Zum Glück kommt diesmal niemand auf so eine Idee wie neulich mit der Kalaschnikow. Milos Zeman hat gerade seinen Auftritt beendet, er sitzt bei Nieselregen in einem Zelt, vor der Bühne ein paar Hundert seiner Anhänger, und nimmt das Geschenk entgegen, das ihm das Städtchen Moravsky Krumlov darbringt. Es ist eine Kiste mit ein paar Flaschen Wein, das Bild wird nicht um die Welt gehen wie jenes, auf dem Zeman eine Maschinenpistole überreicht bekommt. Ein Nachbau aus Holz war es, an der Stelle des Magazins steckte eine Flasche Becherovka, dieses tschechischen Kräuterlikörs, und auf den Lauf hatte die Gemeinde gravieren lassen „Für Journalisten“. Zeman wedelte mit der Maschinenpistole vor den Zuschauern herum, sein Grinsen ging über das ganze Gesicht.
Diese Episode mit der Kalaschnikow hat in Tschechien kaum jemanden aufgeregt. Die einen rollten zwar in stiller Pein mit den Augen wie immer, wenn dieser Präsident wieder einmal danebentritt, aber die meisten nickten anerkennend mit dem Kopf: Prima, dass der Stadt ein Geschenk eingefallen ist, mit dem sie die vier großen Themen des Präsidenten auf einmal aufgreift! Die da wären: Erstens der Becherovka, zweitens die Verachtung für Journalisten, drittens der derbe Humor und viertens das lustvolle Trampeln auf alle Konventionen.
In Moravsky Krumlov herrscht schon seit dem Morgen Ausnahmezustand. Im Südosten Tschechiens liegt das Städtchen, das einen schmucken Marktplatz hat und ein imposantes Schloss aus besseren Tagen. Ein Polizeiwagen nach dem anderen ist aufgefahren, ein Lastwagen hat eine Bühne mitsamt weißem Zeltdach und Heizstrahlern angeliefert, zwei bullige Typen mit Polizeikelle haben die Zufahrt zur Plattenbausiedlung gesperrt. Dort wird er auftreten, der Präsident, nicht auf dem schmucken Marktplatz. Seit Generationen war kein Staatsoberhaupt mehr in Moravsky Krumlov, und die Choreographie mit etlichen VW-Bussen voller Personenschützer als Vorhut und einem Konvoi aus elf schwarzen Limousinen und einer Eskorte von blinkenden Polizeiautos soll auch den letzten Zweifel ausräumen, dass es ein großer Tag ist in der Geschichte der Stadt. „Ich weiß, dass Sie hier in Moravsky Krumlov öfters von Schicksalsschlägen getroffen wurden“, wird der Präsident später auf der Bühne rufen: „Die Pestzüge, die schwedischen Heere, eine Feuersbrunst. Und jetzt bin ich da.“
Milos Zemans Präsidentschaft gleicht einer Roadshow. Vaclav Havel, sein legendärer Vor-Vorgänger, wurde vom Kongress in Washington hofiert, er stand bei der UNO, der NATO und der EU am Rednerpult, nahm Preise überall in der Welt entgegen und wurde zur Verkörperung aller Hoffnungen auf eine freie, eine friedliche Zukunft des einstigen Ostblocks. Vaclav Klaus, der nächste Präsident, grenzte sich gegen die Europäische Union ab, die nur die nächste Stufe der Unterdrückung seines freien Volkes sei, das sich endlich der Moskauer Vorherrschaft entledigt hatte. Und Milos Zeman, der dritte Präsident nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, macht freundliche Avancen in Richtung Moskau und Peking, und weil auf seinem Amtssitz, der Prager Burg, fast keine Einladungen zu Staatsbesuchen in westlichen Ländern mehr eintreffen, bricht er regelmäßig zu seinen Landpartien durch die lieblichen Hügel in Böhmen und Mähren auf. In jeden Ort mit mehr als 5.000 Einwohnern wolle er reisen, verkündete Zeman zu Beginn seiner Präsidentschaft. Fünf Jahre ist das her, und weil jetzt per Direktwahl der nächste Präsident bestimmt wird, will er noch schnell die letzten Lücken schließen. Milos Zeman, 73 Jahre alt, tritt noch einmal zur Wahl an, und allen Umfragen zufolge darf er sich begründete Hoffnungen auf eine zweite Amtszeit machen.
