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Lieber Stefan Raab, bitte übernehmen Sie - sofort!

Erst brüskiert Moderator Markus Lanz seine Cindy, dann sorgt er für Unmut im Publikum, und auch die Gäste schauen zuweilen betreten drein. Währenddessen läuft sich Stefan Raab als Thronfolger warm. Von Kira Brück


Es sollte eine schillernde Mallorca-Premiere für Markus Lanz werden. Doch dann war auf einmal die Tochter von Michael Jackson unpässlich, Pamela Anderson sagte ab und schließlich auch noch eine Wettkandidatin. Mist, keiner will mehr zu "Wetten, dass..?".

Und auch der Zuschauerschwund hält an. Die Live-Show aus Mallorca wollten nur noch 6,74 Millionen Zuschauer sehen, damit rutschte die Samstagabend-Show erstmals unter die 7-Millionen-Marke. Bei der Premiere von Lanz im Oktober hatten sogar 13,62 Millionen Menschen eingeschaltet - also ungefähr doppelt so viele wie jetzt. Die größte Katastrophe für Markus Lanz aber war, dass Stefan Raab zugesagt hatte. Denn in den ersten 20 Minuten war klar, wie "Wetten, dass..?" laufen müsste. Es braucht einen schlagfertigen, frechen und lässigen Entertainer, der die Wetten am liebsten gleich selbst ausführen würde. Der seinen Wettkandidaten hinterher kameradschaftlich umarmt. Da sitzt plötzlich einer, der es kann. Der selbstironische Raab freilich ist nur erschienen, um seine neue Erfindung - einen Duschkopf - zu promoten. Aber gleich zu Anfang macht er mit seinem bissigen Humor klar, wer der Chef in der Stierkampfarena zu Palma de Mallorca ist. Zur offensichtlich schwangeren Michelle Hunziker meint er: "Berlusconi kann's nicht lassen, was?!" Böse - aber verdammt gut. Es ist, als läuft sich Raab warm. Für exakt den Moment, in dem die ZDF-Bosse verstehen, dass Markus Lanz Talk kann, aber keine Show.

Den Rest des Abends sitzen Stefan Raab und Michelle Hunziker auf der Couch wie die zwei Coolen der Schule in der letzten Reihe. Später gesellt sich Komiker Paul Panzer dazu, dann Schauspieler Gerard Butler (der spontan für Pamela Anderson einsprang). Sie alle halten nicht hinterm Berg mit ihrer Meinung zur Lanz-Premiere auf Mallorca: Fremdschämalarm! Zum Ende der Sendung sagt Raab laut: "Ich wollte kurz sagen: Ich bin nur Gast in dieser Sendung!" In der Tat, zwischenmenschlich gesehen, geht an diesem Abend alles daneben, was nur schiefgehen kann. Schuld daran ist der tollpatschig-steife Moderator - der etwas grau um die Schläfen geworden ist. Ein Paar Sneakers trägt er zum Anzug, mehr lockere Urlaubsstimmung wäre für ihn Kontrollverlust. Er ist so sehr bemüht, smart zu sein, dass er die Stimmung um sich herum kaum noch wahrnimmt.

Fehler 1: Lanz bringt Assistentin Cindy gegen sich auf

Als Wetteinsatz soll Michelle Hunziker - die einst unter Thomas Gottschalk Show-Assistentin war - für Cindy einspringen, wenn diese mal nicht kann. Cindy fühlt sich übergangen, Michelle ist das sichtlich unangenehm. "Wir sind dann zusammen deine Assistentin", versucht Hunziker die Situation zu retten. Zu spät. Für den Rest der Sendung spielt Cindy die beleidigte Leberwurst. Aber man nimmt ihr nicht ab, dass das nur gespielt ist. Überhaupt: Die Witze über Cindy von Marzahns Körperumfang sind abgenutzt - genauso wie die Bemerkungen über Michelle Hunzikers Schönheit. Es nervt, wie beide Blondinen permanent auf ihr Äußeres angesprochen werden.

