Krieg, Rechtsruck, Klimawandel und Inflation: Viele junge Menschen glauben, dass sie es mal schlechter haben werden als die eigenen Eltern. Zukunftsangst ist zum prägenden Gefühl einer Generation geworden. Aber es gibt auch Grund für Zuversicht. Ein Plädoyer fürs Trotzdem.
Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es noch so etwas wie ein Zukunftsversprechen. Unsere Eltern, die sogenannten Baby Boomer, wuchsen mit klaren und insbesondere erreichbaren Statussymbolen auf: Haus, Kinder, Auto. Nicht jeder oder jede verfolgte diesen Lebensentwurf. Man konnte natürlich rebellieren, aber es galt: Wer wollte, für den war es theoretisch möglich, diese Ideale zu erreichen.
Spätestens nach der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges schien die Zukunft für Menschen in Deutschland gesichert. Wer, wie wir, Anfang der 90er Jahre geboren ist, wuchs in einer Welt auf, in der es 3 Prozent Zinsen auf das Sparbuch gab. Wohlstand, Sicherheit, Zuversicht war der Dreiklang dieser Zeit, der Planungssicherheit versprach. Dabei warnten Fachleute bereits in den Achtzigerjahren vor den Folgen des Klimawandels. Diese Warnungen schienen aber viel zu abstrakt, um tatsächlich etwas am Lebensstil zu verändern.
Heute wissen wir, dass die Lebensideale der Boomer - Haus, Kinder, Auto - eine Bedrohung für unseren Planeten sein können.Keine Kinder kriegen wegen der Klimakrise? Für 25 Prozent der 18- bis 29-Jährigen durchaus denkbar. Das ergab eine exklusive Forsa-Umfrage im Auftrag des RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Denn Kinder produzieren schließlich auch CO₂ und überhaupt: wird unser Planet für nachkommende Generationen noch lebenswert sein?
Die dauerbelastete PsycheEin Eigenheim können sich die wenigsten unserer Generation leisten, und wenn, dann nur im äußersten Speckgürtel oder auf dem Land. Wir leben zur Miete. Den Wohlstand, den sich unsere Eltern noch selbst erwirtschaften konnten, ist für viele unerreichbar geworden. Es sei denn, man erbt. Aber das ist oft denen vorbehalten, die ohnehin schon vermögend sind. Bei allen anderen macht sich der Eindruck breit: Bevor man den ersten Arbeitsvertrag unterschreibt, ist das Vermögen längst verteilt.
„Wir werden es schlechter haben als unsere Eltern" ist erstmals seit Jahrzehnten ein prägendes Gefühl bei Menschen zwischen 25 und 35 Jahren. Zu diesem Ergebnis kommt die Trendstudie „Jugend in Deutschland" (2022/23). Die Studie wird unter anderem von dem Jugendforscher und Studienautor Simon Schnetzer veröffentlicht. Auch laut der RND-Forsa-Umfrage glaubt fast die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger (46 Prozent), dass es ihnen in zehn Jahren schlechter gehen wird als heute.
Dazu kommen die anderen Unwägbarkeiten unserer Zeit: Klimawandel, Pandemie, Krieg, Rechtsruck. Die Krisen sind multipel und sie kommen auf einmal. Für die Psyche eine Mehrfachbelastung ohne Aussicht auf Regeneration. „Wir haben so eine Dauerbeschallung mit Negativem, dass wir uns fühlen, als wären wir drei Minuten von der Apokalypse entfernt", sagt Psychologe René Träder im Gespräch mit dem RND. Eine Stresssituation sei für uns bewältigbar, aber auch nur über eine kurze Zeit. „Wird das zum Dauerzustand, ist das furchtbar für unsere Psyche."
