Schon die morgendliche Busfahrt zum Fiakerhof „ Freudenauer Chamotte Fabrik " ist wie der Weg in eine andere Welt. Der Heugeruch, der einem beim Betreten des Stalls in die Nase steigt, lässt einen beinahe vergessen, dass man sich immer noch mitten in Wien befindet. Zwischen den Pferdestallungen findet man im Innenhof bei genauem Hinsehen eine Holztreppe zu einem Wohnbereich. Zwei gut gelaunte Hunde stürmen in diesem Moment herab, Martina Michelfeit folgt ihnen entspannt. Sie ist die Stallherrin und eine von 28 Fiakerunternehmern in Wien. Die Fiakerin nimmt auf einer Holzbank im Hof Platz und erzählt offen von ihrer Situation - die Fiaker stehen unter Druck: Tierschützer mobilisieren gegen sie und auch von der offiziellen Seite gelten für sie sehr strenge Auflagen.
Wer ist hier der Tierschützer?
Vier Pfoten haben bereits 2010 eine Petition gestartet, die „eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen" für Fiakerpferde in Wien fordert. Bisher haben über 19.900 Menschen die Forderungen unterzeichnet. Der Verein gegen Tierfabriken (VGT) hat ebenfalls eine Petition gestartet, die allerdings ein Verbot von Fiakern in der Stadt fordert. Diese hat bereits mehr als 7.300 Unterzeichner. Martina Michelfeit scheint bereits auf die Frage nach den Forderungen der Tierschützer zu warten. Sie spricht von „Kampagnisieren" der Tierschützer und fühlt sich in ihrer unternehmerischen Freiheit eingeschränkt und kontrolliert. Man merkt ihr an, dass sich in den letzten Monaten viel angestaut hat. „Ich habe Jahre damit zugebracht, immer wieder mit Sachargumenten gegen die Vorwürfe aufzutreten. Mittlerweile habe ich aufgegeben, man ist nicht an einer wirklichen Auseinandersetzung interessiert, sondern will Fiaker einfach abschaffen." Einer ihrer Hunde schaut sie erwartungsvoll an, während sie spricht und will gekrault werden. Sie streichelt gedankenversunken seinen Hals und erzählt weiter. „Als Einzelperson steht man Organisationen gegenüber, die, um Spenden zu akquirieren, meinen Ruf schädigen. Das finde ich im höchsten Maße unfair und macht einen schon sehr ohnmächtig."
Elisabeth Sablik vom VGT erklärt in einem Telefonat, es sei die Aufgabe eines Tierschutzvereins, zu informieren und aufzuklären. „Da versuchen wir, unsere Möglichkeiten einzusetzen - und das sind Kundgebungen und Petitionen." Was Martina Michelfeit kritisiert, ist, dass keiner der Tierschützer jemals in ihrem Stall vorbeischaue und sich die Situation hier ansehe. Sablik bestätigt, dass man sich lediglich die Standplätze ansieht. Martina Michelfeit sieht sich selbst als Tierschützerin, weil sie die Verantwortung für die Tiere übernimmt. „Nur weil ich das Pferd nutze, heißt das nicht, dass ich mich weniger darum kümmere".
