Lieblingsnürni Wendelin Reichl
Als die Prinzen in den 90er Jahren Fahrradfahrer als Genießer besangen, durchschnitt Wendelin Reichl grade als kleiner Steppke den Laufamholzer Reichswald auf dem Mountainbike. Heute ist das Rad für den 34-jährigen Kulturgeographen eine Art Körperteil, mit dem er die Welt erkundet – und dabei seine Grenzen wie auch die der städtischen Radverkehrsförderung auslotet, für die er in seiner Masterarbeit ein ernüchterndes Ergebnis ausgearbeitet hat: „Fahrrad fahren im Nürnberger Stadtverkehr ist gefährlich und macht wenig Spaß. Dabei könnte mehr Radverkehr dazu beitragen, unsere Stadt noch lebenswerter zu machen.“ Sehr viel Spaß hingegen macht Wendelin Reichl seine Arbeit als Kulturmanager. Der Schlagzeuger der Punkband „The Limbic System“ ist seit 2019 beim Amt für Kultur und Freizeit im südpunkt für Programm- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig und seit 2020 gemeinsam mit dem Südstadtfest e. V. verantwortlich für die Gesamtkoordination des „größten und buntesten Stadtteilfestes Nürnberg“, bei dem jährlich im Sommer die Welt zu Gast im Annapark ist. Selbst zu Gast in der Welt hingegen ist Wendelin Reichl am liebsten per Pedal oder Pedes – und hier kann’s gar nicht weit und hoch genug sein. Bereits 2017 erklomm er in neun Wochen den jeweils höchsten Berg aller sieben Alpenländer, bestieg 2015 den bolivianischen 6000er Huayna Potosí, radelte im Sommer 2023 2000 Kilometer mit Zelt alleine durch die italienischen und südfranzösischen Alpen und fuhr, weil’s grad so gut gepasst hat, direkt im Anschluss mit dem Gravel Bike an einem Tag 300 km von Nürnberg nach Kassel. Natur, Ruhe und Abgeschiedenheit sind das eine – „die unglaubliche Erfahrung von Freiheit und Unabhängigkeit“ das andere. Wohin die nächste Challenge geht, ist noch nicht ganz klar. Längst in Planung hingegen: das Südstadtfest 2024 – und wahrscheinlich das ein oder andere fränkische Bier. Eben doch ein Genießer.
Nürnberg hat viel Geschichte – aber an diesem Ort hat die
Stadt für mich Zukunft:
Der Annapark. Einst ein privater Garten Wohlhabender, wurde er zu einem der
wichtigsten Naherholungsorte der Südstadt. Für alle Menschen.
Und einmal im Jahr kann man hier auf dem Südstadtfest Zeuge davon werden, welch
eine schöne und friedliche Welt möglich ist. Eine Welt voller gelebter
Vielfalt. Eine Welt auf Augenhöhe. Das finde ich ein schönes Sinnbild.
Hier zeigt sich die Stadt von ihrer nürnbergerischsten Seite:
Im breiten und starken Angebot an Kulturveranstaltungen. Neben den engagierten
Menschen aus freier Szene und Stadtverwaltung ist das auch den beherzten
Investitionen der Stadt Nürnberg zu verdanken. Diese „nürnbergerische
Seite", dieser Einsatz für ein Kulturprogramm, das so vielfältig ist, wie
die Stadtbevölkerung selbst, ist so wichtig und muss dringend beibehalten
werden.
Kleine Pause oder große Auszeit: meinen Ruheort in Nürnberg finde ich hier:
Im Pegnitztal Ost mit seinen wunderschönen Auen, dem Unterbürger Weiher, der
Ruine Oberbürg oder dem alten Industriedorf Hammer. Hier findet man immer ein
ruhiges Plätzchen.
Oder bei einer Feierabend Fahrradrunde durchs westliche Pegnitztal, entlang der
Regnitz hoch auf den Solarberg bei Stadeln. Hier hat man einen beeindruckenden
360°-Gipfelblick.
Vielleicht ist das Schönste an Fürth am Schluss doch der Blick nach Nürnberg?
Einen Tag lang Tourist in der eigenen Stadt sein? Dann mache ich in Nürnberg
folgendes:
Mit Gästen freilich erst einmal Altstadt und Kaiserburg (man muss schon zeigen,
was mer hat). Weiter mit dem VAG Rad zum Reichsparteitagsgelände (… und zeigen,
dass sich Geschichte nicht wiederholen darf). Abstecher zum
Max-Morlock-Stadion. Abendessen im Landbierparadies in der Sterzinger Straße,
anschließend edel extra mit der U1 und eine Kneipentour vom Café Express nach
Gostenhof oder ins Burgviertel.
Nürnberg ist für mich Spielwaren, Lebkuchen, Bratwurst, Dürer und ...
… leider überflutet mit Autos. Unsere Wohnviertel sind voll bis zum Rand.
Gerade ältere oder behinderte Menschen können die zugeparkten Kreuzungen kaum
noch überqueren. Ein Kind auf dem Fahrrad selbstständig in die Schule fahren zu
lassen, zumeist unverantwortlich. Von den Auswirkungen auf Gesundheit, Umwelt
und Gesellschaft ganz zu schweigen. Was wir dem Autoverkehr opfern ist mir
unbegreiflich.