Der Moderator läuft sich warm. „Gleich geht es los, in 40 Minuten wird hier der Präsident sitzen“, ruft er in das Mikrofon und die Leute in Moravsky Krumlov rücken unter dem kalten Regenschauer ein wenig enger zusammen. Die Feuerwehrleute in Paradeuniform haben die Heizstrahler in Gang gesetzt, die Bodyguards suchen mit Ferngläsern die Balkons der umliegenden Plattenbauten nach versteckten Attentätern ab und die Leute unterhalten sich darüber, warum sie Milos Zeman wählen werden. Ein paar hundert Neugierige stehen schon vor der Bühne, die meisten sind Rentner. „Er ist einer von uns“, sagt ein älterer Mann, und die Umstehenden nicken zustimmend. Die weitere Debatte geht unter, weil jetzt der Moderator mit überschlagender Stimme den Präsidenten angekündigt wie einen Boxer vor einem Ringkampf, „Miloooooooos Zeman!“ Zunächst ist eine Traube aus Personenschützern zu sehen, die ihn immer dicht umstehen, weil er trotz Gehstock unsicher läuft. Er tritt auf die Bühne, winkt in die Menge, setzt sich dann an einen Tisch, der mit seiner frisch gestärkten weißen Tischdecke aussieht wie die Tafel eines Kaffeekränzchens, und nimmt das Mikrofon. „Natürlich könnte ich jetzt eine einstündige Rede halten, an deren Ende Sie alle einschlafen würden oder mich mit Tomaten bewerfen“, sagt er, und schon dieser erste Satz hat den Zeman-Sound: Er spricht langsam, seinen Kopf neigt er dabei schräg zur Seite. Sein Bass tönt laut, und selbst bei den größten Banalitäten klingt er belehrend. „Aber erschrecken Sie nicht: Ich rede etwa zehn Minuten, denn es heißt ja so schön: Was man nicht in den ersten zehn Minuten sagt, lohnt nicht gesagt zu werden.“ Das Publikum lauscht ehrfürchtig. Nach drei Minuten ist der Präsident bei der Atomkraft angekommen, weil in der Nähe ein Kernkraftwerk steht. „Wir, die wir im Leben schon einiges erlebt haben, wissen: Die Öko-Aktivisten haben unrecht, wenn sie ständig gegen die Atomkraft hetzen und für teuer bezuschusste Solarenergie sind, für die wir alle dann mit unserer Stromrechnung draufzahlen.“ Applaus, Zeman wechselt zum nächsten Thema.
