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Warum sich Facebooks Libra nicht mit Blockchain erklären lässt

Facebook besitzt viele Probleme. Das Wesentliche ist wohl sein bröckelndes Image. Längst generiert der Kern der Unternehmensgruppe, das soziale Netzwerk Facebook, nicht mehr den gewohnten Umsatz. Instagram und WhatsApp können das Minus noch auffangen, den sich abzeichnenden Wandel jedoch nicht mehr aufhalten. In diese Entwicklung hinein platzt nun mit Calibra eine digitale Währung, die mehr Ansprüche weckt als Bitcoins. Warum Experten diese Entwicklung mit der Einführung von iOS als Betriebssystem von Apple gleichsetzen.


Wer das Konzept von Calibra, Facebooks erstem Aufschlag zu einer digitalen Währung, verstehen möchte, der kommt nicht um einen Blick auf das Unternehmen als solches umhin. Pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum beginnt der Verfall des einst mächtigsten sozialen Netzwerks der Welt.


Wo Facebook vor Calibra steht

Bedenkt man, dass ganze Wahlen und politische Entscheidungen beeinflusst werden konnten, wird die Macht von Mark Zuckerberg und seiner Technologie deutlich. Im Alltag zeigt sich viel zu selten, welche Möglichkeiten in den Händen der Wenigen liegen. Dazu gehört beispielsweise getrieben durch Algorithmen auch die Frage der Informationshoheit.

Genau diese ist es, die nun Gegner von Facebook auf den Plan ruft. So fragt Constanze Kainz auf jetzt.de bereits Ende 2018, wieso Nutzer mit ihren Daten nicht selbst Geld verdienen sollten, wenn die Logik sozialer Netzwerke und Werbetreibenden von freiwillig bekannt gegebenen Daten profitieren. Genau in diese Frage hinein wirkt Calibra.


  Über Datenschutz und Verdiensten durch Daten

Längst ist es kein Geheimnis mehr, dass die meisten Funktionen im Web mithilfe von Daten funktionieren: Da ist der kostenlose Dienst Gmail, der den Posteingang von Nutzern auswertet. Im Gegenzug erhält der Nutzer ein kostenfreies Postfach gestellt. Da ist die Werbeanzeige, die Ergebnisse zu einem geführten Gespräch anzeigt, die nie eine Suchfunktion gemündet sind. Da ist Facebook, was im großen Stil Daten an unterschiedliche Unternehmen verkauft hat.


Der Vorteil der Nutzer ist den Meisten bei der Nutzung all dieser Dienste nicht bewusst, wenn gleich die Unternehmen selbst mit den Einnahmen aus den Daten der Nutzern beispielsweise durch passgenau angezeigte Werbung profitieren. Der Handel mit dem Vertrauen in Verbindung mit der Unwissenheit der Nutzer ist nicht weniger als Teil ihres Geschäftsmodells: Je wohler sich Nutzer fühlen, umso höher steigt der Wert des Unternehmens.


Fehlt das Vertrauen, schwankt das Unternehmen


Sinkt das Vertrauen wie im Fall von Facebook, ist das Geschäftsmodell gefährdet. Insbesondere die Frage, wie der Verlust von Werbeeinnahmen kompensiert werden kann, treibt die Verantwortlichen dann um. Lange hat man versucht, den Kern von Facebook zu retten. Es war ein verzweifelter Kampf gegen Windmühlen, der mithilfe von Akquisitionen geführt wird.


Dann beginnt auf einmal Mitte 2018 der Rückwärtssalto von Mark Zuckerberg. Ist er sich zunächst keiner Schuld bewusst, da er lediglich die Technologie stelle und nichts für die Defizite der Nutzer können möchte, setzt sich das Team um den Gründer von Facebook dann bewusst an die Spitze der Nutzer, die sich mehr Privatsphäre wünschen.


Warum ist all dies wichtig für Calibra?


Wer auf die viel gelobte Kryptowährung Calibra schaut, dem fällt zunächst auf, dass ein Pool an Unternehmen sich zusammengetan hat, um diese Währung möglich zu machen. Calibra basiert auf Libra, einer Open Source Kryptowährung auf Basis von Blockchain. Facebook selbst schreibt in seiner Unternehmensmitteilung, dass es sich um das erste Produkt handele. Es scheint also möglich, dass auf dieser Grundlage weitere Produkte aufgestockt werden können.


Das besondere an Calibra ist seine Klassifizierung als Stablecoin. Diese besondere Form der Kryptowährung dient dazu, die hohe Volatilität von Kryptowährungen wie Bitcoin durch die Anlehnung an reale Werte zu begrenzen. Es handelt sich also um einen stabilen Wert in digitaler Form.