(K)eine Bambuszahnbürste gegen den KlimawandelDer Dreiklang aus den 1990er Jahren - Wohlstand, Sicherheit, Zuversicht - ist in weite Ferne gerückt. Verzicht bestimmt den Zeitgeist. Weniger reisen, weniger heizen, gesünder essen. 66 Prozent geben in der RND-Forsa-Umfrage an, dass sie sich vorstellen können zu verzichten, wenn es dem Klima hilft. Und dennoch wissen wir längst, dass Bambuszahnbürsten oder Mülltrennen den Klimakollaps nicht aufhalten werden. Sie sind nur ein absurdes Symbol scheinbarer Kontrolle angesichts der Ohnmacht. Innerlich arrangieren sich einige längst mit dem möglichen Weltuntergang. Wie werden die Folgen des Klimawandels die Welt verändern? Bricht irgendwann ein Atomkrieg aus? Wann kommt der nächste Superkeim? Und wenn wir das überleben sollten: Was ist eigentlich mit der Rente?
Die Zukunftsversprechen der Boomer-Generation sind kollektiver Verunsicherung gewichen. Wir sind eine Generation, die wenig zu verlieren hat und gleichzeitig alles. Wie soll man eine Zukunft planen, wenn die Welt brennt? Wenn die Rente schmilzt und die Polkappen? „Was seid ihr so für Urlaubstypen, lieber Überschwemmung oder Waldbrand?", fragt Internet-Comedian Sebastian Hotz genannt „El Hotzo" lakonisch. Wer seinen Sommerurlaub in diesem Jahr in Europa verbringen wollte, musste sich genau diese Frage stellen. Adorno sagt, es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Warum es also versuchen?
Nicht nur Resignation und AngstFür jede schwere Zeit im Leben gibt es passende Sinnsprüche. Manche sind einfach nur platt, andere wahr oder zynisch. „In jeder Krise liegt eine Chance" zum Beispiel. Die Welt geht unter, aber das soll man dann auch noch als Chance begreifen? Puh. „Mich stört der Pessimismus dieser jungen Leute", entgegnet Eva Umlauf im Interview mit dem RND. Die 80-jährige Psychotherapeutin und Jüdin ist eine der jüngsten Holocaust-Überlebenden. Sie sagt: „Wenn sie vor der Zukunft nur noch Angst haben, können sie sich gleich ins Grab legen."
Denn: Da ist nicht nur Resignation und Angst. Es gibt sie, die Chancen, das „Trotzdem". In der RND-Forsa-Umfrage sagen zwar 50 Prozent der Befragten, dass sie sich angesichts der Zukunft ohnmächtig fühlen. Aber mehr als 63 Prozent sind neugierig auf das, was kommt. Und darin liegt eine Chance.
Denn Neugier ist der Nährboden und Motor für Ideen und Weiterkommen. Ihr liegt eine zuversichtliche Sicht auf die Welt zugrunde. Sie ist das Gegenteil von Resignation. Warum man es versuchen sollte? Na weil man unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Neugier kann das verloren geglaubte Zukunftsversprechen neu gestalten. Denn ja: Die Statussymbole unserer Eltern sind passé. Wir leben in einer globalisierten Welt. Es ist schwerer die Krisen um uns herum auszublenden. Aber es gibt genug Gründe, sich nicht direkt ins Grab zu legen.
Das menschliche Wohl wird sich durchsetzenDenn da sind auch optimistische Stimmen. Einer der prominentesten Optimisten seines Faches ist der Harvard-Professor und Kognitionspsychologe Steven Pinker, der sich selbst vehement dagegen wehrt, als Optimist bezeichnet zu werden. Pinker vertritt die Beruhigungsthese, die besagt, dass sich in der Gesamtrechnung das Wohl der Menschen immer durchsetzt.
Das will er mit Diagrammen des menschlichen Fortschritts ausgewertet und bewiesen haben. Mit Blick auf diese Diagramme glaubt er, der Wohlstand werde weiter wachsen, die Frauen- und Kinderechte zunehmen, die Gewalt abnehmen. Die Kurve werde also, so Pinker, dank der Episode der Aufklärung auch in Zukunft nach oben zeigen - zumindest aber nicht rückläufig sein. Anders gesagt: Wissenschaft und Vernunft sind so weit fortgeschritten, dass sich das menschliche Wohl durchsetzen wird.
