Herr Donkor, Sie arbeiteten viele Jahre als Lehrer und gehen dieser Beschäftigung weiterhin nach. Die drei Hauptcharaktere in Ihrem Buch sind junge schwarze Frauen. Haben Sie Erfahrungen, die Sie im Unterricht machen, bei der Arbeit an Ihrem Roman inspiriert?
In mancher Hinsicht. Es ist nicht so, dass ich in dem Roman direkte Erfahrungen aus dem Unterricht verarbeite. Aber durch meine Arbeit mit jungen Menschen habe ich sehr großen Respekt vor ihnen. Das betrifft die Art und Weise, wie sie miteinander kommunizieren, und ihre Neugier auf die Welt. Aber auch ihr trotziges Verhalten gegen bestimmte Dinge, die ihnen nicht passen. Es war mir auch wichtig zu zeigen, wie intelligent junge Menschen sind. Eine zentrale Botschaft meines Romans ist: Unterschätzt und überseht junge Leute nicht. Sie sind weise und sehr klar in ihren Ansichten. Ihre Gedanken sollten gehört werden.
Wann kommen Ihrer Meinung nach junge Menschen zu wenig zu Wort?
In einer meiner Unterrichtsstunden hatten wir eine Diskussion darüber, ob es 16- oder 17-Jährigen in Großbritannien erlaubt sein sollte zu wählen. Am Beispiel des Votums zum Austritt aus der EU sehen wir, dass diese Wahl wirklich ihr Leben formen und beeinflussen wird. Ich denke, sie sollten wählen dürfen, nicht nur weil Wahlen ihr Leben betreffen, sondern weil sie wirklich verstehen, worum es geht. Sie verstehen die schwierigsten Fragen.So wie ich Ihr Werk interpretiert habe, spielt die weiße Gesellschaft keine große Rolle, obwohl die Geschichte zu großen Teilen in London spielt. Weiße Menschen bleiben im Hintergrund - warum?
Ja, das stimmt, und das ist eine gute Frage. Es gibt viele Gründe! Es gibt schon viele Romane, in denen die Erfahrungen von weißen Menschen behandelt werden, und das ist gut. Es gibt keine Lücke, was solche Geschichten betrifft. Aber was noch wichtiger ist: Ich wollte mich auf die ghanaische Community konzentrieren und zeigen, wie sie funktioniert. In London ist die ghanaische Community sehr autark. Sie ist sehr auf sich selbst fokussiert, was in mancher Hinsicht genial ist, in anderer vielleicht etwas problematisch.
Es gibt aber sicherlich auch spannende Interaktionen zwischen der weißen Mehrheitsgesellschaft und der ghanaischen Community?
Ja, aber darauf wollte ich mich in diesem Werk nicht konzentrieren. Ich wollte nicht darüber nachdenken, wie die ghanaische Community von weißen Leuten wahrgenommen wird oder was für Interaktionen es mit Weißen gibt, weil ich das Gefühl hatte, das würde verwässern, was ich untersuche. Zudem gibt es bereits eine Menge Romane, in denen es um den Clash zwischen Weiß- und Schwarzsein geht und all die damit verbundenen Probleme. Ich wollte mich auf Gemeinschaften konzentrieren, die es nicht nötig haben, weißen Leuten viel Aufmerksamkeit zu schenken, weil sie sich auf ihre eigenen Lebensgeschichten konzentrieren. Ein entscheidender Grund für meinen Fokus war sicherlich, dass mich Toni Morrison sehr inspiriert hat.
In welcher Weise?
Morrison ist stets der schwarzen Perspektive treu geblieben. Sie hat für eine schwarze Leserschaft geschrieben und sich auf die Erfahrungen von Schwarzen konzentriert. Ihre Leserschaft ist weltweit riesig: von Schwarzen über Asiaten und darüber hinaus. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich jemanden ausschließe, wenn ich nur über Schwarze schreibe, weil ich dieses Vorbild vor Augen hatte.
Wie lange haben Sie an dem Roman »Hold« gearbeitet?
Elf Jahre.
Ein zentrales Thema in »Halt« ist Homosexualität. Die Geschichte spielt jedoch im Jahr 2001. Ist es in Ghana nach wie vor unmöglich, andere Neigungen als heterosexuelle auszuleben?
Ja, denke ich. Es ist nicht einfach für gleichgeschlechtliche Partner, Zuneigung zueinander in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dabei muss man berücksichtigen, dass es illegal ist, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu haben. Im Fall von Frauen wird noch nicht einmal in Betracht gezogen, dass es möglich sein könnte, dass sie mit anderen Frauen Sex haben wollen. Man muss bedenken, dass Ghana ein sehr religiöses Land ist. Ein Großteil der Homophobie in der Kultur geht auf sehr präsente fundamentalistische christliche Kirchen zurück. Diese haben ihren Ursprung ebenso in der Kolonialzeit wie die Gesetze zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Sie sind ein Überbleibsel der kolonialen Gesetzgebung.
Wie wirken sich diese Gesetze auf das Leben aus?
Es ist interessant, denn ich plane gerade eine Reise mit meinem Ehemann nach Ghana. Wir sind stutzig geworden, weil es in Internetforen viele Hinweise gibt, wie man vorgehen sollte, wenn man als gleichgeschlechtliches Paar Zimmer in derselben Unterkunft buchen will. Es ist tatsächlich unmöglich für gleichgeschlechtliche Partner, in einem Zimmer zusammen unterzukommen.
Auch wenn man angibt, dass es nur ein Freund ist?
Ja, offensichtlich ist die Gesellschaft so konservativ, dass es auch in diesem Fall bevorzugt wird, wenn man zwei separate Räume bucht.
Und es gibt keine geheimen Clubs, wo Schwule und Lesben hingehen können?
So weit ich weiß, nicht. Es ist ein sehr kompliziertes Feld. In manchen Bereichen der ghanaischen Gesellschaft ändert sich etwas. Zu allen möglichen Ideen der ganzen Welt ändert sich die Perspektive, wegen des Zugangs zum Internet, weil immer mehr Menschen Smartphones haben. Ich denke, manche Menschen beginnen jetzt, über unterschiedliche Lebenswege nachzudenken und über andere Wege, Liebe auszudrücken. Aber wenn es um Sexualität geht, ist es bei Weitem keine tolerante Gesellschaft.Original