Wenn spontaner (oder vergessener) Besuch vor der Tür steht, wenn nach einem langen Umzugstag ein voller Bücherkarton als Tisch herhalten muss, wenn die Energie nur für einen Anruf beim Lieferservice reicht, dann hat sie ihre besten Auftritte: Die Stoffserviette verleiht jeder noch so improvisierten Tafel, jedem noch so sachlich in Styropor und Alufolie verpackten Mahl einen liebevollen, zivilisierten und bedachten Charme. Sie ist die textile Zauberwaffe für alle, deren Talent sich nicht am Kochtopf, sondern bei der Tischdeko zeigt.
Mal kommt sie kunstvoll gefaltet daher, mal in extravagante oder herrlich altmodische Ringe gerollt; Schmuckstücke lassen sich in ihr ebenso verstecken wie kleine Marienkäfer oder Weihnachtsmänner aus Schokolade. Wer es üppiger mag, drapiert wie bei den Buddenbrooks „auf seiner kunstvoll gefalteten Serviette eins von diesen köstlichen, mit Mohn bestreuten Milchbrötchen", die schon den kleinen Hanno begeisterten. Die kleine Dienerin, wie der aus dem Französischen übernommene Name der Serviette wörtlich übersetzt heißt, schöpft aus einem großen Repertoire.
Das gilt auch für ihre vielen Erscheinungsformen, deren strahlende Anführerin die Damast-Serviette ist. Der speziell gewebte, zwischen matt und glänzend wechselnde, edle und zugleich so robuste Stoff erfüllt seinen Zweck und sieht dabei auch noch elegant aus. Doch auch Stoffe wie Leinen oder Baumwolle stoßen immer wieder in die höchste ästhetische Liga vor - auch dank aufwendiger, zum Teil bis heute wie Staatsgeheimnisse gehüteter Falttechniken, man denke nur an die österreichische Kaiserserviette. Wer das Glück hat, geerbte Serviettenringe mit Gravur und einem Hauch von Patina zu besitzen, kann auch ganz ohne kompliziertes Falten jede Menge Eindruck machen. Je ausgefallener oder schöner Servietten sind, desto mehr wortwörtlichen Gesprächsstoff liefern sie. Und der profane Ikea-Tisch verwandelt sich ganz nebenbei in eine festliche Tafel.
Die Pandemie hat das Bedürfnis, es sich zuhause besonders schön zu machen, bei vielen bestärkt. Auch die Tischkultur profitierte von den vielen Monaten zwischen Lockdowns und Lockerungen: Es wurde gebacken und gekocht, gebastelt und gepostet, was Küche und Esszimmer so hergaben. Spätestens, als wieder Gäste erlaubt waren, gehörten schöne Servietten natürlich dazu, ob nun aus Stoff oder Papier, mit mehr oder weniger geschmackvollen Prints. Die müssen übrigens gar nicht so umweltfeindlich sein, wie so oft befürchtet wird; mittlerweile gibt es auch kompostierbare Modelle. Aus welchem Material sie auch sein mag: Richtig angewendet erleichtert die Serviette auch noch das Reinigen der guten Gläser, wenn die Gäste längst wieder in ihrem Zuhause sind.
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