Das Schema, nach dem Milos Zemans Politik funktioniert, gibt es mittlerweile in fast allen westlichen Ländern: Er ist der große Vereinfacher. Selbst die kompexesten Sachfragen lassen sich runterbrechen auf ein Niveau, das auf der Bühne eines Marktplatzes funktioniert. Das Für und Wider der Energiewende wird zu einer Gewissheit eingedampft, die Milos Zeman mit seinem „Wir wissen doch alle“ auf den Punkt bringt. Nach dem gleichen Prinzip lassen sich alle großen Fragen dieser Zeit abhandeln: die Migration. Die Zukunft der Europäischen Union. Die Reform der Sozialversicherung. Dieses „Wir wissen doch alle“ fasst in aller Kürze den gefühlten Kampf des gesunden Menschenverstands gegen eine unbestimmte Elite zusammen. Es ist genau dieses Phänomen, das der französische Soziologe Didier Eribon beschreibt. Er ist selbst als Fabrikarbeiter-Sohn geboren worden und erntet viel Zustimmung für seine Thesen von einer verfehlten neoliberalen Politik. „Diese Leute glauben, dass das, was den gut ausgebildeten Menschen in den Metropolen nützt, automatisch gut für alle ist“, sagte er in einem Interview. Dabei sei das falsch: „Es gibt in Europa sehr viele Menschen, die marginalisiert sind, die verzweifelt sind, die über das, was in ihrem Leben vor sich geht, wütend sind.“ In Tschechien gilt das bedingt auch; zwar ist es das Land mit der niedrigsten Arbeitslosenquote der EU, und Arbeiter werden allenthalben händeringend gesucht; aber das Gefühl, dass man trotz aller Mühen, trotz aller Entbehrungen einfach nicht aufschließt zum Lebensstandard in den Nachbarländern Deutschland oder Österreich – davon sind viele frustriert. Es ist eine Frustration, die sich gegen die EU richtet, weil sich vom tschechischen Beitritt 2004 die meisten Wähler eben diese Angleichung der Lebensumstände versprochen hatten. Dass Prag rein statistisch gesehen eine der reichsten Metropolen Europas ist, gilt nicht als Gegenargument – sondern als Bestärkung, denn davon profitierten schließlich nur wenige. Und seit der Debatte um die Flüchtlingsquote, die selbst glühende EU-Befürworter in Tschechen für einen schweren Fehler halten, schließen sich die antieuropäischen Fronten immer weiter. Dass Milos Zeman gegen die EU stichelt, gegen den Islam wettert und noch dazu über „die Politiker“ herzieht, die ja gefühlt an alledem Schuld sind – das kommt bei vielen Wählern an, gerade auf dem vermeintlich abgehängten tschechischen Land. Und diese Rhetorik verfängt schließlich nicht nur in Böhmen und Mähren: Beim Brexit funktioniert sie, Marine Le Pen baut eine ganze Partei darauf auf, und auch Donald Trumps Erfolge dürften ihre Wurzel in der radikalen Vereinfachung von real existierenden Problemen haben. Das Tragische daran ist: Die Vereinfachung lässt die großen Probleme ungelöst.
Auf eines der drängendsten tschechischen Politik-Probleme geht Zeman auf der Bühne in Moravsky Krumlov nur kurz ein: Das Land hat kürzlich ein neues Abgeordnetenhaus gewählt, als Wahlsieger ging daraus ein Milliardär mit einer populistischen Bewegung hervor. Gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts, und weil keine demokratische Partei mit ihm koalieren will, liebäugelt er mit einer Duldung durch Rechtsextreme und orthodoxe Kommunisten. Es ist Milos Zeman, der laut Verfassung in dieser Situation die Fäden in der Hand hält. „Ich sage ganz offen: Ich bin unter Druck, weil einige Politiker zu mir kommen und sagen: Das Wahlergebnis gefällt uns nicht, wie wäre es mit Neuwahlen? Und ich sage: Solange ich Präsident bin, gibt es keine Neuwahlen. Es ist doch so: Der Wähler hat die Karten verteilt, und wenn die Politiker mit ihnen nicht spielen können, sollen sie abtreten und jemanden anders ranlassen.“ Applaus und Hurra-Rufe. Dass Milos Zeman den Wahlsieger trotz der laufenden Ermittlungen zum Premierminister ernannt hat, ohne eine andere Möglichkeit überhaupt auch nur in den Raum zu stellen; dass es deshalb keine stabile Regierung gibt, dass Extremisten von links und rechts wieder hoffähig zu werden drohen (bizarrerweise beide gleichzeitig): dazu sagt Zeman kein Wort. Sollen die Politiker einfach selbst schauen, was sie machen, dafür sind sie ja gewählt, und Geld kriegen sie wahrlich genug für ihr Amt.
