Vor bald drei Jahren gründete sich die Initiative „Nurban
Art“. Das hehre Ziel: mehr Farbe für Nürnberg, mehr Flächen für Street Art,
mehr Akzeptanz für Graffiti als zeitgenössische Kunstform. Dass seitdem
furchtbar viel passiert wäre, kann man vorsichtig gesagt nicht direkt
behaupten. Dabei entpuppte sich gerade im vergangenen Sommer die Gestaltung der
Theodor-Heuss-Brücke als Publikums- und Menschenmagnet. Ein Meilenstein?
Die Urlaubszeit ist längst vergangenen. Die Bilder aus
fernen Ländern und nahen Städten sind geblieben. Großformatige Wandgestaltungen
und winzige Kunstwerke, kleine Ergänzungen des Stadtbilds und riesige
Überraschungen, mit denen Menschen, Künstler auf der ganzen Welt gegen
vergammelnde Fassaden und graue Trostlosigkeit angehen. In Nürnberg sucht man
derlei zwar nicht (mehr) vergebens, doch nach wie vor finden sich solche
Beiträge zur Stadtkultur eher wohlst dosiert.
„Wir sitzen seit zwei Jahren an einem runden Tisch zusammen und es ist
noch keine einzige Fläche dabei herausgekommen“, sagt Carlos Lorente, Künstler,
Graffiti-Akademie-Gründer und rühriger Prophet in Sachen Straßenkunst.
Gemeinsam mit Julian Vogel und Stadträtin Eva Bär gründete er 2015 diejenige
Initiative, die den über die Stadt verteilten raren Bilderteppich gern
verdichten möchte. An besagtem runden Tisch findet sich zweimal jährlich ein
Gremium ein, um Flächen und Projektideen zu besprechen. Vertreter von SÖR,
Hochbau- und Jugendamt und dem Beirat Bildende Kunst sowie „Künstlerinnen und
Künstler, die sich berufen fühlen und ihren Bedarf vortragen“, erzählt Lorente.
Das klingt erstmal prima, doch schon klingt Frust durch. Grundsätzlich sei
Bereitschaft da, vor allem aber würde seitens der Entscheidungsträger auf
mögliche bürokratische Hürden verwiesen, nicht hinsichtlich einer Machbarkeit
gegrübelt, sondern Bedenken geäußert. Da gehe es dann um mögliche
problematische Entsorgung bemalter Mauern, um diffuse Verletzungsgefahren.
Aber, freilich, auch um Dinge wie „Ensembleschutz“, betonen
Andreas Wissen und Pirko Schröder vom Beirat Bildende Kunst, einem
Beratungsgremium, das Empfehlungen ausspricht, sobald Kunst im Öffentlichen
Raum oder auf städtischem Grund geschehen soll; besonders die Altstadt reagiert
unter Umständen empfindlich. Dabei gibt es mit „Sgraffito“ (Kratzputz) oder der
guten alten „Lüftlmalerei“ eine so lange wie urbayerische Tradition in Sachen
Wandbilder. Dass nicht alles überall hin passt, ist klar. Vor allem aber, so
Pirko Schröder, selbst freie Künstlerin, wünsche man sich Diversität:
„Verschiedene Stile und Inhalte, vor allem an exponierter Stelle“ wären toll, finden
zwar gelegentlich, aber zu wenig statt. Insbesondere aber muss man Flächen
finden, und da gibt sich zumindest SÖR zurückhaltend. Eine neue „Hall of Fame“,
also offizielle Übungsfläche, von denen es („ein Armutszeugnis“) in Nürnberg
quasi keine gibt? Keinesfalls. „Wir haben ja eigentlich nur Brücken“, sagt
Pressesprecher André Winkler, für den Graffiti „Kür, aber keine Pflicht“ ist.