Seine umstrittene These unterstützt er unter anderem mit Annahmen der menschlichen Kognition. Die lauten: Positive Entwicklungen werden von Menschen oft unterschätzt, negative überschätzt. Wir neigen also dazu, erklärt Pinker im Interview mit Cicero, Einzelereignisse zu verallgemeinern und als direkte Bedrohung wahrzunehmen. Im Umkehrschluss heißt das: so negativ, wie uns die Zukunftsaussichten erscheinen, werden sie nicht sein.
„German Angst" stärkte die RepublikAuch Frank Biess, Professor für Europäische Geschichte (University of California), hat sich mit Angstszenarien befasst. Konkret mit der Angstgeschichte der Bundesrepublik. In seinem Buch „Republik der Angst" zeichnet er die Gefühlsgeschichte von 1945 bis zum Mauerfall nach - eine Zeit geprägt von Angstszenarien.Da war die Debatte um atomare Aufrüstung unter dem Eindruck des kalten Krieges, das Waldsterben, das als existenzielle Bedrohung wahrgenommen wurde und die Spiegel-Affäre, die die Pressefreiheit zu erschüttern drohte und die Angst vor dem Autoritären nährte. All das klang für die Zukunft wenig optimistisch.
Aber diese „Angstzyklen" führten seiner Analyse zufolge zu einer Stärkung der Gesellschaft. Denn sie sensibilisierten die Bevölkerung für die Gefahren, die ihr drohten. Denn Angst ist laut Biess ein Gefühl, das nicht nur ein Resultat von realen Ereignissen ist, sondern sie auch beeinflusst und Handlungen hervorruft. Und zwar politische, wie gesellschaftliche. Wenn wir vor etwas Angst haben, schützen wir uns bestenfalls davor.
Gerade die Geschichte der Bundesrepublik ist voll mit verfehlten Angstprognosen, was den international gebräuchlichen Begriff der „German Angst" provozierte. Zwar ist es einfach, Zukunftsängste im Nachhinein als Hirngespinste abzutun, weil sie nicht eingetreten sind. Doch unerfüllte Ängste können auch etwas Beruhigendes haben und den Blick auf die Zuversicht stärken. Kurz gesagt: Wenn das Befürchtete doch nicht so schlimm war und man es gut geschafft hat, stärkt das die eigene Selbstwirksamkeitswahrnehmung für die Zukunft.
Neugier wagen - trotz OhnmachtsgefühleDer Klimawandel wird sich nicht so schnell weghoffen lassen. Er ist zu einer Krise geworden, die so umfassend ist, dass sie Ohnmachtsgefühle produzieren kann. Die Wohlstandsprognosen von Pinker und Angstzyklen von Biess können daher nicht eins zu eins auf die heutige Zeit übertragen werden. Doch sie helfen dabei, zu verstehen, dass Zukunftsängste nicht das Alleinstellungsmerkmal einer Generation sind. Dass es schon immer begründete Ängste gab, die die Gesellschaft verändert, aber am Ende auch gestärkt haben. Diese Hoffnung besteht auch für ein Leben in der Klimakrise; für eine Welt, in dem sich die Gesellschaft sensibilisiert und angepasst hat.
Da ist also Ohnmacht, ja, aber da ist auch Neugier. Der Lyriker und Prosa-Autor Lutz Rathenow sagte kürzlich im Deutschlandfunk: „Ein skeptischer Optimismus ist angesagt." Die Kombination aus behütet aufwachsen und Neugier sei ein guter Mix, um künftigen Schwierigkeiten aktiv und gelassen zu begegnen. Dazu passt auch die Prognose der Psychologin Isabella Heuser Collier: „Ich glaube, dass wir jetzt einen Belastungs-Peak erreicht haben", sagt sie dem RND mit Blick auf Klimawandel, Pandemie, Wirtschaftskrise und Co. „Ich bin aber auch davon überzeugt, dass wir als Gesellschaft hohe Resilienzpotenziale haben, um diese Krisen zu überwinden." Wir können also mehr Neugier wagen - trotz des Gefühls von Ohnmacht.