Dabei erlag Milos Zeman am Anfang seiner Karriere noch nicht dem Zauber der einfachen Wahrheiten. Streitbar war er, angriffslustig, meinungsstark. Gleich nach der Samtenen Revolution war das, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs: Zeman war beim Wiederaufbau der sozialdemokratischen Partei mit dabei, er führte sie 1998 mit einem Rekordergebnis ins Parlament und wurde für vier Jahre zum Premierminister. Beliebt war er schon damals, ein jovialer Mann, der aus seiner Liebe zu Hochprozentigem nie einen Hehl machte und bei Interviews schon früh am Vormittag einen Schluck Becherovka anbot. Und dann kam es zu jenem Ereignis, das Milos Zeman offenbar als Zusammenbruch seiner Welt begriff: Als 2003 ein Nachfolger für Vaclav Havel gesucht wurde, wollte er ins Rennen einsteigen – aber Teile seiner Sozialdemokraten unterstützten ihn nicht, er hatte bei der Wahl keine Chance. Damals wurde noch nicht direkt vom Volk, sondern vom Parlament gewählt. Zeman verschwand in der politischen Rente – und witterte dann zehn Jahre danach seine Chance, als es erstmals eine Direktwahl geben sollte. Triumphal zog er, der sich längst enttäuscht von den Sozialdemokraten abgewandt hatte, auf die Prager Burg ein. Und begann einen erbitterten, einen gnadenlosen Rachefeldzug gegen alle, die ihn bei der gescheiterten Wahl enttäuscht hatten.
Sein Lieblingsgegner heißt Bohuslav Sobotka. Er war einer der Sozialdemokraten, die Zeman damals nicht bei der Präsidentschaftswahl unterstützten. Sobotka wurde vor vier Jahren Premierminister, und als Zeman auf einer seiner Landpartien in die tschechischen Dörfer gefragt wurde, welche Möglichkeiten es gebe, den Premierminister loszuwerden, antwortete er: „Es gibt da, wie bei jedem Politiker, die demokratische Variante, das sind die nächsten Wahlen. Und dann gibt es die zweite Möglichkeit: mit einer Kalaschnikow.“
Wie tief Zeman hassen kann, zeigt sich auch bei seinem Umgang mit Intellektuellen. Als „Prager Kaffeehausgänger“ verspottet er alle, die ihn kritisieren, und wenn es zum Beispiel ein Universitätspräsident ist oder ein Minister, der auf Einladungslisten zu offiziellen Empfängen steht, dann wird er eben rausgestrichen und darf sich nie wieder auf der Burg blicken lassen. Selbst den amerikanischen Botschafter hatte Zeman unlängst zur persona non grata erklärt, bloß weil er darauf hinwies, dass Zeman als eines von wenigen europäischen Staatsoberhäuptern an einer waffenstarrenden Militärparade in Moskau teilnehme. „Zeman ist die Rache der tschechischen Landbevölkerung an den Pragern“, so formulierten es schon bald seine Kritiker.
Und die Landbevölkerung lässt ihn nicht im Stich. Acht Minuten dauert es in Moravsky Krumlov, bis Milos Zeman das Publikum um seine Fragen bittet, er tut es mit dem Satz: „Der einzige Unterschied zwischen uns ist, dass ich ein Mikrofon habe. Und wenn Sie jetzt das Wort kriegen, gibt es auch diesen Unterschied nicht mehr.“ Ein Mann meldet sich und redet sich in Rage. Seine erste Frage: Warum die Parteien so viel Geld vom Staat bekämen, wo man doch stattdessen lieber die Renten erhöhen solle. Seine zweite Frage: Warum die Politiker sich jahrelang an ihre Ämter klammerten, sich bereicherten, aber der Präsident nur für zwei Amtszeiten gewählt werden dürfe, obwohl doch Zeman der beste Präsident sei, den das Land je hatte. Und Zeman oben auf der Bühne? Er verteidigt nicht die Parteien als zentrales Instrument der politischen Willensbildung. Er bricht keine Lanze für die Abgeordneten. Er sagt: „Sie haben Recht: Wer gewählt wird, der degeneriert. Wenn die Leute in die Parlamentspaläste kommen, sind sie anfangs normal. Sie gehen unter die Leute, sprechen mit ihnen. Und dann fangen sie an, sich abzuschotten, und selbst wenn Sie eine Fahndung nach ihnen ausschreiben würden, könnte niemand sie finden.“ Das Publikum johlt. Ein paar Minuten noch läuft das Frage-Antwort-Spiel, ein Schulkind fragt ihn nach seinem Lieblingslied („I have a dream“ von Abba, übrigens), dann bekommt der Präsident einen Karton Wein vom gerührten Bürgermeister, die Bodyguards geleiten ihn zur Limousine, die gleich hinter der Bühne wartet, und der Konvoi setzt sich in Bewegung.