Fehler 2: Lanz bringt das Publikum gegen sich auf

Seit Markus Lanz "Wetten, dass..?" präsentiert, gibt es die Zuschauerwette gegen den Moderator. Hier will der Südtiroler beweisen, dass er kämpfen kann. Drei Zuschauer reichen Wetten ein, und das Publikum entscheidet, was Lanz gegen den Kandidaten schaffen muss. Kurioserweise ist diesmal einer davon Howard Carpendale. Doch Markus Lanz und Cindy sprechen permanent von "Howard aus München". "Was machen Sie von Beruf, Howard?", fragt die Assistentin. Wenn das witzig sein soll, kommt es beim Publikum nicht an. Also, Lanz soll gegen eine Kandidatin Limbo tanzen. Es stellt sich heraus, dass diese das aber gar nicht kann. Also tritt Lanz gegen Carpendale im Kugelstoßen an - und verliert knapp. Da Carpendale den Preis - eine Reise - aber nicht gewinnen darf, bekommt diesen die Frau, die nicht Limbo tanzen kann. Großes Kuddelmuddel. Lanz ist aufgewühlt und überfordert. Der dritte Kandidat nämlich geht leer aus, eine Schummlerin kriegt die Reise und was Howard Carpendale beitragen sollte, versteht niemand. Das Publikum buht immer wieder, regt sich auf. Lanz reagiert nicht. Es ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten.

Fehler 3: Lanz bringt die Promis gegen sich auf

Michelle Hunziker ist schwanger. Das kann jeder sehen. Aber Markus Lanz reicht das nicht. Er fragt sie aus - und nennt das hinterher wahrscheinlich investigativen Journalismus. Was es denn wird, will er wissen. Ob sie schon verlobt sei. Ob ihre 16-jährige Tochter Aurora genauso schön ist wie sie. Ob ihr Freund eifersüchtig ist. Auf was sie in der Schwangerschaft Heißhunger hat. Irgendwann wird das selbst einem TV-Profi wie der Hunziker zu doof. Michelle ist genervt und will das Thema wechseln. Lanz checkt einfach nicht, wann es genug ist. Und natürlich durfte auch die obligatorische Hollywoodstar-Demütigung nicht fehlen: Diesmal durfte sich Gerard Butler Eiswürfel in die Hose schütten (die Kamera hielt von oben drauf, Hunziker und Raab sich die Augen zu) und dabei Goethe rezitieren.

Stefan Raab singt als verlorenen Wetteinsatz gemeinsam mit Jürgen Drews "Ein Bett im Kornfeld" - wie schon damals Mitte der Neunziger. Ein guter Moment. Der eigentliche Star der Show sind aber die Wetten. Bis auf die Kinderwette sind die alle akrobatisch sehr anspruchsvoll (per Salto rückwärts in Badehosen springen, Nüsse mit dem Po knacken, eine Feuerwehrleiter hinaufhangeln, einen Truck mit den Beinen stemmen) und natürlich "spektakulär" - das Lieblingswort von Lanz. Und es gibt eine Wette gegen die Zuschauer: dass am Ende der Sendung keine 500.000 Euro für die Hochwasseropfer zustande kommen. Die Summe wird leicht getoppt, ein versöhnlicher Abschluss. Diese Sendung war also doch für etwas gut.

Ach ja, und dann gibt es da noch den Auftritt der Geissens. Wenig überraschend: Das Publikum liebt die dekadente Fernsehfamilie. Markus Lanz fehlt selbstverständlich jede Ironie, dieses schräge Paar zu bändigen. Exakt wie in ihrer Reality-Sendung pöbeln sie sich durch "Wetten, dass..?". Dann singt der Brite Passenger seinen Hit "Let Her Go", und die Stierkampfarena zeigt ihre warme Atmosphäre. Jetzt wünscht sich der Zuschauer, der junge Mann würde einfach nicht aufhören zu singen, ein ganzes Konzert geben - damit es endlich aufhört mit dem Fremdschämen. Oder Stefan Raab übernimmt. Jetzt. Sofort.

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