1 subscription and 4 subscribers
Article

Seven Summits der Alpen - mit dem Rad zu den sieben höchsten Gipfeln

Sieben Länder, sieben Gipfel – die „Seven Summits der Alpen“ sind eine echte Herausforderung für Natur- und Bergfreunde, angesichts derer weniger ambitionierte Hobbyspaziergänger nur ungläubig den Kopf schütteln können. Doch dazu noch 2400 Kilometer und 26000 Höhenmeter mit dem Fahrrad? Ein junger Nürnberger hatte sich im Sommer 2017 dieser Herausforderung, die zugleich eine an seine eigene Leistungs- und Willensfähigkeit war, gestellt. Längst ist er wieder gesund in der Heimat zurück. Und zehrt doch freilich immer noch von den gemachten Erfahrungen.

Es ist eine wahre Mammuttour, die sich Wendelin Reichl im vergangenen Sommer vorgenommen hatte: Die sieben höchsten Gipfel der Alpenländer wollte der 29-jährige Kulturgeograph bezwingen – und die Strecken zwischen den Bergen mit dem Fahrrad zurücklegen, auch um „die Berge auf möglichst ehrliche Weise“ zu besteigen. Denn nicht nur das Bedürfnis, nach Abschluss des Studiums die körperliche Herausforderung zu suchen, war ein Antrieb, sondern auch dessen Inhalt: „Ein wichtiger Beweggrund für mein Projekt war, dass es sich direkt an meine Masterarbeit anschließt“, berichtet Reichl. „Radverkehrsförderung in Nürnberg“, so lautete sein Thema. „Ich möchte zum Denken anregen und zeigen, dass das Fahrrad in vielen Situationen absolutes Potenzial hat, das Auto zu ersetzen.“ Die Bestätigung des Umweltschutz-Gedankens ist einer von vielen Aspekten und Erkenntnisgewinnen, die der Nürnberger mit nach Hause gebracht hat. Sechs Monate hatte er sich vorbereitet, die Tour akribisch geplant, wohl wissend, dass schon kleinste Fehler über Erfolg und Misserfolg, beim Bergsteigen gar über Leben und Tod entscheiden könnten.

Von der deutschen Zugspitze (2962m) ging es auf den österreichischen Großglockner (3798m), den slowenischen Triglav (2864m), den Grand Paradiso (4061m) in Italien, die Dufourspitze (4634m) in der Schweiz, den mit 4810m höchsten, französischen Mont Blanc sowie auf die Vordere Grauspitze (2599m) in Liechtenstein. Neun Wochen quer durch Europa. Um das zu schaffen, legt Reichl täglich Fahrradetappen von bis zu 145 Kilometer zurück („Das war ziemlich ambitioniert.“), meistens alleine, von Campingplatz zu Campingplatz. Befreundete Bergsteiger, die ihm bei der Logistik helfen und Teile der Ausrüstung von A nach B bringen, begleiten ihn auf seinen Bergtouren, weil die dann „nicht nur schöner, sondern auch sicherer sind.“

Wie schnell sich am Berg nicht nur Wetterlagen, sondern vor allem auch menschliche Schicksale wenden können, erlebt Wendelin Reichl nur zu oft: An den häufig überlaufenen „Modebergen“ kommt es teilweise zu „Stau an Schlüsselstellen“ und heiklen Situationen. Der Mont Blanc, ein Meilenstein im Leben eines Alpinisten, verweist regelmäßig unerfahrene Bergsteiger in ihre Schranken. „Zum Zeitpunkt meiner Besteigung hatten seit Beginn des Sommers bereits neun Menschen den Tod gefunden“, so Reichl, der weiß, dass „kein Berg jemals unterschätzt werden darf.“ 4000er, sagt er, „sind eigentlich keine Orte, an denen sich Menschen aufhalten sollten“, schon allein die Gefahr von Erfrierungen „stellte für mich die größte Angst dar“. Das Absurdeste sei, „dass die Besteigung selbst oft überhaupt keinen Spaß macht. Alles steht und fällt mit den äußeren Bedingungen und der körperlichen Verfassung“. Und trotzdem: Es ist der Lohn des Ziels, die Erlebnisse und Eindrücke, die er „meines Erachtens nirgendwo sonst“ bekommt. Das Gefühl, so Wendelin Reichl, nach einer erfolgreichen, anspruchsvollen Tour wieder ins Tal zu kommen und „auf das Geleistete zurückzublicken, ist einfach unbeschreiblich.“

Das mit 25 Kilo Gepäck beladene Reiserad abstellen, das Zelt aufbauen, ein wenig Erholung zu finden – und weiter zu machen, früh morgens mit dem Rad oder mitten in der Nacht mit dem Aufstieg. Teils so früh, dass die Gruppe als erste Seilschaft „die komplette Wegfindung selbst übernehmen“ muss wie am Gran Paradiso, auf dessen italienischem Gipfel eine vereiste Madonna wartet statt des üblichen Kreuzes. 15 Stunden dauerte die 2500 Höhenmeter umfassende Tour auf den slowenischen Triglav, die größte Schwierigkeit aber stellte die Dufourspitze dar, mit 4634m Metern „Top of Switzerland“, die extreme Konzentration erfordert. „Wenn man hinterher auf der Hütte sitzt und an den links und rechts 500 Meter ausgesetzten Grad denkt, könnte man tatsächlich meinen, man sei verrückt“, konstatiert der Alpenbezwinger. Doch letztlich führt ihm das Monte-Rosa-Massiv im Schweizer Wallis etwas ganz anderes, viel Wichtigeres vor Augen: Die Region ist vom Klimawandel schwer gezeichnet, die Gletscher im Rückgang begriffen, die Vergänglichkeit unseres Planeten überdeutlich. Umso wichtiger sei es, so Reichl, „den vielfältigen und wertvollen Alpenraum zu schützen“, die „Alpenkonvention“ aufrechtzuerhalten und „einer Disneylandisierung der Alpen entgegenzuwirken.“ Neben dem „ultimativen Zusammenspiel von Körper, Geist und Natur“ habe er aber als „beste Grenzerfahrung“ eine ganz andere gemacht: nämlich die der unzähligen passierten Landesgrenzen. Das Verdienst der Europäischen Union, des Schengener Abkommens, das freundschaftliche Gefühl sei „weltweit einzigartig“, sagt Wendelin Reichl. „Ich stamme ja bereits aus einer Generation, für die offene Grenzen und der europäische Gedanke eine Selbstverständlichkeit darstellen. Und das muss unbedingt erhalten bleiben.“ Wie geht’s weiter, mit so viel Erfahrung? Weiter Berge besteigen möchte Wendelin Reichl, „langfristig gerne einen Siebentausender im Himalaya“, einen Film konzipieren über sein Abenteuer, und, so naheliegend das Thema Radverkehr den Nürnbergern ein wenig näher bringen. Was sich da letztlich als größte Mammutaufgabe herausstellen wird, bleibt abzuwarten.