolmetschen. Ich sehe mich auch als Integrationsberaterin. Ich erkläre, warum bestimmte Gesetze in Deutschland so sind, wie sie sind. Warum es hier bestimmte Regeln und Abläufe gibt. Man muss die Menschen an die Hand nehmen und vermitteln. So etwas kann ich nur, indem ich in bestimmten Situationen über die reine Verdolmetschung hinausgehe.

Die aktuelle Situation stellt mich auch vor Herausforderungen. Gerade am Anfang habe ich vieles, was ich gedolmetscht habe, nachempfunden. Ein sichtbaresMitgefühl ist aber nicht vorgesehen. Es gibt daher bestimmte Methoden, um Abstand zu gewinnen. Etwa nach Absprache in der dritten Person zu dolmetschen. Wenn ich nicht in der Ich-Form Geschehnisse wiedergeben muss, kann ich mich emotional leichter distanzieren.

Mehr Folgen von "Mein erstes Jahr im Job"

Beim Amt werde ich nach Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt - und bin damit zufrieden. Viele Dolmetscher arbeiten freiberuflich. Auch das kann ich mir in Zukunft vorstellen. Ich spreche schon jetzt mit erfahrenen Dolmetschern darüber, wie sie ihre Freiberuflichkeit aufbauen und wie viel Geld man für einen Auftrag verlangen kann. Oft findet der erste Austausch über LinkedIn statt.

Als Dolmetscherin kann ich in vielen verschiedenen Branchen arbeiten. Ich möchte mich etwa offiziell vereidigen lassen, dann kann ich beispielsweise vor Gericht dolmetschen. Generell ist mein Ziel, möglichst viel auszuprobieren, um dann dort zu bleiben, wo es mir am besten gefällt. Wer weiß, ob das in der Politik, im Gerichtssaal oder vielleicht bei der Uno sein wird. Hauptsache ich darf mit meinem Notizblock oder in der Dolmetschkabine meiner Leidenschaft nachgehen."

Wie wird man Dolmetscher:in?

Beim Dolmetschen geht es darum, gesprochene Texte von einer Ausgangssprache in eine Zielsprache zu übertragen. Das Aufgabengebiet unterscheidet sich dadurch von dem der Übersetzer:innen, die schriftliche Texte übersetzen. Dolmetscher:innen können in unterschiedlichen Branchen arbeiten.

Dolmetscher:in ist in Deutschland kein geschützter Beruf. Es gibt verschiedene Wege, um in der Branche Fuß zu fassen. Einer führt über das Studium . Viele Hochschulen, darunter Leipzig und Köln, bieten Masterstudiengänge im Konferenzdolmetschen oder Gebärdendolmetschen an. Bachelorstudiengänge wie Übersetzungswissenschaften in Heidelberg oder Mehrsprachige Kommunikation eignen sich ebenfalls als Einstieg. Dolmetscher:innen können sowohl staatlich als auch durch die IHK geprüft werden.

Viele Dolmetscher:innen arbeiten freiberuflich und spezialisieren sich in bestimmten Fachgebieten wie Medizin, Recht oder Technik. Hier ist Fachwissen ebenso wichtig wie die Sprachkenntniss. Gängige Arbeitsbereiche sind internationale Organisationen und Konferenzzentren, politische Veranstaltungen, Gerichte und Unternehmen.

Je nach Branche, Erfahrung und dem konkreten Einsatz unterscheidet sich die Bezahlung deutlich. Im öffentlichen Dienst etwa verdienen Dolmetscher:innen zum Einstieg zwischen 2.600 und 2.900 Euro monatlich brutto. In Deutschland und vielen anderen Ländern gibt es Berufsverbände für Dolmetscher:innen und Übersetzer:innen, die Standards setzen und als Netzwerk dienen. In Deutschland ist das etwa der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) .

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