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Blumenkranz als Kopfschmuck: Revolution und Biedermeier

Man kennt das: Ein Promi zeigt sich in neuem Stil oder mit einem besonderen Accessoire in der Öffentlichkeit. Mode- und Gesellschaftsmagazine berichten darüber. Das Publikum will dem Idol nacheifern und ein bisschen von dessen Glanz ins eigene Leben zaubern. Die Nachfrage steigt, die Industrie reagiert und produziert Nachahmungen des begehrten „It-Piece" für die breite Masse. Voilà, ein Trend ist da.


Manchmal entsteht auf diese Weise gar ein globaler Trend. So erging es dem Blumenkranz. Auf Hochzeiten und Sommerpartys in Meppen, Mailand oder Miami, im Haar von Bräuten, Musikerinnen wie Lana Del Rey und tanzenden Mädchen auf dem Coachella-Musikfestival - der Kranz aus Blüten im Haar ist allgegenwärtig. Genau wie die historischen Bezüge aus nahezu allen Epochen: Hippie-Mode vermischt sich mit der mittelalterlichen Symbolik des Jungfernkranzes, mit Anleihen bei den griechischen Göttern und Frida Kahlos ikonenhaften Kronen aus Blüten gleichermaßen. Mit bunten Blumen im Haar wird freie Liebe ebenso zelebriert wie der Bund fürs Leben. Wie passt das zusammen? Die Antwort lautet wie so oft in der Mode und in der Liebe: Es ist kompliziert.


Zarte Blüten bilden ein historisches Dickicht

Denn der Blumenkranz, laut der amerikanischen „Vogue" das „archetypische Accessoire schlechthin", schmückt nicht nur seit Beginn der Menschheit vor allem die Köpfe junger Frauen, er ist auch höchst ambivalent: „Einerseits steht er für die Loslösung von Regeln und für Freiheit. Das beginnt in der griechischen Mythologie bei Bacchus - dem Gott des Weines und des Rausches - und setzt sich fort in der modischen Gegenreaktion auf die Industrialisierung, als der Blumenkranz zum Symbol für die Verbundenheit zur Natur wurde", erklärt die Modetheoretikerin und Kulturwissenschaftlerin Catharina Rüß. Im Biedermeier wurden die Blumen im Haar dann zum Ordnungselement: „Es ging nicht mehr darum, Grenzen aufzulösen, sondern sich in sie einzufügen. Die durch den Blumenkranz symbolisierte Jungfräulichkeit gewann wieder an Bedeutung."


Gerade diese Doppeldeutigkeit macht den Blumenkranz so langlebig, meint Rüß. Der Blick in die Geschichte gibt ihr recht: Ob Symbol für Fruchtbarkeit in der Antike, Ausdruck von jungfräulicher Sittsamkeit im Mittelalter, Aufbegehren gegen Konventionen und Massenkonsum bei den Hippies, Zeichen von ukrainischem Nationalstolz und feministisches Symbol bei den Aktivistinnen von Femen, ob aus echten Blüten oder aus Plastik gefertigt - die zarten Blüten bilden ein historisches Dickicht. Wer darin nach jener prominenten Trendsetterin sucht, die mit dem Blumenkranz als Hochzeits-Accessoire ein modisches Massenphänomen auslöste, wird im 19. Jahrhundert fündig.


Als Ihre Majestät Königin Victoria 1840 Prinz Albert das Jawort gab, verzichtete sie auf den zuvor üblichen Prunk royaler Hochzeiten mit funkelnder Tiara. Nur ein Kranz aus Orangenblüten schmückte ihr königliches Haupt. Die einflussreichen Etikette-Magazine, im 19. Jahrhundert ähnlich dogmatisch wie heute Anna Wintour und ihre „Vogue", berichteten begeistert über das modische Statement der jungen britischen Königin und ernannten den Orangenblüten-Kranz zum neuen, unerlässlichen Accessoire für jede Braut mit Stil.


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