Wie Calibra abgesichert ist

So ist es möglich, dass man Kryptowährung ohne Verlassen der Krypto-Börse in reale Werte, so genannte Fiatwährungen, tauschen kann. Wichtig zu wissen ist, dass ein Stablecoin unterschiedliche Werte annehmen kann: Er kann in Währungen wie Euro oder US-Dollar oder in Rohstoffe wie Gold oder Öl getauscht werden.

Die Währung kann mithilfe von drei Möglichkeiten abgesichert werden: Denkbar sind die Sicherung durch Assets, Kryptowährungen oder Algorithmische Absicherung. Welchen dieser Wege Facebook geht, ist derzeit offen. Zwar wirbt Libra damit, dass man sowohl in Assets als auch in Kryptowährungen investiert sei. Nach Berichten der Washington Post handelt es sich um die Absicherung mithilfe von Assets. 

Sicher scheint durch die Auswahl des Stablecoins jedoch auch, dass Investoren keine großen Gewinne erwarten können. Grund dafür ist, dass diese in der Regel aufgrund von Volatilitäten realisiert werden. Fehlen diese wie nun beim Stablecoin, sind eher langfristige Zinsgewinne zu erwarten. 

Wie man kritischen Nutzern Stablecoin als Vorzug verkauft

Spannend ist das Vorgehen von Mark Zuckerberg vor dem Hintergrund seines Unternehmensstrategie für Facebook vor dem Hintergrund, dass die Frage nach dem Schutz der Daten heute in den meisten Medien präsent ist. Insbesondere eine Anmerkung des Wall Street Journals fällt jedoch ins Auge. Jeff Horwitz und Parmy Olson zitieren Facebook, wenn sie darauf hinweisen, dass eine Trennung zwischen sozialen und finanziellen Daten statt finden soll. 

Denkt man diesen Ansatz weiter, so könnte die Initiative von Facebook neben dem Zugang zu weltweitem Zahlungsverkehr auch dazu dienen, erste Überlegungen anzustellen, wie man Daten in Bezahlungen wandeln kann. Jan Schwenkenbecher berichtet im November 2018 für die Süddeutsche Zeitung, dass einzelne E-Mailadressen einen Wert von 0,75 Euro besitzen. Was also, wenn der Nutzer für jede Transaktion, der er selbst tätigt, diesen Betrag in Stablecoin gutgeschrieben hält? 

Warum WeChat und Alipay als Vorbild gereichen

Ein Blick nach China zeigt übrigens, wohin es führen kann. WeChat Pay und Alipay sind nur zwei Zahlungsdienste im vermeintlich fortschrittlichsten Land technologischer Entwicklungen. Auch diese versuchen derzeit verstärkt am europäischen Markt Fuss zu fassen. Hierzu gehen sie zweierlei Wege. WeChat Pay setzt auf die Zusammenarbeit mit Wirecard, um als Zahlungsdienstanbieter ernstzunehmend aufzutreten. Alipay arbeitet mit Händlern zusammen. 


Die Folgen des Rund-um-Services sind ebenfalls zu sehen. Peter Steinlechner meldet für das Onlineportal golem im Dezember 2018, dass das WeChat Profil als Ersatz für den Personalausweis gilt. Ähnliches wäre auch für Facebook denkbar, was sowohl soziale als auch finanzielle Daten erhebt. Wozu diese Daten führen können, schildert Sophia Seiderer für Die Welt bereits 2012 ausführlich. So ist es denkbar, dass ein Scoring etabliert wird. Es könnte beispielsweise bei Kreditentscheidungen eine Rolle spielen. 

Was Zuckerberg vermutlich beabsichtigt

Diesen Zustand, dass sich sehr viel über eine Plattform abbilden lässt, nennt man auch Locked-In Effekt. Es bedeutet, dass Nutzer bei einem Wechsel der Plattform hohe Kosten in Kauf nehmen müssen. Sich nicht mehr länger ausweisen zu können, scheint insofern ein relativ hohes Gut zu sein, welches nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird.

Ähnliche Absichten dürfte Facebook besitzen. So ist für den Betrieb ein Facebookkonto nötig. Die Pflicht zur Nutzung des Klarnamens gilt laut Facebook schon länger. Künftig wird sie jedoch mit dem Hinweis auf Regulierung und rechtliche Aspekte wie das Geldwäschegesetz einfacher durchzusetzen sein. Damit baut Mark Zuckerberg weiter an dem wertvollsten Gut, was er bereits seit Jahren Kunden zum Kauf beispielsweise in Form von Werbeanzeigen anbietet: Daten. 