Ein wenig liegt in Tschechien noch der Glanz der Habsburger Monarchie über dem Präsidentenamt. Als die Tschechoslowakei gegründet wurde, im Jahr 1918, ging sie aus dem zerfallenen k.u.k-Reich hervor, und einige Überbleibsel aus jener Zeit rettete man damals in die neue Epoche hinein. Bis heute zieren die Präsidenten schon zu Lebzeiten tschechische Briefmarken (was auf den Postämtern regelmäßig für Streit sorgt, weil einige Briefeschreiber die Zeman-Marke verweigern und auf einem anderen Motiv bestehen), ihr Portrait ziert jedes Klassenzimmer, jede Amtsstube und jeden Gerichtssaal. Und bis heute hängt der Präsident in jedem Ort, den er besucht, ein präsidentielles Gedächtnisband mit goldener Borte an die Stadtfahne – ein wichtiger Teil des Protokolls. Soviel Glanz ist eigentlich mehr von zeremonieller als von politischer Bedeutung, denn tatsächlich ist Tschechien längst eine parlamentarische Demokratie. Der Präsident hat vor allem repräsentative Befugnisse, aber seit Vaclav Havel ist es Tradition, dass das Staatsoberhaupt sie sehr eigensinnig auslegt. Bei Vaclav Klaus, dem EU-Kritiker, ging es sogar so weit, dass ihm das Parlament das Repräsentationsbudget streichen wollte, damit er nicht mehr ins Ausland reisen und dort den Klimawandel und die EU-Verortung seines Landes leugnen könne. Zeman wiederum stand schon mehrfach kurz vor einer Verfassungsklage. Die Verfassung sagt zwar, dass der Präsident eine Regierung und die Minister ernennt, aber sie sagt nicht, in welcher Frist er das tun muss. Die Verfassung sagt, dass der Präsident die ihm vorgeschlagenen Universitätsprofessoren ernennt. Wenn es sich aber um jemanden handelt, der ihn zuvor offen kritisierte, der noch dazu schwul ist und den Zeman deshalb prompt nicht ernennt, stößt die Verfassung an ihre Grenzen: Für diesen Fall von präsidentieller Insubordination sieht sie keine Regelung vor.
Immerhin: Milos Zeman baut sich Tschechien nicht nach seinem Gusto um, wie es die Populisten in Polen und Ungarn derzeit versuchen. Die Medien, die Justiz, der Staatsapparat geraten dort immer weiter in die Abhängigkeit der Regierenden; eine kalkuliert eingesetzte Abhängigkeit. Tschechien gehört zwar auch zur Visegrad-Gruppe, wie sich das lose Bündnis von Ungarn, Polen, Slowaken und Tschechien selbst nennt, und Tschechien vertritt in der Flüchtlingskrise die gleiche ablehnende Haltung wie die drei anderen Staaten auch; aber Milos Zeman ist kein nationalistischer Ideologe wie Victor Orban in Ungarn oder Jaroslaw Kaczynski in Polen. Sein Land blüht wirtschaftlich, anders als das in Problemen versinkende Ungarn. Seine Vision ist nicht der Umbau des Staates, wenn man seine Auftritte deutet, sondern: die eigene Wiederwahl.
