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Kolumbien: Tod auf Bestellung

Für ein Kopfgeld wurde er vom Militär entführt, erschossen, in eine Uniform der Rebellen gesteckt und verscharrt. Fair Leonardo Bernal ist kein Einzelfall in Kolumbien. Von Klaus Ehringfeld

Als Luz Marina Bernal zum ersten Mal etwas von "falsos positivos" hört, ist ihr Sohn neun Monate tot. An jenem Abend im vergangenen Oktober sieht sie fern. In den Abendnachrichten spricht der Verteidigungsminister. Es geht um Massengräber, die im Rahmen von gerichtlichen Ermittlungen geöffnet wurden. Was darin gefunden wurde, übersteigt alle Vorstellungen: Zivilisten ermordet von der kolumbianischen Armee, die sie als getötete linke Guerilleros präsentiert hat. Jetzt fliegt der Skandal auf. "Ich gebe zu", sagt der Verteidigungsminister, "dass es diese Hinrichtungen von Zivilisten gegeben hat." Da beginnt Luz Marina Bernal zu verstehen, warum ihr Sohn Fair Leonardo an einem kalten Tag Anfang Januar so plötzlich von zu Hause verschwand und nie mehr heimkehrte.

Fair Leonardo, 26, starb für eine gefälschte Positiv-Meldung. Weggelockt aus Soacha, dem Armenvorort vor der Hauptstadt Bogotá, ins Hunderte von Kilometern entfernte Kriegsgebiet. Er wurde dort getötet, in einen Uniform der Rebellen gesteckt und dann verscharrt von Soldaten des kolumbianischen Heeres. Mörder in Uniform, die mit seinem Tod ihr Konto und zugleich die Erfolgsstatistik des rechtskonservativen Präsidenten Álvaro Uribe im Kampf gegen die bewaffneten Gruppen aufbesserten. Für jemanden wie Fair Leonardo, den Rebellen, der keiner war, bekommen die Offiziere der 15. Brigade ein paar tausend Peso Kopfgeld, die Soldaten ein paar Tage Urlaub.

"Das überstieg meine Vorstellungskraft", sagt Luz Marina. Sie sitzt leicht vornübergebeugt, die Arme vor der Brust verschränkt, auf der Couch. Ihr Haus ist eng, Wohnzimmer und Abstellkammer sind ein Raum. Von den Holzbalken, die das Wellblechdach stützen, hängen nackte Glühbirnen. Um sich herum hat die Mutter wie einen Schutzwall Zeitungsausschnitte, Kopien und Fotos von Fair zurechtgelegt. Dann erzählt sie von der Reise ihres Sohnes in den Tod und versteckt ihren Schmerz hinter einer langen Liste präziser Erinnerungen: "Er war leichte Beute", sagt sie. Fair Leonardo, 1,75 groß, kräftig, blaue Augen, seit seiner Geburt behindert, weil die Mutter in der Schwangerschaft von einem Auto angefahren wurde, hatte die geistige Reife eines Neunjährigen. "Er hatte zu jedem Vertrauen und war freundlich zu allen." Und als Unbekannte kamen und ihm Geld und einen Job versprachen, ging er mit.

Anfang 2008 ist Fair Leonardo nicht der Einzige, der plötzlich aus Soacha verschwindet und viele Monate später in Rebellenuniform in einem Massengrab wieder auftaucht. Ehemalige Militärs locken für ihre Kameraden insgesamt 13 Jugendliche und Männer im Alter von 16 bis 32 Jahren unter falschen Versprechungen in die 400 Kilometer entfernte Provinz Norte de Santander. Die meisten sind arbeitslos, Hilfsarbeiter, waren schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten, oder wie Fair Leonardo leicht verführbar. Gelockt wurden die jungen Männer meist mit gut bezahlten Jobs als Leibwächter. "Manchen haben sie auch gesagt, sie würden ihnen das Meer zeigen", sagt Luz Marina Bernal. Doch stattdessen wurden sie wie Vieh ins Schlachthaus geführt.

Der Skandal um die angeblichen Rebellen aus Soacha wirbelt in Kolumbien so viel Staub auf, dass Heereschef Mario Montoya sowie 27 hochrangige Offiziere entlassen werden. Montoya wird aber nicht der Justiz überstellt, sondern bekommt den Botschafterposten in der Dominikanischen Republik.

Präsident Alvaro Uribe ist Teil des Problems. Die "Koordinationsgruppe Kolumbien-Europa-USA", die mehrere Nichtregierungsorganisationen umfasst, berichtet schon länger, dass in den ersten fünf Jahren seit Uribes Amtsantritt im Jahr 2002 die Zahl der unschuldig hingerichteten Zivilisten um zwei Drittel angestiegen sei. Doch die Mahnungen wollte niemand hören, denn die Regierung feierte sich mit großem Getöse für immer neue militärische Siege gegen die Guerilla und immer mehr angeblich entwaffnete Paramilitärs. Doch nun wird mehr als 400 Offizieren und Unteroffizieren der Prozess gemacht. Ihnen werden über tausend Morde an Zivilisten zur Last gelegt, zu viele für einen Zufall oder eine Verwechslung.

Von ihrem Büro im achten Stock eines Hochhauses im Bankenviertel von Bogotá hat Milena Méndez einen weiten Blick über die Stadt, bei gutem Wetter sind am Horizont sogar die Slums von Soacha zu erkennen. Méndez ist Anwältin bei der kolumbianischen Juristenkommission (CCJ) und hält die Bluttaten an Unschuldigen für einen Auswuchs der Politik der "Demokratischen Sicherheit", mit der Uribe versucht, den seit mehr als vier Jahrzehnten dauernden Bürgerkrieg zu beenden. Ein Krieg, in dem Linksrebellen auf der einen und ultra-rechte Paramilitärs sowie die Streitkräfte auf der anderen Seite kämpfen. Früher ging es um soziale Gerechtigkeit, heute nährt das Rauschgift die Gewalt.

Uribes aggressiver Kriegskurs und die Zahlung von Kopfprämien hätten den Skandal erst möglich gemacht, sagt Méndez. Diese Unschuldigen also, die als getötete Gegner, als so genannte Positivmeldungen, wie es im Militärjargon zynisch heißt, ausgegeben wurden. Zum Beweis zieht sie ein Papier aus der Schublade, auf dem "Geheimdekret 29/2005 des Verteidigungsministeriums vom 17. November 2005" steht. Der Erlass ist eine Art Prämienliste. Auf 15 Seiten ist detailliert aufgelistet, wie hoch die Belohnungen für die Beschlagnahmung von Waffen und Laptops sind, was die Regierung für den Abschuss eines Flugzeuges zahlt und wie viel für die Tötung von Rebellen. Ein Offizier bekommt für einen getöteten Guerillaführer umgerechnet bis zu 1700 Euro, ein einfacher Soldat für einen einfachen Aufständischen fünf Tage Urlaub.

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