Wie kann ein friedliches Miteinander funktionieren? Darüber sprachen jüdische und palästinensische Menschen beim Runden Tisch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Mit dabei: die 102-jährige Holocaustüberlebende Margot Friedländer.
Es ist wohl eine der Fragen, zu der gerade kaum jemand eine Antwort parat hat: Wie können jüdische und muslimische Menschen in Deutschland friedlich miteinander leben? Auch im Berliner Schloss Bellevue wurde darauf am Mittwoch keine abschließende Antwort gefunden, aber ein wenig Hoffnung - trotz des so ernsten Anlasses.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sich dafür ein ungewöhnliches Format ausgedacht: Er lud zwölf Menschen zu einem Runden Tisch ein - und zwar in Form von jüdisch-muslimischen Tandems. Jedes Tandem repräsentierte ein Positivbeispiel von gelungener Kooperation trotz unterschiedlicher Religion und Kultur.
Berührende Worte von Margot FriedländerDa saßen beispielsweise Michael Fürst, der Präsident des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, und Yazid Shammout, der Vorsitzende der palästinensischen Gemeinde Hannover, die eine jahrelange Freundschaft verbindet. Oder Oz Ben David und Jalil Dabit, die gemeinsam ein israelisch-palästinensisches Restaurant im Berliner Prenzlauer Berg betreiben. Auch die kürzlich 102 Jahre alt gewordene Holocaustüberlebende Margot Friedländer war als Ehrengast geladen.
Diese fand bewegende Worte angesichts des Überfalls der Hamas am 7. Oktober: „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass so etwas wieder passiert. Es war für mich etwas Unmögliches", sagte Friedländer und hielt inne. Kerzengerade mit grauer Longchamp-Tasche und Rollator hatte sie wenige Minuten vor Beginn den Raum betreten. „Was war, das können wir nicht mehr ändern. Aber es darf nie wieder geschehen." Sie hielt ihren „Judenstern" hoch, den sie auf Befehl der Nazis ab 1941 tragen musste. „Ich weiß nicht, warum Menschen nicht lernen. Das darf nie wieder geschehen."
Bundespräsident Steinmeier ruft zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland aufJüdische und muslimische Menschen zu vereinen - das scheint angesichts der teils gewalttätigen Proteste und der antisemitischen Übergriffe fast unmöglich. Am Runden Tisch im Schloss Bellevue klappte es. Das lag auch daran, dass diese Menschen bereits zusammengefunden haben. Warum und wieso, das ist bei jedem und jeder anders. Aber das, was sie alle miteinander verbindet, ist der dringende Wunsch, einen gemeinsamen Weg finden zu wollen.
Nur mit einem Feind kann man Frieden schließenEtwas, das gerade keinen Platz auf den Straßen zu haben scheint: „Es war noch nie so schwer wie in den diesen Tagen, Menschen zusammenzubringen", sagte Dervis Hizarci. Als Vorsitzender der „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus" setzt er sich seit Jahren auch an Schulen gegen Judenhass ein. Er war selbst einmal Lehrer in Kreuzberg, wie er erzählte. Die Vorbehalte seien groß, überhaupt miteinander ins Gespräch zu kommen - auf beiden Seiten. „In der Türkei, da, wo ich herkomme, sind Koalitionen undenkbar. Das ist die Gefahr hinter diesen Prozessen", sagte er. „Die Idee hinter einem Dialog ist, mit Andersdenkenden zu sprechen. Wir haben vergessen, dass man nur mit einem Feind Frieden schließen kann."
Und das gilt auch für Schulen: Wenn man Kinder, die Palästinaflaggen in die Schule bringen, direkt ausschließe, riskiere man, dass diese Kinder mit Deutschland brechen. Denn nicht nur auf Deutschlands Straßen, auch insbesondere an Schulen offenbart sich die tiefe Spaltung zwischen jüdischen und muslimischen Kindern. Lehrkräfte seien damit häufig überfordert, da ist sich die Runde einig. Hilfe bekommen sie von Initiativen.
Neben dem Dialog ist ein weiterer wichtiger Punkt Empathie. Denn für beide Seiten, sowohl jüdisch als auch muslimisch, ist der 7. Oktober mit seinen Folgen schmerzhaft. Das berichtete etwa Jouanna Hassoun, die selbst aus dem Libanon floh und nun mit Shai Hoffmann in den Schulen „den Scherbenhaufen auffegt", wie sie sagte.
Raum für Schmerz finden„Es gibt kaum einen Konflikt, der so viele Emotionen weckt", sagte Hoffmann. „Wir versuchen, den Kindern und Jugendlichen einen Raum für ihren Schmerz zu geben. Viele trauern nicht nur, sondern haben auch Angst vor dem, was noch kommen wird." Ihre Grundüberzeugung: „Beide Identitäten dürfen gleichzeitig stattfinden", erklärte Hassoun. „Wir können den Nahostkonflikt nicht lösen. Aber wir können dafür sorgen, dass sich jüdische und muslimische Menschen in Deutschland auf Augenhöhe begegnen."
Oder wie Michael Fürst seine Beziehung zum Vorsitzender der palästinensischen Gemeinde Hannover Yazid Shammout beschrieb: „Unsere Verbindung steht unter dem Wort Respekt. Wenn er mir erzählt, dass seine Eltern vertrieben worden sind, diskutiere ich nicht darüber, ob sie vertrieben sind. Er empfindet das so, das kann ich ihm nicht wegnehmen. Natürlich haben wir unterschiedliche Auffassungen, aber die können wir ertragen, weil wir uns zuhören können."
Das Gespräch am Runden Tisch war ein Plädoyer für Konfliktfähigkeit. Für das Aushalten anderer Positionen, für Empathie - ohne den Schmerz des anderen hinterfragen zu müssen. Für Ambiguitätstoleranz gewissermaßen. Gut, dass der Bundespräsident angekündigt hat, dass es weitere dieser Gespräche geben soll. Ein wenig Hoffnung können wir alle gut gebrauchen.
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