Milos Zeman, so wird auf seiner Reise durch die Provinz immer wieder deutlich, kann nicht umschalten. Er bleibt gefangen im Modus, der auf der Bühne von Kleinstädten so zuverlässig funktioniert: Der Modus des netten Onkels, der in der Welt so viele Abenteuer erlebt und jetzt zum Tee vorbeikommt und launig darüber plaudert. Das Hotel im Ort Boskovice ist weiträumig gesperrt, es ist der dritte Tag von Zemans Besuch in Südmähren, und bevor er wieder zurückfährt ins ungeliebte Prag, gibt er noch eine Pressekonferenz. Er will die Bilanz ziehen seiner dreitägigen Reise, auf der er in zwei Firmen mit den Angestellten geplaudert und auf vier Marktplätzen sein Kaffeekränzchen abgehalten hat. Es ist die gleiche Choreographie wie schon die drei Tage zuvor: Eine halbe Stunde vor seinem Eintreffen müssen alle im Raum sein, von den Bodyguards einzeln untersucht, vorn steht ein Tisch mit Mikrofonen und Namensschildern, und dann öffnet sich die Seitentür. Der Trupp von Personenschützern zieht ein, aus ihrer Mitte schält sich Milos Zeman heraus, ein Diener zieht ihm den Stuhl zurück, damit er Platz nehmen kann, und während Zeman seinen Gehstock einem seiner Leibwächter in die Hand drückt und sich hinsetzt, sagt er mit Spott in der Stimme: „Ich wünsche Ihnen einen schönen guten Tag, meine lieben Journalisten.“ Und dann setzt er im Plauderton zu einem Referat an, das seinen Höhepunkt darin findet, dass er von einem böhmischen Kurbad erzählt, das bekannt gewesen sei für seine heilende Wirkung auf die weibliche Unfruchtbarkeit. „Seit alten Zeiten waren in der Stadt auch Dragoner stationiert. Die Stadt hatte in der Therapie der Unfruchtbarkeit einen außerordentlichen Erfolg – bis zu dem Moment, als die Soldaten abgezogen wurden.“ Warum er die Geschichte erzählt? Eine der Städte, die er besuchte, hat ebenfalls eine Kaserne. Und während sein Publikum dort die launige Geschichte mit Lachen quittierte, schauen seine Zuhörer auf der Pressekonferenz nur gequält auf ihre Uhr. Anschließend erzählt Zeman noch, wie die ebenfalls besuchte Firma Zetor, ein Traktorhersteller, dank seiner Kontakte in Russland jetzt 6.000 Traktoren dorthin liefern werde. Er beendet seinen Vortrag, nun sind Fragen von Journalisten zugelassen. Erste Frage: Zemans ernsthaftester Gegenkandidat im Rennen um die nächste Präsidentschaft habe die Befürchtung geäußert, dass die Wahl von Russland manipuliert werden könne. Teile er, Zeman, diese Sorge? Zeman bleibt im Plauderton: „Ich halte es für eine Beleidigung der tschechischen Bürger, wenn es heißt, sie könnten von imaginären ausländischen Diensten beeinflusst werden. Das würde bedeuten, dass die tschechischen Bürger nicht mündig sind. Und jemand, der als Präsident kandidiert, sollte seine Bürger nicht für unmündig halten.“
Ganz abgesehen davon, dass der tschechische Geheimdienst seit Jahren offen vor russischen Agenten warnt, die immer stärker Einfluss auf gesellschaftliche Debatten zu erlangen versuchten; ganz abgesehen, dass es im Baltikum eine eigene Behörde gibt, die nur dafür da ist, von Russland gestreute Falschinformationen und Gerüchte zu falsifizieren und dass in Amerika eine ganze präsidentielle Administration unter Druck gerät, weil der Verdacht der russischen Einflussnahme auf die Wahlen im Raum steht: Milos Zeman prägt durch seinen Stil nicht nur die tschechische Innenpolitik, sondern auch die Verankerung des Landes nach außen. Und genau da, klagen seine Gegner, werde es besonders gefährlich. Dass es