Es war knapp, aber am Ende hat Philipp Türmer den Kampf um den Bundesvorsitz des SPD-Nachwuchs gewonnen. 162 gültige Stimmen konnte der 27-Jährige aus Offenbach am Main am Ende einsammeln, das sind 54,36 Prozent. Von den 300 Delegierten, die am Freitag beim Auftakt des Bundeskongresses in Braunschweig dabei waren, gaben 299 eine Stimme ab - eine davon war ungültig.
Türmer war angetreten gegen Sarah Mohamed, die mit Nordrhein-Westfalen einen starken Landesverband hinter sich hatte. Die Wahl galt bis zuletzt als offen. Inhaltlich konnten sich Türmer und Mohamed auf vieles einigen: Kapitalismus abschaffen, sozialere Klimapolitik, Rechtsruck und Nazis bekämpfen. Mohamed war etwas mehr Antifa, Türmer ein wenig bürgerlicher, akademischer.
Türmer: Ampel verliert RegierungsfähigkeitDer neue Bundesvorsitzende kommt aus Offenbach am Main, hat Wirtschaft und Jura studiert, gerade arbeitet er an einer Promotion im Strafrecht. Seit mehr als 10 Jahren ist Türmer bereits bei den Jusos, seine Kandidatur gilt als länger vorbereitet. In seinen Videos sieht man ihn mit grüner Bomberjacke, am Freitag trägt er Hemd und Sneaker. Er hat breite Schultern bei ansonsten schmaler Statur. Vor seiner Rede sagt er, dass die Anspannung groß sei. Eigentlich will er so kurz vor Beginn gar nicht mehr mit der Presse sprechen. „Das sage ich auch alles in der Rede." Aber dann macht er es doch. Und ist dabei - trotz Anspannung und Zeitdruck - sehr pointiert.
Die Ampel interessiert sich zu wenig für Verteilungsgerechtigkeit und die Lösung der Armutsfrage, findet er. „Das ist fatal". Angesichts des jüngsten Urteils des Verfassungsgericht befürchtet er Abwanderungen der Industrie im großen Stil. „Ich befürchte, da steht uns eine gigantische Deindustrialisierungswelle bevor", sagt er. „Ich habe das Gefühl, dass gerade diese Ampel ihr letztes bisschen Regierungsfähigkeit verliert."
Dass das so ist, liege vor allem an der Politik des SPD-Bundeskanzlers. „Olaf Scholz sollte sich mal dringend daran erinnern, dass er als sozialdemokratischer Kandidat Bundeskanzler geworden ist. In diesen Zeiten können wir uns nicht erlauben, dass der Kanzler nicht führt", sagt Türmer. „Er kann sich nicht mehr nur raushalten und moderieren."
Scharfe Kritik an ScholzAuch in seiner Antrittsrede kritisiert er Scholz. Das tut auch Sarah Mohamed. Aber Türmer ist dabei deutlich schärfer und direkter. „Lieber Olaf, du hattest ja leider keine Zeit, zu uns zu kommen, weil du dich lieber mit dem Autokraten Erdogan triffst. Aber falls du dich noch erinnerst, für welche Partei du angetreten bist, ändere deinen Kurs. Mach den Kampf gegen Armut endlich wieder zur Chefsache", sagt er und die Menge applaudiert. Es entsetze ihn, „wie wenig sich dieser Kanzler für diejenigen ins Zeug legt, die seinen Respekt so sehr verdient hätten". Sozialdemokratie dürfe nicht nach unten treten.
Als er gegen die FDP wettert, hat er den Saal auf seiner Seite. „Ich hoffe, ihr habt den 60-Milliarden-Warnschuss gehört. Kippt endlich diese gottlose Schuldenbremse. Es wird keine schwarze Null geben - auch, wenn dafür die gelbe Null aus dem Finanzministerium verschwinden muss", sagt er und grinst. Das Publikum lacht. Später kritisiert er auch die Migrationspolitik seiner hessischen Landesgenossin Nancy Faser. „Die Rechten werden euch niemals wählen, ganz egal wie viele Positionen von ihnen ihr auch übernehmt."
Lauter Jubel für linke Slogans
Von Anspannung keine Spur. Türmer wirkt ruhig, professionell. Er unterstreicht seine Worte mit dezenten Handgesten. Man merkt, dass er Erfahrung mitbringt. Er sagt Sätze wie: „Hört auf, euch einzureden, dass doch alles in Ordnung ist, gar nichts ist in Ordnung!" Oder: „Verteilt endlich um! Tax the fucking rich!" Lauter Jubel für den linken Slogan.
Für einen „demokratischen Sozialismus" will er kämpfen und ins Bett gehen mit der Frage, wie man den Rechtsruck bekämpfen kann. Das verspricht er den 300 Delegierten und 200 Gästen im Saal: dem Rechtsruck einen viel stärkeren Linksruck entgegensetzen. Und dass er sie alle wieder vereinen will. Ein Dach schaffen, unter dem sich alle Teile der gesellschaftlichen Linken versammeln können - auch innerhalb der Jungsozialisten. „Nach heute ist die Zeit des internen Wettstreits vorbei", sagt der neue Juso-Chef. „Die Zeiten sind zu dunkel, die Herausforderungen sind zu groß, als dass wir uns geschwächte Jusos leisten können. Lasst uns investieren in unseren Zusammenhalt." Der Saal jubelt.
Die bisherige Juso-Vorsitzende, die Bundestagsabgeordnete Jessica Rosenthal, war wegen ihrer Schwangerschaft nicht erneut angetreten.