Stadtpferde am Pranger
Die Petition der Vier Pfoten beinhaltet Forderungen wie die Arbeitszeit der Pferde auf 10 Stunden zu beschränken, Fahrten nur noch in Grünanlagen durchzuführen und bei Temperaturen über 30° hitzefrei zu geben. Was auf den ersten Blick nach Kompromissen aussieht, sind in den Augen der Fiaker selbst keineswegs realistische Forderungen. Ein Punkt der Vier Pfoten-Petition lautet „hitzefrei ab 30°", doch die Hitze mache den Pferden nichts aus, erklärt Martina Michelfeit. Ihre menschlichen Mitarbeiter würden weit mehr unter hohen Temperaturen leiden als die Tiere. Auf dem Standplatz herrsche ständig Bewegung und es käme gar nicht dazu, dass Pferde lange in der prallen Sonne stehen. „Wir haben überhaupt kein Interesse daran, dass uns in der Stadt ein Pferd umkippt." Sie ist der Ansicht, dass die Pferde am Standplatz genauso entspannt herumstehen und „pennen", wie auf der Koppel. Was für Beobachter manchmal so wirke, als würden die Pferde leiden, weil sie beispielsweise den Kopf hängen lassen, könne genauso ein Zeichen der Entspannung sein. Elisabeth Sablik vom VGT sieht das nicht so. „In der Kutsche stehen und auf der Herde stehen - das ist schon ein großer Unterschied." Bewegungsfreiheit und soziales Verhalten der Pferde seien im Gespann sehr eingeschränkt und nicht optimal. Die Forderung einer Arbeitszeitbeschränkung auf zehn Stunden sieht Martina Michelfeit aus unternehmerischer Sicht kritisch. Im Normalfall haben die Arbeitstage ihrer Pferde zwölf Stunden, wobei die Pferde nicht jeden Tag arbeiten. „Ich möchte meine unternehmerische Verantwortung behalten und entscheiden können, wann und wo ich mein Geschäft betreibe, wie ich mein Geschäft organisiere." Wenn es einem Pferd tatsächlich einmal schlecht gehe, würde sie selbstverständlich sofort nachhause fahren. Sie selbst kenne ihre Pferde am besten und wisse auch, wie sie sie behandeln muss, sagt sie. Ihre Stalltüre stehe jederzeit offen, auch für Tierschützer, meint sie abschließend, bevor sie erklärt, dass wir mit dem Pferdegespann aus Karl und Florian mitfahren können.
Vertrauen als Ausbildungsschwerpunkt
Die dynamische Chefin führt durch den urigen und geräumigen Hof, auf dem schon in der Früh fleißig gearbeitet wird. Die Pferde stehen in ihren Boxen oder auf der großflächigen Koppel und wirken bereits wach und ausgeruht. Das Arbeitsumfeld eines Fiakerpferdes sei sicher kein einfaches, weshalb ein gewisses Unfallrisiko gegeben sei, erklärt Martina Michelfeit. Allgemein gehe es in der Ausbildung der Pferde um den Aufbau von Vertrauen. Als Alphatier könne der Mensch dem Pferd zeigen, dass es beispielsweise vor Autos keine Angst haben müsse. Drei Jahre braucht die Fiakerin, um ein Kutschenpferd auf seine Arbeit vorzubereiten. Sie marschiert zu zwei Pferden, die als Karl und Florian vorgestellt werden. „Der Karl ist ein perfektes Fiakerpferd, der schaut in jede Gasse rein", erzählt die Chefin lächelnd und ein wenig stolz. Sie hilft ihren Mitarbeitern beim Aufzäumen der beiden Pferde. Entspannt und routiniert stehen die Schimmel beim Einspannen in die schöne, beinah antike Kutsche, da. Cathy Pertl, die Fiakerin nimmt noch schnell ein Stofftuch und wischt über die Kutsche. Nun geht es los, die Pferde und die Fiakerin sind bereit und es ist 9:15 - es darf legal ausgefahren werden.
Wer zu früh mit dem Fiaker den Stall verlässt oder gar vor zehn am Standplatz steht, macht sich strafbar. In dieser Hinsicht gibt es kein Pardon - weder von Seiten der Tierschützer noch von Seiten der Stadt Wien. Kontrollen sind in Fiakerbetrieben keine Seltenheit. Die MA60 (Abteilung Veterinärdienste und Tierschutz, Anm.) und MA65 (Abteilung Rechtliche Verkehrsangelegenheiten, Anm.) dürfen ohne Vorankündigung zwei Mal im Jahr die Fiakerhöfe überprüfen. Der Standplatz wird zwei bis drei Mal pro Monat überprüft, an besonders heißen oder kalten Tagen täglich. Sehr streng sind auch Kontrollen der Fahrtenbücher, in denen alle zurückgelegten Wege der Pferde dokumentiert werden müssen. Auch Alkoholkontrollen „am Zügel" sind keine Seltenheit und werden von der Polizei durchgeführt. Cathy findet die Kontrollen gut, erzählt sie, während sie die Zügel locker in der Hand hält. Karl und Florian spazieren durch die Praterallee, eine ältere Dame joggt an der Kutsche vorbei.