Zeman ist, der Tschechien – gegen den erklärten Kurs der bisherigen Regierung, die für die Außenpolitik eigentlich zuständig ist – in Richtung Russland und China führt, lässt sich mit Investitionen und guten Geschäften begründen. Es lässt sich dank ihnen überspielen, dass Zeman offen der EU in den Rücken fällt, wenn er die Sanktionen gegen Russland für hinfällig erklärt. Wenn er beim Europarat verkündet, die Annektion der Krim durch russische Soldaten sei nun einmal passiert; Kiew solle einfach mit Moskau über eine angemessene Ausgleichszahlung verhandeln und sich ansonsten mit den geschaffenen Fakten abfinden. Wenn er bei einem Auftritt mit Vladimir Putin, bei dem die beiden von Fotografen umringt sind, in seinem launischen Ton verkündet, es gebe zu viele Journalisten, man müsse sie liquidieren (worauf sogar Putin das Gesicht verzog und sagte, liquidieren müsse man sie nicht, aber es gebe in der Tat zu viele Journalisten). In einem Interview für das chinesische Staatsfernsehen sagte er, Tschechien könne von China in Sachen des gesellschaftlichen Zusammenhalts viel lernen. Und als unlängst der Präsident des chinesischen Milliarden-Volkes zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte auf einen dreitätigen Staatsbesuch ins Zehn-Millionen-Einwohnerland Tschechien reiste, stellten sich entlang seiner Fahrtrouten offenkundig mitgereiste Chinesen auf, die ihm zujubelten. Weil sie schon einmal da waren, griffen sie auch gleich Gegendemonstranten an, die mit Tibet-Fahnen schwenkten. Zeman bezeichnete die Demonstranten mit Tibet-Fahnen als „geistig anormale Menschen“. Für ihn selbst war der Staatsbesuch, auf den er lange hingearbeitet hatte, ein voller Erfolg: Verträge für viele hundert Millionen Euro, so wurde verkündet, seien parallel dazu unterzeichnet worden.
Auslandsreisen stehen jetzt erstmal nicht mehr auf Zemans Programm; die Ärzte haben ihm sowieso zur Mäßigung geraten, weil er während seiner Amtszeit immer wieder wegen Krankheiten ausgefallen ist. Auf den Autogrammkarten, die seine Mitarbeiter in dicken Stapeln auf den Marktplätzen verteilen, wo Zeman auftritt, ist er auf einem Foto zu sehen, das zu Beginn seiner Amtszeit entstanden sein muss. Der Mann, der auf der Bühne sitzt und redet, ist sichtlich gealtert. „Danke für Ihre Gunst“, steht auf den Karten, darunter Zemans Unterschrift. Die Wahl steht an, und Zeman hofft, nun die Früchte seiner jahrelangen Landpartie durch Böhmen und Mähren zu ernten. Sein Team lässt am glücklichen Ausgang der Wahl keinen Zweifel zu; geleitet wird es übrigens von Zemans Ehefrau. Er führte sie mit einem etwas verrutschten Kompliment ein, das es in Tschechien inzwischen zum geflügelten Wort gebracht hat: „Meine Frau hat gewisse Führungsqualitäten, auch wenn sie nicht so aussieht.“
Es sind solche Äußerungen, die Zeman so beliebt machen: Nicht umsonst fragen tschechische Umfrageinstitute vor Wahlen gern, mit welchem der Kandidaten man am liebsten mal ein Bier trinken gehen wolle. Und Zeman? Der ist nun einmal ohne Frage unterhaltsam, man kann ihn sich gut in jeder der böhmischen Kneipen vorstellen, in denen die Halbliter-Humpen mit Bier gewuchtet werden und wo die Tischdecken grün sind in den Farben der Brauerei. Didier Eribon, der französische Soziologe, sagte in dem Zeitungsinterview dazu: „Niemand wählt eine Partei, weil er mit ihr in jedem einzelnen Punkt übereinstimmt. Wir wählen Parteien, weil wir in dem Weltbild, das sie vor Augen haben, selbst vorkommen.“
Original