Das Potential liegt in Libra – und nicht in Calibra

Neu daran ist insbesondere die Bündelung unterschiedlicher Datenpunkte. Aufgrund des Engagements von Unternehmen wie Visa und Uber im Projekt Libra steht anzunehmen, dass Facebook so weitere Daten gewinnen kann und künftig trotz Regulierung in der Lage ist, ein um ein Vielfaches besseres Targeting anzubieten. Denkbar wäre beispielsweise die Möglichkeit von Predictive Analytics. Hier werden Kunden gesucht, die aktuellen Käufern so ähnlich wie möglich sind. Diese werden dann beworben und kaufen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit die beworbenen Produkte. 

Somit stützt Calibra das angeschlagene Geschäftsmodell von Zuckerberg und verschiebt die Suche nach neuen Erlösquellen bis auf Weiteres. So argumentiert auch Rob Martin für das PCMag. Er kommt zu dem Schluss, dass das Geschäftsmodell von Facebook stets auf dem Verkauf von Werbung basieren wird. Basis dafür, so Martin weiter, seien Daten. Nachdem Facebook in den vergangenen Monaten einige Optionen zur Bildung von Zielgruppen nicht mehr anbieten darf, sucht das nach dem Abgang von Sheryl Sandberg verbleibende Spitzenteam von Mark Zuckerberg nun nach Lösungen für ihr wachsendes Dilemma.

Wie die Welt darauf reagiert

Die Papiere des sozialen Netzwerks rückten bis Handelsende am Dienstag um 4,24 Prozent auf 189,01 US-Dollar vor und zogen so an der Nasdaq-Börse den ganzen Technologiesektor mit nach oben. Führende Experten wie Mark Mahaney und Zachery Schwartzman, beides Analysten der Royal Bank of Canada, erklärten dem Wall Street Journal gar, die Einführung und ihre Folgen seien für die Welt vergleichbar zur Vorstellung von iOS als Betriebssystem von Apple. 

Ein besonders Augenmerk besitzen Banken auf das Angebot von Facebook nun auch grenzübergreifende Geldtransfers anzubieten. Christian Kirchner schreibt für das Onlineportal Finanz-Szene, dass eine Überweisung von 200 US Dollar etwa sieben Prozent betragen. Hier verweist er auf eine Pressemitteilung der Weltbank, die für 2018 ein Überweisungsvolumen von 500 Milliarden US Dollar belegt. Die Gewinnspanne der Banken liegt also etwa bei 35 Milliarden Euro per Jahr. 

Positive Stimmen auch bei den Banken

Umso überraschender ist es, dass die ersten Stimmen der Banken positiv sind. So berichtet Chris Giles für die Financial Times aus London, dass der Vorstand der Bank of England der Initiative gegenüber durchaus offen sei. Allerdings, so zitiert Giles weiter, handele es sich nicht um ein Freifahrscheint für das Unternehmen. Ähnlich berichten auch andere Medien über die Zentralbank in Frankreich und den Niederlanden. 

Bedenkt man, dass Facebook aufgrund des Angebots von Stablecoins in der Lage ist, eigene Finanzströme außerhalb der durch Länder und Banken kontrollierten bestehende Wege abzubilden, scheint die Reaktion umso überraschender. 

Über das Wochenende schlägt die Stimmung jedoch um. Die Welt am Sonntag zitiert Burkhard Balz, Vorstand der Bundesbank, mit kritischen Aussagen zu Libra: „Sollte Libra in größerem Umfang verwendet werden, sind weitreichende Implikationen für die Finanzbranche, für die Finanzstabilität und für die Geldpolitik nicht auszuschließen“. Weiter appelliert er im Interview an seine europäischen Kollegen, eine eigene Alternative zu den überwiegend amerikanischen Angeboten zu schaffen.

Dämpft Telegram den vermeintlichen Erfolg von Facebook?

Das letzte Wort über Erfolg und Niederlage ist jedoch noch nicht gesprochen. Es steht abzuwarten, wie affin die Nutzer von Facebook 2020 sein werden, wenn Calibra offiziell gelauncht wird. Anders liegt der Sachverhalt bei Telegram. Der Konkurrenz von Messengerdienst WhatsApp bringt bereits im dritten Quartal diesen Jahres eine eigene Krypotwährung auf den Markt, die ähnliche Funktionalitäten besitzt wie Calibra. 

Was Facebook und Telegram voneinander unterscheidet, ist die Zielgruppe. So befinden sich bei dem als sehr hoch verschlüsseltem und hochgradig anonymisierbaren Messenger vor allem technikaffine Nutzer. Diese sind zumindest in der Theorie offener für das Thema als Facebooks Cat-Content User dies sind. Es bleibt also abzuwarten, wie sich das Vorhaben in den kommenden Monaten weiter entwickelt.

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