Konkurrenzkampf
Die Fahrt ist gemütlich, manchmal traben Kutschen aus anderen Ställen vorbei. Manche Fiaker machen sich mehr Stress, um als erstes an ihrem Stammplatz zu sein, erzählt Cathy. Sie stresst Karl und Florian nicht. Die Fiakerin lässt die beiden gemütlich im Schritt gehen, traben müssten sie schon noch, wenn sie an stärker befahrene Straßen kämen, meint sie. Die Konkurrenz zwischen den Ställen sei groß, erzählt sie weiter. Laut MA60 (Abteilung Veterinärdienste und Tierschutz, Anm.) gab es 2014 in Wien 28 Fiakerbetriebe mit zirka 400 Pferden. Die Forderung der Vier Pfoten, dass Fiaker nur noch in Grünanlagen fahren sollten, hält Cathy nicht für umsetzbar. Die Grünanlage im Schloss Schönbrunn gehöre beispielsweise einem einzigen Betreiber, da sei kein Platz für andere Kutschen. Wenn sie an die Zukunft der Fiakerei denkt, wird sie leicht melancholisch. Auch sie sieht das ultimative Ziel der Tierschützer nicht in einem Kompromiss, sondern in der ganzheitlichen Abschaffung dieser alten Tradition. Bestätigt wird das durch Irina Fronescu von Vier Pfoten, die als Vorbild größere Städte wie New York nennt. Hier sollen die Kutschen im Central Park durch Oldtimer abgelöst werden. Auch Elisabeth Sablik vom VGT nennt positive Beispiele wie London und Mumbai, in denen es bereits keine Kutschen mehr gibt.
Angekommen am Stephansplatz sind bereits um kurz nach zehn Uhr alle Stellplätze besetzt und die ersten Fahrgäste warten schon. Obwohl die Zukunft des Gewerbes nicht allzu rosig aussieht, sind die Fiaker für den Wiener Tourismusverband nicht wegzudenken: „Die Fiaker gehören zu Wien und haben auch bei den Touristen eine große Nachfrage", erzählt Walter Strasser. Eine Stellungnahme zu den Vorwürfen von Seiten des Tierschutzes möchte er nicht abgeben. Elisabeth Sablik vom VGT ist der Meinung, Fiaker seien in der Großstadt nicht mehr zeitgemäß. „Das war zur Kaiserzeit so, da waren die Pferde Arbeitstiere, aber jetzt leben wir in einer modernen Gesellschaft und wir können uns entscheiden, ob wir das wollen, oder nicht." Sie argumentiert auch damit, dass bei Unfällen mit Fiakern nicht nur Tiere, sondern auch Menschen verletzt werden könnten. Zahlen zu Unfällen mit Fiakern gibt es in der MA60 nicht, doch zu den Kontrollen gibt es einen Überblick: 2014 wurden 65 Standplatzkontrollen durchgeführt, wobei 2.428 Pferde kontrolliert wurden. 76 Stallungen wurden überprüft, 36 Schwerpunktkontrollen gab es in Ställen. „In über 90 Prozent der Fälle gab es von amtstierärztlicher Seite keine Beanstandungen", lautet die Zusammenfassung. Ob den Forderungen der Tierschützer zugestimmt wird, oder ob es Kritikpunkte an der Fiakerei gibt, möchte Susanne Lorenz von der MA60 nicht beantworten, „da dies keine Fragen des amtstierärztlichen Aufgabenbereichs sind".
Wieder zurück am Stephansplatz scheinen Florian und Karl die Menschen um sich herum mit den Fotoapparaten nicht mehr ernst zu nehmen. Sie warten, Karl aufmerksam und Florian dösend, auf ihre erste Fahrt.
Der Artikel wurde von Jasmine Schuster und Katharina Kropshofer verfasst.