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Während der Autofahrt, an der Supermarktkasse oder im Wartezimmer: "Wie lange noch?" gehört zu den meistgestellten Fragen von Kindern. Der Grund hierfür hängt nicht mit fehlender Geduld, sondern mit der inneren Uhr der Kleinen zusammen, erklärt ein Zeitforscher im Gespräch mit ntv.de.Die meisten Eltern haben diese Situation schon erlebt: Gerade ist man ins Auto eingestiegen und losgefahren, da kommt auch schon die Frage von der Rückbank, wie lange es noch dauert. Oft trifft diese Fragerei auf Unverständnis, schließlich ist man doch erst vor ein paar Minuten erst losgefahren, oder? Die Antwort hierauf würde im Auto sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem, wen man fragt. Denn im Gegensatz zu Erwachsenen haben Kinder noch kein ausgeprägtes Zeitgefühl.
Ein erstes Bewusstsein für die Zeit bekommen Kinder in ihrer geistigen Entwicklung zwischen ihrem sechsten und siebten Lebensjahr. "Meist geschieht dies ungefähr mit dem Eintritt in die Schule. Sie lernen dann, wie lange eine Schulstunde geht und von wann bis wann Pausenzeit ist", erklärt Zeitforscher Professor Marc Wittmann im Gespräch mit ntv.de. Diese klaren und wiederkehrenden Zeitabschnitte helfen dabei, ein erstes Gefühl für die Dauer von Zeitabschnitten zu entwickeln.
Zeit ist nicht greifbarDie Zeit ist etwas sehr Abstraktes, da sie nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann. Kinder haben daher große Schwierigkeiten, einen Zugang zu ihr zu finden. Für viele Erwachsene stellt sich deshalb die Frage, wie man Kindern Zeit erklärt, wenn sie kaum greifbar für sie ist. Hier empfiehlt Wittmann, das Verwenden von konkreten Zeitangaben zu vermeiden. Besser ist es, bekannte Erfahrungen zu verwenden. "Die Fahrt dauert noch so lange wie deine Lieblingssendung."
Auch das räumlich-motorische Lernen kann einen großen Einfluss auf den Lernprozess des Kindes nehmen. "Wenn das Kind in die Ecke zu seiner Mama krabbelt, kann man dieses Vorgehen sowohl räumlich als auch zeitlich beschreiben." Das Kind legt also eine Strecke zurück, für die es eine entsprechende Zeit braucht. "Durch die motorische Tätigkeit kann sich das Zeitgefühl besser einprägen", erklärt Wittmann.
Das Leben im Hier und JetztDer größte Unterschied zwischen der Zeitwahrnehmung von Kindern und Erwachsenen ist der Bezug zur Gegenwart. Kinder sind sehr stark gegenwartsorientiert und leben im Hier und Jetzt. Erwachsene hingegen haben verlernt, sich vollkommen auf den Moment einzulassen. Sie denken bereits an die nächsten Termine, kommende Treffen und an noch zu erledigende Aufgaben.
Der Blick in die Zukunft spielt für sie also eine besondere Rolle. Je älter man wird, desto zukunftsorientierter werden die Gedanken und Handlungen. "Allgemein wechselt die Aufmerksamkeit von Erwachsenen schnell zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft hin und her." Kindern haben diesen Wechsel nicht und nehmen daher nicht nur den Moment in der Gegenwart, sondern die Zeit im Allgemeinen anders wahr.
Wenn die Zeit zu rasen beginntIn puncto Zeitwahrnehmung und Alter wirft eine weitere Beobachtung Fragen auf. Es scheint, als würde die Zeit mit zunehmendem Alter immer schneller vergehen. Sätze wie "Wo ist das Jahr schon wieder hin?" sind für viele keine Seltenheit. Aber woran liegt das? Wenn man auf ein Jahr zurückblickt, entscheidet die Anzahl der Erinnerungen, ob es sich lang oder kurz anfühlt.
Je mehr Abwechslung man also das Jahr über hatte, desto mehr Erinnerungen kommen zusammen. "Da der Alltag von Erwachsenen viel von Routinen und den immer gleichen Aufgaben geprägt ist, fühlt es sich an, als würde die Zeit wesentlich schneller vergehen. Im Kinder- und Jugendalter ist hingegen noch alles neu und vieles hat eine Erstmaligkeit." Auch wenn die Zeit natürlich nie langsamer oder schneller vergeht, gibt es in ihrer Wahrnehmung große Unterschiede.
Übrigens: Wie die Zeit wahrgenommen wird und welche Rolle sie in der Gesellschaft spielt, ist auch von Kultur zu Kultur verschieden. In Deutschland sind die Menschen sehr stark uhrzeitorientiert, während in anderen Ländern die Ereigniszeitorientierung entscheidend ist. Anstatt sich also vor allem nach der Uhrzeit zu richten, richten sich ereigniszeitorientierte Menschen hauptsächlich danach, was sie noch zu tun haben.
Quelle: ntv.de