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Höher, schneller, weiter - die rasantesten Fahrgeschäfte

Sie heißen „Jules-Verne-Tower“, „Mr. Gravity“, „Hangover“ oder „Cyberspace“ und locken mit den wildesten Superlativen: „Höchster mobiler Riesen-Kettenflieger der Welt“ oder „größtes Freifall-Karussell der Welt“ lassen die Herzen vieler Adrenalin-Junkies sicher freudig höher schlagen. Wie gut, dass all diese Fahrgeschäfte noch bis 15. April auf dem Volksfestplatz am Nürnberger Dutzendteich auf mutige Besucher warten. Aber was passiert eigentlich in so einem menschlichen Körper, wenn die Schwerkraft ausgehebelt, das vielfache des eigenen Gewichts aufgebracht wird?

Der Sturz kommt dann doch ein bisschen plötzlich. Grade eben noch hat man die Aussicht genossen, die höchst ungewöhnliche Perspektive auf die Altstadt und das Aufmarschgelände, die einem in 85 Metern Höhe geboten wird. Wer angesichts dieser Info nicht schon in sich zusammenfällt vor lauter Höhenangst, der baumelt fröhlich mit den Füßen und beobachtet interessiert das Ameisentreiben irgendwo weit unter sich. Bis irgendwo ein Knopf gedrückt wird – und alle 24 Gäste des rasanten Fahrgeschäfts ziemlich haltlos in die Tiefe stürzen. 80 Meter geht’s hinab, bei einer Fallgeschwindigkeit von 25m/s, also 90 km/h. „Wie im Weltall die Astronauten“ fühle man sich in dieser kurzen absoluten Schwerelosigkeit, erklärt Jürgen Becker, und der muss es wissen. Seit 25 Jahren beschäftigt sich der ehemalige Physiklehrer mit „Spielzeugphysik“, weiß alles über Achterbahnen und Kettenkarussells, über Kräfte und Wirkungen – zumal auf den menschlichen Körper. Am 8. April gibt es deswegen erstmalig eine Führung mit dem 64-Jährigen über den Volksfestplatz, um „Physikalische Phänomene an Fahrgeschäften“ zu erkunden. Auf leicht verständliche Weise will Becker erklären, was das eigentlich ist, ein freier Fall, und was genau passiert, wenn man in der „Wilden Maus“ urplötzlich aus der Geraden in einen Kreis hineingefahren wird. Physikalisch. Körperlich nämlich passiert ein ziemlich abruptes Um-die-Ecke-Schleudern, bei dem man sich wünscht, man hätte die letzten Sporteinheiten „Rücken-Fit“ vielleicht lieber doch nicht geschwänzt. Oder anderes gleich ganz ausgelassen: „Ein bisschen schrecklich“ sei es im „Jule-Verne-Tower“ gewesen, sagt Dörte und tupft sich die Fahrtwindtränen aus den Augen. Ein normales Kettenkarussell ist manch einem schon nicht geheuer – eines in 80 Metern Höhe, das muss man dann schon wollen. Als Lohn für den Mut gibt’s einen unvergesslichen Rundumblick und eine „harmonische Körperwahrnehmung“, so Jürgen Becker, der erklären kann, was die gleichmäßige Krafteinwirkung und Kreisbewegung mit der Wirbelsäule anstellt. Gar nichts schlimmes nämlich. Das ist längst nicht bei allen Fahrgeschäften der Fall: Menschen mit beispielsweise Bluthochdruck, Wirbelsäulenproblemen oder einer bestehenden Schwangerschaft tun gut daran, sich an die deutlich lesbaren Warnhinweise bei manchen Fahrgeschäften zu halten. Die sind „nicht überzogen, sondern ergeben absolut Sinn“, so der Physiker. „Ein erhöhter Puls, ein bisschen Schwindel – das ist freilich normal und erwünscht.“ Und garantiert zu erwarten beim „Cyberspace“, einer „Höllenmaschine“, wie sich Sebastian freut und verwundert feststellt, dass Magen und Gehirn noch an Ort und Stelle sind. Ein Wahnsinnserlebnis, bei dem die Fahrgäste kreuz und quer und über Kopf und in die Höhe und krachend auf den Abgrund zu geschleudert werden – und letzter Sekunde abgefangen. Das alles ist freilich streng überwacht und gesichert. Beim Freifallturm beispielsweise, erklärt Jürgen Becker, sorgen ähnlich wie bei Zügen oder Achterbahnen spezielle Magnetkonstruktionen für ein sanftes Abbremsen – selbst bei Stromausfall. Für einen gesunden Menschen völlig problemlos, dafür ein besonderer Kick, der auch dem Physikspezialisten große Freude bereitet und der schließlich „lebe von plötzlichen Richtungsänderungen oder Schwerelosigkeit“, bei der sich dieses ganz bestimmte Gefühl im Bauch, das Flattern und Kribbeln dadurch erklärt, dass die Organe nicht wie sonst aufeinanderliegen und -drücken, sondern schwerelos nebeneinander her fallen. Beim „Höllenblitz“ hingegen geht’s um Tempo – und Dunkelheit. Die Achterbahn liegt nicht wie üblich im Freien, sondern im Inneren einer Fahrgeschäftskonstruktion, was eine ziemlich rasante Fahrt im Dunklen ermöglicht. Überraschende Abstürze und Blicke in unvermutete Tiefen inklusive. Dass sich die Gondel während der Fahrt lustig um sich selbst dreht, verleiht dem Ganze noch einen magenunbeständigen Charakter. Deswegen gilt hier wie überall: „Wer viel Alkohol im Blut hat, gehört nicht in ein Fahrgeschäft“, mahnt Jürgen Becker, und man kann sich wohl vorstellen, was passiert, wenn so ein umhergewirbelter Magen allzuvoll ist mit Getränk und Volksfest-Spezereien. Das probieren wir lieber nicht aus. Wohl aber die vielen „Handversuche“, die Jürgen Becker für seine Sonderführung vorbereitet hat.

„Physikalische Phänomene an Fahrgeschäften“: Sonderführung mit Jürgen Becker am Sonntag, 8. April, 15-16.30 Uhr, Treffpunkt: Eingang Bayernstraße; Teilnahme kostenlos, maximal 30 Teilnehmer, keine Voranmeldung notwendig; volksfest-nuernberg.de