Hélène Vuille muss lachen, wenn sie ihre Anfänge als Lebensmittelaktivistin beschreibt: "Die von der Migros wären wahrscheinlich froh gewesen, ich wäre nie mehr wieder gekommen." Am Freitagmorgen um fünf vor neun ist der kleine Saal im unteren Stock des reformierten Kirchgemeindehauses in Dietikon rappelvoll. An die 50 Zuhörerinnen und Zuhörer wollen den Vortrag von Hélène Vuille nicht verpassen.
Den Lesern der Limmattaler Zeitung ist der Name Hélène Vuille nicht neu. War die Zeitung doch die erste, die Berichte über das Frischprodukte-Projekt der Birmensdorferin veröffentlichte. 2013 wurde sie zur Limmattalerin des Jahres gewählt und sie findet, dass sie es dem "Limmattaler" zu verdanken habe, dass sie vermehrt Unterstützung aus der Öffentlichkeit erhält: "Die Leute bieten mir alle möglichen Hilfen an, die einen wollen Socken stricken, die anderen Lieferfahrten übernehmen."
Ihren Vortrag im Kirchgemeindehaus beginnt sie mit einer Zusammenfassung ihres Werdegangs. Sie erzählt, wie sie vor fünfzehn Jahren an einer Migros-Gourmessa-Theke in Zürich-Wiedikon stand und ihr auffiel, wie Frischprodukte am Ende des Tages weggeworfen werden. Wie sie als Ein-Frau-Unternehmen Anlauf um Anlauf nahm, um durchsetzen zu können, dass eine einzige Migros-Filiale bereit war, ihr die Esswaren für ein Obdachlosenheim mitzugeben. Wie sie nach drei Jahren die Caritas als Vertragspartnerin gewinnen konnte und wie sie in einem kleinen Etappensieg ihre Route auf fünf Filialen und fünf Heime ausdehnte.
2013 kam der grosse Durchbruch, und die Migros unterzeichnete einen Vertrag, der allen Filialen im Kanton Zürich erlaubt, Frischprodukte abzugeben.
Anschliessend geht Hélène Vuille zum Schwerpunkt über - der Lesung aus ihrem 2012 veröffentlichten Buch "Im Himmel gestrandet". Darin erzählt sie die Geschichten der Menschen, die sie in Heimen antrifft. Die Leute scheinen ihr zu vertrauen und erzählen in traurigen Details von ihrem Leben. Vier der zehn vorgelesenen Geschichten enden mit dem Tod des Protagonisten. Eine Frau verschwindet spurlos.
Doch es ist wohl genau diese Nähe zu den Erzählenden, die die Leser fasziniert. Hélène Vuille sagt, dass sie vermehrt von Schulen eingeladen wird, die das Buch mit den Schülern gelesen haben. Eine Maturandin habe sie sogar begleitet und ihre Maturarbeit darüber geschrieben.
So ist es auch nicht erstaunlich, dass die Schriftstellerin mit dem wachen Blick schon das nächste Buch im Kopf hat. Sie habe noch so viele Geschichten von Obdachlosen zu erzählen. Da das erste Buch ein Erfolg war, hätten jetzt viele Randständige Mut gefasst und kämen selbst auf sie zu.
Es kann aber noch etwas dauern, bis sie dieses Projekt angehe: "Ich bin soeben Grossmutter geworden", strahlt sie. Sie möchte sich momentan Zeit für die Familie nehmen.