Das St.-Vincentius-Krankenhaus Speyer nutzt einen neuen Alterssimulationsanzug für die Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften. Katja Edelmann hat die 20 Kilogramm schweren Accessoires im Selbstexperiment anprobiert.
Schwer. Lahm. Scham. In den letzten Minuten bin ich um 30, 40 Jahre gealtert. Station 9, Vincentius-Krankenhaus Speyer. Ich stehe gekrümmt, atme schwer. Wie mit einer einseitigen Lähmung hängt der linke Arm wie Blei an mir, der rechte liegt eingeengt und angewinkelt in einer Schlaufe. Das rechte Bein ist versteift, ich schleppe es wie einen Fremdkörper mit. Links halte ich meinen Gehstock fest, so wie meine Finger noch Kraft haben. Wackelig stehe ich da. Wenn mich jetzt jemand anrempelt, verliere ich das Gleichgewicht.
„Wir laufen jetzt mal“, sagt Schwester Julia. Sie stützt mich auf der linken Seite. Rechts an der Wand gibt es einen Handlauf. Ich bewege mich mit dem steifen Bein langsam den ebenerdigen Flur entlang. Meine Sicht ist getrübt, begrenzt wie durch ein Fenster, teilweise sehe ich nur Ausschnitte. Weite und Höhe des Flures sind schwer einzuschätzen, Stolperfallen lauern. Das einfache Laufen braucht Konzentration. Wo müssen wir hin? Rechts? Ich suche Orientierung. Die Ohren geben keine mehr. „Sie sprechen sehr laut“, sagt Schwester Julia. Wirklich? Die anderen sprechen so leise. Ich höre nur meine Stimme. Ein Mann, der uns mit interessiertem Blick mustert, sagt etwas. Es dröhnt und rauscht. Ich verstehe ihn nicht. Er wiederholt es, sagt etwas wie „Gesicht“. Nach zwei Nachfragen schreit er fast zurück. Er meinte die „Sicht“. Ein Schleier auf den Augen, ein Schleier vor den Ohren. Den Gedanken, wie ich mich bücken könnte, um etwas aufzuheben, verwerfe ich schnell. Ich käme nicht hinunter. Andere müssten mir helfen. Ich schwitze vor Übergewicht, bin überwältigt vom Gefühl des Gefangenseins. Gewichte beschweren und beengen meine Gelenke, Füße und Hände, meinen Hals und meinen Rumpf, 20 Kilogramm schwer.
Ich trage den Alterssimulationsanzug GERT (gerontologischer Testanzug), der laut Hersteller das „Erlebnis Alter schafft“. Die Sparkasse Vorderpfalz hat die 25-teilige Ausrüstung der Gesundheits- und Krankenpflegeschule des Vincentius-Krankenhauses im Sommer gespendet. Die Nachwuchs- Pflegekräfte lernen den Anzug in der Ausbildung kennen. 2018 sollen ihn auch ausgelernte Pflegekräfte in einer innerbetrieblichen Weiterbildung ausprobieren können, vielleicht sogar die Verwaltungsangestellten. Knapp 3000 Euro kostet das Modell mit Gewichtsweste, beschwerenden Bandagen und Manschetten für die Gelenke, Überschuhen, Handschuhen, Kopfhörern und gar einem TENS-Gerät, das Alterszittern simuliert. Sechs verschiedene Simulationsbrillen machen erlebbar, wie man mit Grauen, Grünen Star oder einer Netzhautablösung noch sehen kann.
...
Original