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Der Zeitgeist vespert mit

Das Alpenländische hat Konjunktur. Sogar im Schwarzwald. In Lauterbad floriert seit zwei Jahren eine Berghütte - beziehungsweise die modernisierte Version davon.

KATHRIN LÖFFLER

Früher rasteten Tourengeher so: Ein bärtiger Alm-Öhi reichte ihnen zwischen Kuhstall und Wegstrecke auf speckigen Bänken einen trockenen Ranken Brot mit fingerdick Stinkekäse drauf. Inzwischen geht das auch anders. Zum Beispiel drei Kilometer südlich von Freudenstadt, 757 Meter über Normalnull.

Hier steht eine Hütte mit Corporate Design: mintgrüne Kissen, mintgrüne Servietten, Bedienungen in mintgrünen Dirndl-Blusen. Die Speisekarte bietet Hirschburger, „Bling-Bling-Sekt", Kirschwasserparfait und Weideochsensülze im Einweckglas auf Salatbouquet. Die Schankanlage ist ein elektronisches High-End-Gerät, sogar der Schnaps rinnt auf Knopfdruck aus dem Automat. Der Wirt trägt Weste mit Einstecktuch, Hipsterbrille und Gelfrisur und sagt: „Wir sind schneller, sexier und cooler als andere Hütten."

Vom Hotelchef zum Wirt

Der Wirt ist Steffen Schillinger und eigentlich Hotelchef. Seiner Familie gehören zwei große Häuser in der Wellnesstourismus-Hochburg Lauterbad. Eines davon heißt „Zollernblick" und steht an einem panoramagesegneten Hang. Drumherum war früher nichts außer Bäumen, Wiesen und einem mäßig frequentierten Skilift. Ein Kiesweg führte vom Hotel vorbei an Moosgeflecht und Schwarzwaldwipfeln nach oben ins Nirgendwo. Bis Schillinger ins Nirgendwo die Hütte bauen ließ. Im Juni 2014 war Eröffnung. Inzwischen ist aus dem Kiesweg eine Pilgerstrecke für Wanderurlauber geworden, an Schönwettersonntagen kehren bis zu 1000 in der neuen Alm ein. Der Anstoß zum Projekt kam von Julian Osswald. Freudenstadts Oberbürgermeister entwickelte ein neues Hüttenkonzept für die Umgebung und überzeugte die Hoteliersfamilie Schillinger, mit einzusteigen.

Steffen Schillinger, 33, sagt: Ohne die beiden Hotels wäre der Hüttenbetrieb nicht zu stemmen. In den Hotelküchen werden Garnelen und Gulaschsuppen vorproduziert und vakuumiert, aus dem Mitarbeiterpool der Hotels kommen je nach Bedarf weitere Einsatzkräfte. Zum Hütten-Stammpersonal gehören drei Köche, ein Spüler und Serviceleiterin Roswitha Haizmann. Bei Hochbetrieb sind rund 15 Leute mehr im Einsatz.

Neben den Wanderern setzt Schillinger auf Partygesellschaften. 680 Weihnachtsfeiern und Geburtstage hat sein Hüttenteam bereits geschmissen, von April bis Oktober wird jeden Samstag eine Hochzeit gefeiert, 2017 ist komplett ausgebucht. Und es gibt öffentliche Veranstaltungen auf der Hütte. Schillinger nennt diese Veranstaltungen allerdings „Events". Mit vergilbter Provinzromantik haben die nicht mehr viel zu tun. Schillinger lädt sich „Deutschland sucht den Superstar"-Teilnehmerinnen in seine Location oder zum sogenannten Berghüttenfestival. Letzteres war im August. Es begann mit Brunch, mittags spielte eine Soulband, hinterher eine Rock-Combo, nachts legten Elektro-DJs auf. Die Schwarzwaldkulisse war neongrün illuminiert, die Hüttenfassade leuchtete in poppigem Magenta, 4000 Menschen tanzten, aßen Pulled Pork und rotierten zwischen Weinstationen.

Kein Ort für Einsiedler

Selbst an wintergrauen Werktagen ist der Gastraum kein Ort für Einsiedler. Junge Familien mit Baby sitzen zwischen Seniorenpärchen mit Hund, flackernden Windlichtern und Design-Ofen. Warum der Erfolg? „Region ist Trend, Heimat ist Trend", sagt der Chef. Vom „alten, biederen Schwarzwald" redet er da nicht. Schillinger will Tradition nur mit Update. „Modern, jugendlich, pfiffig" soll das regionale Ambiente daherkommen.

Bollenhüte suchen Gäste in der Hütte vergebens. Stattdessen finden sie eine modisch aufgemotzte, aber auch eher universalgültige Heimatfolklore. Schillinger beschreibt das Interieur als „alpinen Lifestyle". Doch ein wenig Lokalspezifik steckt dann doch darin: Der verantwortliche Schreiner hat 300 Jahre altes Holz von einem Bauernhof aus der Gegend verbaut.

Es kommt auch mal vor, dass Hüttengäste auf den Tischen stehen. Volksfestzelt-Atmosphäre soll sich in der Berghütte Lauterbad aber nicht durchsetzen. Zielgruppe: „Mit Niveau, aber ohne Krawatte". Sowohl Anzugträger als auch dreckbespritzte Mountainbiker gehören dazu. Hauptsache, lässig.

Dagegen sind die Arbeitsabläufe penibel durchgetaktet. Jedes Gericht wird zur Probe gekocht und bewertet, jeder Handgriff hinterfragt, jeder Laufweg optimiert, jedes Dezibel der brühenden Kaffeemaschine berücksichtigt. Jede programmierte Rhabarberschorle muss in vier Sekunden fertig sein. Effizienz zählt. Schillinger hat sich „so wenig waste of time wie möglich" vorgenommen. Urige Gemütlichkeit bleibt auf der Berghütte 4.0 den Gästen vorbehalten.

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