10 subscriptions and 11 subscribers
Article

Das bessere Beige? Warum Buttergelb jetzt angesagt ist

Picture Alliance/faz.net

Im Januar zeigte der Designer Simon Porte Jacquemus an der Côte d'Azur seine jüngste Kollektion. Im Publikum saß Julia Roberts, über den Laufsteg lief Gigi Hadid, aber besonders viel Aufmerksamkeit bekam Kristin Davis. Nicht nur weil die „Sex and the City"-Darstellerin die Schau zuvor mit einem Video in den sozialen Medien angekündigt hatte: Davis erschien in einem Komplettlook ganz in Gelb, vom Hosenanzug über die Tasche bis zu den Schuhen. Genauer gesagt in einem sehr hellen, sehr sanften, sehr weichen Gelb, das auch in Jacquemus' Kollektion mehrfach auftauchte.

Auch bei Marken wie Loewe, Louis Vuitton und Proenza Schouler ist der zarte Ton in diesem Frühjahr zu sehen. Butter Yellow nennt er sich. Und tatsächlich lässt er unweigerlich an Butter denken, aber auch an Vanillesoße, an Blätterteig und an Madeleines. An lauter Dinge also, die guttun und ebenso schmecken, die die Sinne ansprechen und an denen sich niemand wirklich stört.

Auf den ersten Blick erscheint dieses Buttergelb deshalb nicht gerade wagemutig. Auf den zweiten erfordert es aber durchaus Mut. Denn der Farbe Gelb, so sanft sie auch daherkommen mag, eilt der Ruf voraus, schwierig tragbar zu sein. Das weiß auch Robbie Sinclair, der sich bei Fashion Snoops, einer internationalen Trend- und Beratungsagentur für Mode- und Lifestyleunternehmen, mit Jugendthemen befasst: „Viele Menschen finden Farben grundsätzlich schwierig und einschüchternd, weil sie oft nicht sicher sind, ob sie zu ihrem Hautton passen oder was sie dazu tragen sollen."

Diese Vorsicht sei einer der Gründe für den seit Jahren großen Erfolg von neutralen Tönen wie Beige: Damit lässt sich weniger falsch machen, so die Hoffnung. Aber irgendwann entflammt die Lust auf Farbe doch wieder. Dann kommen abgemilderte Nuancen wie Buttergelb ins Spiel, aber auch Salbeigrün oder das vom Pantone-Institut zur Farbe des Jahres auserkorene Peach Fuzz.

Farben und Trends sind wie Nachbarn

In der medialen Aufregung der vergangenen Monate um den Pfirsichton schien die zarte Gelb-Nuance fast unterzugehen. Trotz ihrer Präsenz in den aktuellen Kollektionen und in immer mehr Geschäften. Ist Buttergelb vielleicht eine Art leise, zurückhaltende Schwester des umschwärmten Peach Fuzz? Gar nicht weit gefehlt, findet Sinclair: „Als Trendforscher betrachten wir Farben und Trends tatsächlich wie Verwandte, Freunde oder Nachbarn." Sie stünden miteinander in Beziehung, könnten einander ergänzen oder sich gegenseitig bekämpfen - so wie es auch Geschwister tun.

Wer in dieser Beziehung die Hauptrolle spielt und sie in Zukunft spielen wird, bewerten Trendagenturen wie Fashion Snoops mit Weitblick: Gerade hat Sinclair ein Moodboard für den Winter kommenden Jahres fertiggestellt. Dass Buttergelb auch dann noch eine Rolle spielen wird, folgert er aus harten Fakten. Seine Kollegen aus der Farbabteilung haben sie zusammengetragen. In jeder Saison erheben sie, wie hoch der Anteil einzelner Farben in den Schauen ist, ob eine Farbe im Lauf der Zeit öfter oder seltener erscheint, in welchen Nuancen sie zu sehen ist, ob sie eher Akzente setzt oder im Zentrum einer Kollektion steht. Der Aufstieg von Buttergelb sei unübersehbar, sagt Sinclair: „Im Herbst 2021 dominierte noch Senfgelb, darauf folgten warmes Gold- und leichteres Zitronengelb. Ein Jahr später stieg der Anteil von Buttergelb dann um 35 Prozent an." Im Winter 2023 schließlich wurde es zum dominierenden Gelbton auf den Laufstegen.

Satin in Buttergelb: Louis Vuitton Getty

Von dort ist der Weg in die Filialen großer Ketten vorgezeichnet. Das weiß das Kinopublikum, seit Meryl Streep in „Der Teufel trägt Prada" als Chefredakteurin eines Modemagazins ihrer neuen Assistentin einen Vortrag über Himmelblau hielt: Von der Herausbildung des Farbtons über dessen immer häufigeres Auftauchen in Modenschauen bis zur „Freizeitmode"-Abteilung im Kaufhaus skizziert sie in dem Film aus dem Jahr 2006 ebenjenen Weg, den nun, im wahren Leben, Buttergelb geht. Bisweilen ist der Ton so zart, dass er im Neonlicht mancher Geschäfte fast wie helles Beige anmutet - aber eben nur fast. Denn selbst ein noch so sanfter Hauch Gelb sorgt sofort für mehr Wärme, Lebendigkeit und Fröhlichkeit.

