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Lemonade: Digitaler Angriff aus den USA?

Der US-Versicherer Lemonade rollt mit digitaler Wucht auf deutsche Versicherer zu, so wie einst Amazon auf den Einzelhandel. "Schnell, preiswert, spaßig, einfach, transparent, ohne lange Bindungen, ohne Vermittler", will der Versicherer seine Produkte vertreiben. Top-Seller soll die "weltweit coolste Hausrat- und Haftplichtversicherung" sein.


Der amerikanische Versicherer Lemonade bietet seit Dienstag Versicherungen in Deutschland an. Das Konzept ist so einfach wie sachdienlich: In 90 Sekunden kann mithilfe von App und Sprachsteuerung ein Versicherungsvertrag geschlossen werden. Basis dessen bildet ein vierseitiges Dokument, das die Versicherungsbedingungen umfasst.


Keine Angst vor Technologie


Während bereits in den vergangenen Monaten einige Versicherer wie beispielsweise die Deutsche Familienversicherung (DFV) ähnliche Angebote erprobt haben, den tatsächlichen Vertragsschluss jedoch stets ausgeklammert haben, geht das mit niederländischer Versicherungslizenz tätige Unternehmen einen anderen Weg: Es möchte so viel als möglich durch Automatisierung abbilden.


Wer beispielsweise einen telefonischen Ansprechpartner sucht, der wird mithilfe von kritischen Argumenten über Telefonhotlines dazu aufgefordert, die App zu nutzen. Hier tauscht sich der Kunde mit einem Chatbot aus. Kommt dieser nicht mehr weiter, übernimmt ein menschlicher Ansprechpartner.


Wie groß ist der Unterschied zu deutschen Insuretechs wirklich?


Nun meldet sich mit dem Gründer von GetSafe im Handelsblatt das erste Mal ein deutsches Insuretech zu Wort. Christian Wiens, CEO von GetSafe, gibt im Gespräch mit Carsten Herz zu, dass der Markteintritt von Lemonade in Deutschland das Unternehmen zum direktesten Konkurrenten mache.


Jedoch, so Wiens weiter, dürfe man die amerikanische Geschäftspolitik nicht unterschätzen. Diese sei stark auf Wachstum ausgerichtet, wohingegen deutsche Unternehmen stärker auf die Umsetzung achten, bevor sie ein Wachstum fokussieren.


Im Unterschied zu Lemonade setzt GetSafe auf die klassische App. Die Möglichkeit alle Funktionen auf dem Smartphone zu haben stellt in den Augen von Wiens einen wirklichen Vorsprung dar. Ein Blick auf die Zahlen von Lemonade zeigt jedoch, dass das Unternehmen insbesondere im weltweiten Vergleich auf dem Vormarsch ist:


Über 500.000 Downloads der App in den vergangenen drei Jahren, 67 Millionen US-Dollar Umsatz und ein klares Wachstumsziel für das laufende Jahr sprechen eine deutliche Sprache.


Deutsche Insuretechs können mit diesen Zahlen nicht mithalten. So ist es schon schwer genaue Angaben über Umsätze in den aktuellen Geschäftsjahren seitens der Insuretechs zu erhalten. GetSafe teilt beispielsweise in einem aktuellen Dokument zu Zahlen & Fakten des Unternehmens nur mit, dass man mehr als 60.000 Kunden betreue. Die Zahl von 60.000 Verträgen ist seit 2016 kommuniziert. Aktuellere Aussagen gibt es nicht.


Ähnlich verhält es sich mit ottonova. Das auf private Krankenversicherungen spezialisierte Insuretech teilte in den vergangenen Jahren unterschiedliche Zahlen zur Geschäftsentwicklung mit. 31.000 Euro Umsatz soll man in 2017 gemacht haben, berichtet Caspar Tobias Schlenk für Gründerzene


Zwischen 200 und 1.000 Kunden soll der Bestand umfassen, schreibt Alexander Hüsing für deutsche-startups.de. Konsequenz aus der eher negativen Berichterstattung für Gründer Roman Rittweger? „Wir kommunizieren keine Kundenzahlen mehr" teilte er dem Onlineportal Gründerszene im Interview mit. 


Wie Lemonade den deutschen Markt sieht 


Anders als Christian Wiens äußert sich Daniel Schreiber, CEO von Lemonade. Er sieht den deutschen Markt als große Chance an. In seiner Wahrnehmung gibt es eine Lücke, die Lemonade nun füllen möchte, erläutert er gegenüber dem Handelsblatt.


Beunruhigend klingt diese Ankündigung für GetSafe nicht, immerhin, so Wiens gegenüber dem Handelsblatt, habe man als einiges Insuretech eine Plattform am deutschen Markt etablieren können, die unterschiedliche Produkte anbiete. 


Eine direkte Konkurrenz zwischen den Anbietern herrsche laut Wiens auch deshalb nicht, da sich die Anbieter an unterschiedliche Zielgruppen richten. Gegenüber dem Handelsblatt erläutert er, dass One und Wefox eher ältere Versicherungsnehmer ansprechen, während sich GetSafe an Kunden unter 35 Jahren wende. 


Wie Lemonade die Zielgruppe gewinnen möchte 


Hier könnte Lemonade nun den entscheidenden Unterschied machen: Es nutzt ein Geschäftsmodell, das in Deutschland insbesondere durch nachhaltige StartUps bekannt geworden ist. 


Die Idee der Nachhaltigkeit ist beispielsweise durch Getränkehersteller wie Lemonaid/ChariTea oder Viva Con Aqua bekannt geworden. Dahinter steckt die Idee am Unternehmensgewinn nur einen bestimmten Teil festzuhalten, während man einen anderen Teil nutzt, um damit Nachhaltigkeit zu fördern. 


Genau dieses Geschäftsmodell greift das amerikanische Unternehmen Lemonade nun auf, indem man nur 25 Prozent der erzielten Gewinne für das Unternehmen nutzt. Die anderen 75 Prozent werden in soziale Projekte investiert. Dazu zählt laut Gründerszene in Deutschland beispielsweise Viva Con Aqua oder Terre des Femmes. 


Insbesondere der Einsatz für den weltweiten Zugang zu sauberem Trinkwasser durch das auf Sankt Pauli beheimatete Unternehmen Viva Con Aqua könnte in der Entscheidung für oder gegen einen Anbieter zusätzlichen Einfluss auf die Entscheidung der jungen Zielgruppe beider Insuretechs nehmen. 


Dafür sprechen diverse Studien zur Einstellung der Zielgruppe. Nachhaltigkeit spielt insbesondere eine umso größere Rolle, je jünger die Befragten werden. Nichtzuletzt liefern die Teilnehmer der Fridays for Future Demos hierfür wöchentlich einen Beweis. 


Ruck für die etablierten Versicherer? 


Befragt nach den Auswirkungen für die etablierten Versicherer erläutert Wiens gegenüber dem Handelsblatt, dass er einen positiven Ruck erwarte. Das grundsätzliche Problem veralteter Infrastrukturen lasse sich laut ihm jedoch so schnell nicht lösen. Dies gebe GetSafe, Lemonade und anderen Insuretechs einen Vorsprung mehrerer Jahre. 


Tatsächlich melden sich auch in dieser Woche große Versicherer erneut zu Wort. So erläutert die ERGO ihre Strategie, künftig verstärkt auf einfache und transparente Angebote setzen zu wollen und auch technische Möglichkeiten wie Sprachassistenten verstärkt nutzen zu wollen. 

Hinter Lemonade stehen unter anderem die Finanzkonzerne Axa, Allianz und Softbank.


Foto: Shutterstock

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