Öffne ich im Moment Facebook, Instagram oder Twitter, sehe ich sie sofort: Fotos von Briefwahlunterlagen. Gepostet werden die von meinen Freunden - gerne vor oder beim Einwerfen. Tenor: "Ich habe gewählt - du kannst es auch!" Ich und mein Briefwahlumschlag. Die Bundestagswahl oder Hashtag #btw17 ist auch ein Netzphänomen.
Bei Facebook etwa kann man schon seit Wochen sein Profilbild mit hübschen Stickern verzieren: Zum Beispiel "mitmir90Prozent" oder "Machdeinkreuz". Hinter diesen Stickern steht die Kampagne: "Mit mir 90 Prozent". Sie will die Wahlbeteiligung aus dem Jahr 2013 von gut 70 auf über 90 Prozent steigern - so hoch war sie zuletzt in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Und die Macher bekommen Unterstützung: Von Promis wie Blogger Sascha Lobo oder Moderator Joko Winterscheidt etwa.
Videoaufrufe, Sticker, jede Menge Posts. Im Netz ist "Wählen gehen!" gerade richtig in. Und dort tummeln sich ja bekanntlich die Erstwähler. Aber was sollen die denn nun wählen, wenn sie tatsächlich hingehen und in einer miefigen Turnhalle mit einem schlecht gespitzten Buntstift ihre Kreuze machen? Weil sie das mit der Briefwahl verpasst haben?
Auch dazu gibt es im Netz etwas zu lesen. Dabei geht es der Community aber nicht wie damals bei den Piraten um Unterstützung FÜR eine bestimmt Partei, sondern eher GEGEN eine bestimmte Richtung. Bei Instagram etwa liest sich das plattformgerecht wie ein hübscher Sinnspruch, nämlich so: Beim Knutschen Augen zu, beim Wählen Augen auf, und bitte weder beim Knutschen noch beim Wählen für Nazis entscheiden. Und bei Twitter wird's ernst:
Nur noch 3 Wochen, 21 Tage, bis zum ersten Mal seit Kriegsende wieder die Nazis im deutschen Parlament sitzen. Eine unverzeihliche Schande.
- Jan Böhmermann (@janboehm) 3. September 2017Auch wenn man nach den ganzen Wahlaufrufen vielleicht noch nicht so genau weiß, wen man wählen soll, zumindest hat man mitbekommen, wen man nach Meinung der Netz-Bubble eher nicht wählen sollte.
Nur: Auch vor der US-Wahl schien im Netz die Richtung ziemlich klar - alle waren für Hillary, man forderte sich fleißig gegenseitig zur Stimmabgabe auf. Was dann passierte, wissen wir alle. Gewählt wird eben noch ganz oldschool mit Zettel und Stift - und nicht im Netz. Und dazu muss man raus aus der Bubble und rein in die Turnhalle.