Haben wir es hier mit dem neuen Beige zu tun?

Läutet Buttergelb also das Ende der Beige-Ära ein? Sinclair verneint: „Es haucht neutralen Tönen wie Beige und Grau eher neues Leben ein." Um ganz zu verschwinden, seien diese neutralen Farben viel zu präsent in unseren Kleiderschränken. Beige- und Grautöne seien auch für Trends wie Quiet Luxury, den bewusst zurückhaltenden, klassischen Stil, der in den vergangenen Jahren dank Serien wie „Succession" für Furore sorgte, unverzichtbar.

„Klassiker wie der Kamelhaarmantel bewegen sich im neutralen Farbbereich. Er wird immer eine große Rolle in unserer Kleidung spielen", sagt Sinclair. Aber: Ein heller Gelbton könne einem klassischen Look einen neuen Dreh verpassen, ohne zu viel Mut zu Farbe zu fordern. „Buttergelb ist eine Art safe space zwischen matten, trüben Tönen einerseits und knalligen Farben andererseits."

Zwischen diesen beiden Extremen mäandert die Mode gerade mehr denn je. Auf der einen Seite steht die Indie Sleaze genannte Neuauflage des Rocker- und Partygirl-Stils, dessen Trägerinnen so aussehen, als kämen sie direkt von einer durchfeierten Nacht. Pastelltöne dürfen hier auch mal eine ramponierte Patina haben. Auf der anderen Seite steht das sogenannte Dopamine Dressing mit lauten, fröhlichen Bonbon-Farben, das seinen Höhepunkt im vergangenen Sommer in der vom „Barbie"-Film ausgelösten Begeisterung für Knallpink fand.

Ein Trend verschwindet nicht so schnell

Schafft das sanfte Gelb bei Pink das, was ihm bei Beige nicht gelingt, und stößt die Barbie-Farbe vom Mode-Thron? Wieder verneint Sinclair: „Es ist ein Missverständnis, zu glauben, dass ein Trend plötzlich auftaucht, eine steile Kurve hinlegt, dann seinen Höhepunkt erreicht und schließlich verschwindet. Alles ist eine Entwicklung." In diesem Fall heißt das: Vor Pink war Millennial Pink (ein zartes Rosa). Nach Pink ist ­Peach Fuzz. Auch Buttergelb werde nach seinem Höhepunkt nicht einfach verschwinden, sondern sich weiterentwickeln. „Unsere Prognosen ergeben, dass es sich von pastellig zu bräunlich wandeln wird", sagt der Trendanalyst. Einen Namen hat diese Farbe auch schon: Brown Butter.

Sehr hell, sehr sanft: Buttergelb auf dem Laufsteg bei Loewe Getty

Schon wieder eine Bezeichnung, die kulinarische Assoziationen weckt. Das ist natürlich kein Zufall: „Gerade in Zeiten der Unsicherheit wenden sich viele Menschen Hobbys wie Backen zu, sie beschäftigen sich mit Essen, das ein Gefühl von Behaglichkeit und Erinnerungen an ihre Kindheit auslöst, an eine Zeit, in der sie sich beschützt fühlten." Die Farben des kommenden Sommers seien warm, fast gemütlich, erinnern an Croissants, Pralinen und Vanille. „Schon ihre Namen wecken angenehme Gefühle", sagt Sinclair. Das Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit werde zudem nicht nur durch Farben gestillt, sondern auch durch Stoffe und Formen.

Tatsächlich mutet bei Loewe das mit einer überdimensionalen Stecknadel versehene Oberteil eines buttergelben Kleides wie ein Hybrid aus Schutzschild und Kissen an. In der Kollektion von Louis Vuitton sorgt ein Oversize-Doppelreiher aus glänzendem Satin mitten im Frühling für buttergelbe Behaglichkeit.

Und wie trägt man den sanften Ton, der einer als schwierig geltenden Farbe entspringt, jenseits vom Laufsteg? Diese Frage stellen sich auch die Unternehmen und Designer, die sich von Robbie Sinclair und seinen Kollegen beraten lassen. Schließlich wollen sie Produkte verkaufen. Und nicht jeder wagt sich gleich an einen Komplett-Look à la Kristin Davis. „Wer zögert, sich von Kopf bis Fuß in den Ton zu hüllen, kann damit zunächst Akzente setzen", sagt Sinclair. Eine buttergelbe Handtasche zum beigefarbenen Mantel etwa. Oder ein T-Shirt in der Farbe unter dem schwarzen Blazer. Oder, für Mutigere, eine Kombination aus Peach Fuzz und Buttergelb. Damit wäre immerhin der Anfang gemacht. Die beiden Farbschwestern werden uns schließlich noch eine Weile begleiten.

Original