Zu deren Gestaltung stehe man „prinzipiell aufgeschlossen“, habe beispielsweise
bei der Neugestaltung der Unterführung Kontumazgarten gezielt Wandbilder
miteingeplant – und die binnen kürzester Zeit zerstört gesehen. „Nicht alle
halten sich an Regeln“, mein Winkler. Ob das vielleicht Ausdruck des Unmuts
darüber sein könnte, dass kein lokaler Künstler malen durfte? Schließlich, weiß
auch Pirko Schröder, sei mit der Westbad-Mauer als „tolles Ergebnis eines
Wettbewerbes“ ein riesengroßes Kunstwerk seit stolzen sechs Jahren unversehrt.
Andere, nicht-städtische Einrichtungen zeigen sich offener.
Die WBG gibt nach und nach mehr Flächen frei, erkenne „den Mehrwert einer
ordentlichen Bemalung“, auch die Sparkasse „hat entschieden, dass die gesellschaftliche
Relevanz von Graffiti so groß ist, dass das unterstützt werden muss“, berichtet
Carlos Lorente. So konnte unlängst eine Offene Werkstatt für Kinder und junge
Erwachsene realisiert werden. 8000 Euro für ein Jahr – Geld, von dem Farben,
Untergründe, Ausrüstung gekauft werden. Denn neben dem akuten Mangel an
interessanten Flächen, von denen die meisten Privatpersonen, Genossenschaften
oder Firmen gehören, sieht es auch mit einer Finanzierung bislang mau aus.
Bisherige Aktionen, so Lorente, hätten mit Kleinstsubventionen von 2000 Euro
auskommen müssen. Die Gestaltung der Theodor-Heuss-Brücke, bei der immerhin 35
lokale und internationale Künstler mitwirkten, war nicht nur organisatorisch
ein Kraftakt, sondern sei im Ergebnis „allein der Brückenkopf mindestens 10 000
Euro wert.“
Alles pro bono, Ehrenamt, auf Spendenbasis. Ist das richtig für
etwas, an dem sich so viele Menschen kostenlos ergötzen können, das ein
Stadtbild so sehr aufwertet? Um so größer ist die Freude über ein Pilotprojekt,
bei dem 2019 in Langwasser zehn große Wände gestaltet werden sollen. „Das erste
Mal, dass so etwas konzeptionell und mit Fördergeldern angegangen wird.“ Ideen
zur weiteren Ausgestaltung der Stadt gibt es für Lorente viele: Lärmschutzwände
und Trafo-Häuschen, „so ziemlich jedes Brückenbauwerk beispielsweise rund um
den Wöhrder See“ oder entlang des Main-Donau-Kanals, „ein Betonmonster“, das
man nach Art der Berliner Mauer zu einer Freilicht-Galerie gestalten könnte.
„Das wäre doch eine tolle Werbung für Nürnberg“, meint Lorente – auch
hinsichtlich der Casa Kulturhauptstadt. „Jedes gut gemachte Mural ist eine
touristische Attraktion“. Man könne „Stadtgeschichte so leicht erlebbar
machen“, moderne Stolpersteine, partizipativ in den Stadtteilen mit
Gemeinschaftshäusern Themen erarbeiten. Zukunftsmusik?
Sowohl der Beirat Bildende Kunst als auch SÖR, der just in dieser Sekunde das grauslige Toilettenhäuschen im Stadtpark sowie den Karl-Bröger-Tunnel zur Gestaltung freizugeben ankündigt, zeigen sich „prinzipiell für alles offen.“ Was nur irgendwie ein bisschen fehle, seien die Künstler. Nicht überhaupt, denn es gibt genug hervorragende Talente in der Stadt. Doch die sind möglicherweise eingeschüchtert von der Arbeit vor der Arbeit. Hier aber kommt wiederum „Nurban Art“ ins Spiel. „Wir wollen keinesfalls alleinige Akteure sein“, betont Carlos Lorente, „sondern eine Plattform, die unterstützend und organisatorisch wirken kann und möchte, wenn Künstlerinnen und Künstler aller Stilrichtungen Hilfe bei der Umsetzung von Ideen benötigen.“ Also: Bitte melde dich!