Was macht der Terror mit unserer Gesellschaft? Der Psychologe Jörg Angenendt vom Universitätsklinikum Freiburg spricht über den Umgang mit der abstrakten Gefährdung.
SWR Aktuell: Terroristische Anschläge häufen sich. Gewöhnen wir uns daran oder stumpfen gar ab?Jörg Angenendt: Ich glaube, gewöhnen ist etwas übertrieben. Aber zumindest ist es so, dass es unser aller Bewusstsein erreicht hat, dass wir in Europa nicht mehr in einer Region des immerwährenden Friedens und der inneren Sicherheit leben. Wir werden immer wieder mit Terroranschlägen konfrontiert, die prinzipiell jeden von uns betreffen können.
Solche Nachrichten sind für uns nicht mehr so außergewöhnlich wie früher, denn wir mussten mittlerweile mehrfach schreckliche Erfahrungen mit Anschlägen in europäischen Großstädten machen, auch in Deutschland. Durch diese Vorerfahrungen können wir diese Art von Ereignissen inzwischen leichter zuordnen und einschätzen. Das heißt aber keineswegs, dass wir deshalb alle abstumpfen oder uns diese Ereignisse nicht mehr berühren oder tangieren.
Ist es notwendig, sich den Terror mit seinem ganzen Schrecken zu vergegenwärtigen oder sollte man eher nach dem "Keep Calm and Carry On"-Prinzip der Briten leben?Ich halte eine Position in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen für angemessen. Man kann einerseits nicht so tun, als gebe es Terror hier nicht. Aber umgekehrt zu sagen, man darf nicht mehr zu Großveranstaltungen oder in europäische Hauptstädte fahren, in denen gehäuft Anschläge stattgefunden haben, ist auch keine wirklich hilfreiche Methode. Denn wir wissen nicht, ob morgen der nächste Anschlag an einem Ort sein könnte, den wir vermeintlich für sicher halten.
Man sollte sich nach meiner Einschätzung nicht davon abhalten lassen, ins Flugzeug zu steigen oder nach vorheriger guter Information in fremde Länder zu reisen. Das wäre keine angemessene und hilfreiche Antwort, denn sie hätte ihren Preis: Lebensmöglichkeiten, Lebensqualität und Neugierde auf andere Städte oder menschliche Begegnungen mit Fremden würden dadurch ja enorm beschränkt.
Was hilft gegen die Angst vor dem Terror? Ist es sinnvoll, darüber zu reden?Ich denke, es ist sicherlich wichtig, dieses schwierige Thema nicht für sich still im eigenen Brustkasten auszubrüten und alleine damit zu bleiben, sondern sich mit den Menschen im sozialen Umfeld auszutauschen. Wie dort mit dem Thema umgegangen wird, kann sehr hilfreich sein. Aber ich denke nicht, dass es sich auf eine einzelne Formel bringen lässt. Wir haben es hier mit einer abstrakten Gefährdung zu tun, die nicht in jedem Fall für jeden einzelnen von uns konkret erfahrbar wird. Das ist eine besonders schwierige Situation für uns Menschen. Denn normalerweise haben wir bei einer konkreten Bedrohung oder einer Risikosituation dank unserer Fähigkeit, mit unserer Angst reagieren zu können, auch bestimmte Antwortmöglichkeiten schon parat.
Wie geht es Angehörigen von Terroropfern, wenn der Terror für die Mehrheit der Gesellschaft immer mehr zum Alltag wird und jeder neue Anschlag nur einer von vielen ist?Das ist sicherlich ein sehr ernstzunehmendes Problem. Diejenigen, die persönlich oder im unmittelbaren Umfeld betroffen sind, brauchen natürlich sehr viel länger, mit dem Trauma beziehungsweise dem Verlust umzugehen. Die allgemeine Öffentlichkeit, die davon nur vermittelt über die Medien erfährt, kann viel schneller Distanz finden und wieder zum Alltag zurückkehren. Für die direkt Betroffenen ist immer auch eine frühzeitige professionelle und therapeutische Hilfe zu erwägen und gegebenenfalls bereitzustellen.
In Deutschland haben wir noch keine standardisierten Programme, wie es sie beispielsweise in einem seit Jahrzehnten vom Terror geprägten Land wie zum Beispiel Israel gibt. Aber zumindest hat sich auch bei uns durchgesetzt, dass sich selbstverständlich um die psychischen Belange der Beteiligten gekümmert wird. Es hat sich im öffentlichen Bewusstsein fest verankert, dass auch körperlich Unverletzte oder nur geringfügig Verletzte durch eine Extrembelastung gravierende psychische Folgen davontragen können. Und das ist eine gute Entwicklung.
Die meisten Menschen sehnen sich nach Sicherheit. Glauben Sie, dass sich das Sicherheitsgefühl in naher Zukunft wieder einstellen kann?Ganz ernsthaft gesprochen gab es auch früher keine absolute Sicherheit für die Menschheit. Früher waren es andere Bedrohungen wie Kriege oder Naturgewalten - Dinge, die in Europa zum Glück seltener geworden sind oder die als Gefahren besser eingedämmt werden konnten. Heute ist sicherlich der riesengroße Unterschied, dass durch die Medien jedes schreckliche Extremereignis, das irgendwo auf der Welt passiert, innerhalb von wenigen Minuten als Nachricht auf dem Handy aufploppt. Das kann auch eine kumulative Wirkung haben, denn es entsteht der Eindruck, dass man nirgendwo mehr sicher sein kann.
Es gibt für diese Art der aktuellen Bedrohungslage keine hundertprozentige Sicherheit. Bei früheren Terrorakten in Deutschland, beispielsweise durch die Rote Armee Fraktion, gab es mit dem politischen oder wirtschaftlichen Establishment eine konkrete, sehr selektive Zielgruppe für die Angriffe. Die heutigen Terrorattacken können wirklich jeden von uns treffen, wodurch die Unberechenbarkeit erhöht wird. Es ist natürlich der Sinn und Zweck von Terror, diese diffuse überdauernde Angst zu verbreiten. Dennoch ist es wichtig, in unserer Gesellschaft eine offene Diskussion darüber zu führen. Diese Fragen sind keineswegs für Menschen reserviert, die beispielsweise sonst wegen psychischer Beschwerden oder Störungen zu uns kommen. Sie betreffen momentan uns alle.
Das Gespräch führte Katharina FeißtStand: 29.6.2017, 10.56 Uhr