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Mehr als nur eine Tasche

Quelle: AP/Kirsty Wigglesworth

„Es ist keine Tasche, es ist eine Birkin". 22 Jahre ist es her, dass das TV-Publikum diesen Satz in der Serie „Sex and the City" hörte. So ungläubig wie die sonst so hart gesottene Samantha Jones schauten auch Millionen Zuschauer, als ein Hermès-Mitarbeiter ihr statt der ersehnten Tasche eine Warteliste überreichte. Fünf Jahre sollte Samantha Jones auf ihre Birkin warten. Ganz in der Tradition der Serie bescherte diese Szene dem Publikum eine Mode-Lektion: Eine Birkin Bag ist keine Tasche. Sie ist ein Sehnsuchtsobjekt, ein Erkennungsmerkmal, für manche eine Obsession. Einst von Jane Birkin inspiriert, die einfach nur eine praktische Tasche suchte, können die Preise für das Statussymbol heute je nach Material und Extras in die Hunderttausende gehen.

Wie viele Birkin-Modelle pro Jahr produziert werden, gibt Hermès nicht preis. Ein kluger Schachzug, seine Knappheit lässt das Objekt der Begierde schließlich so interessant für Menschen werden, die sich alles leisten können, was sie wollen. Aber nicht nur die Wartezeit macht den Kauf der Kulttasche so herausfordernd. Deshalb haben nun zwei Kunden im US-Bundesstaat Kalifornien Klage gegen Hermès International und Hermès of Paris, den autorisierten Vertreiber für Birkin Bags in den USA, eingereicht.

Der Vorwurf: Das Unternehmen instruiere sein Personal, Kunden erst dann eine Birkin anzubieten, wenn sie eine ausreichende „Kaufhistorie", also andere Hermès-Produkte wie Schuhe, Schals oder Schmuck gekauft haben. Das verstoße gegen das Wettbewerbs- und Kartellrecht. Hermès selbst ließ bereits 2023 das Magazin Business of Fashion wissen, dass der Verkauf bestimmter Produkte als Bedingung für den Kauf anderer im Unternehmen strikt verboten sei.

Der Fall sorgt für Schlagzeilen - dabei ist das „Hermès Game", wie das Prozedere vor allem rund um Birkin Bags auch genannt wird, auf TikTok, YouTube und Reddit, in Blogs und in Onlinemagazinen schon länger ein Thema. Es sei kein Geheimnis, dass man viel Geld in Hermès-Geschäften ausgeben müsse, bevor man - möglicherweise - eine Birkin in die Hände bekomme, hieß es 2023 in der philippinischen Vogue. Auf Sky News Australia erzählt ein Birkin-Käufer, dass er ein Portemonnaie, einen Seidenschal, ein lederndes Notizbuch und einen Gürtel erstanden habe, bevor ihm die Tasche angeboten wurde. Die South China Morning Post berichtete über ähnliche Erfahrungen aus Peking und Shanghai. So bizarr manche Schilderungen auch klingen: Gezwungen wurde niemand, sein Geld für kostspielige Accessoires auszugeben.

Auch, wenn das Unternehmen verneint, dass man sich Zugang zu einer Birkin Bag erkaufen müsse, behält es offenbar gerne im Blick, wer sie trägt: Hermès-CEO Axel Dumas erklärte jedenfalls laut Business of Fashion, dass sie möglichst nur „echten" Kunden verkauft werden solle. Auf diese Weise versuche das Unternehmen, die vielen Wiederverkäufe einzudämmen. Neue Birkin Bags kann man nur im Geschäft kaufen, online sind nur gebrauchte Modelle zu finden - oder neue, die Reseller anbieten.

Das tat auch Michael Tonello jahrelang. Nachdem er in den Nullerjahren anfangs vor allem Hermès-Seidenschals auf Ebay verkauft hatte, brachte eine Kundin ihn, der bis dato noch nie vom Birkin-Modell gehört hatte, auf sein künftiges Kerngeschäft: „Man scherzt, dass es sogar eine Warteliste gibt, um auf die Warteliste zu kommen", gab sie ihm mit auf den Weg. Eher zufällig entdeckte Tonello seine „Formel" abseits der Warteliste: Nachdem er viele andere Produkte gekauft hatte, fragte er in einem Hermès-Geschäft beiläufig nach einer Birkin Bag - und bekam sie. „Man brauchte eine Initiations-Gebühr, einen qualifizierenden Kauf", heißt es in seinem Buch „ Bringing Home the Birkin ", das 2008 erschien. Minutiös beschreibt Tonello darin seinen Weg durch Hermès-Geschäfte rund um die Welt, in denen er immer wieder dasselbe Spiel spielt, um eine der begehrten Taschen zu bekommen.

Wer wollte, konnte also schon vor 15 Jahren wissen, wie das Spiel um die Tasche aller Taschen funktionieren kann - und entscheiden, ob er oder sie es mitspielen möchte. Die Informationen waren frei zugänglich, Tonellos Buch wurde in der New York Times besprochen, der Autor oft interviewt

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