Die Architekten Richard Neutra, Mies van der Rohe, Walter Gropius und Marcel Breuer haben unser Bild von der US-Moderne gewaltig mitgeprägt. Ihre Gebäude sind längst zu Stars geworden, die in Hochglanzproduktionen für Architekturbildbände abgefeiert werden. Diese Herangehensweise kam nicht infrage für das mexikanische Künstlerinnenduo Lake Verea (aus den Nachnamen von Francisca Rivero-Lake und Carla Verea): "Wir wollten sie so zeigen, wie man sie noch nicht zuvor gesehen hat."
Sie wollten ungeschönte Porträts der Gebäude, Bilder wie von Paparazzi: aus der Hüfte geschossen, spontan und ohne Wiederholung. Also haben sie sich zwischen 2011 und 2018 während verschiedener USA-Reisen an die Architektenhäuser herangepirscht und sie so fotografiert, wie sie dastanden. "Die Geschichte wird an dem Tag erzählt, an dem wir vor dem Haus stehen", sagt Verea.
Die während der USA-Aufenthalte entstandenen Bilder sind nun in der Design Gallery des Vitra Museums in Weil am Rhein zu sehen. Unterteilt ist die Ausstellung in drei Kapitel. Jedes widmet sich jeweils zwei Architekten, die komplizierte berufliche und persönliche Beziehungen miteinander hatten wie zum Beispiel Walter Gropius und Marcel Breuer.
Lake Verea/ Vitra Design Museum
SPIEGEL ONLINE: Sie fotografieren Häuser, die schon unzählige Male abgelichtet worden sind. Was zeigen Ihre Aufnahmen, das man nicht schon aus Hochglanz-Bildbänden kennt?
Francisca Rivero Lake: Nehmen wir Mies van der Rohes "Farnsworth House" in Plano: Es ist eines der bekanntesten Häuser überhaupt. Selbst, wenn du nur wenig Ahnung von Architektur hast, dann erkennst du diesen Anblick wieder. Interessant war für uns zum Beispiel, was van der Rohes Klientin damals gerade nicht bekommen hat: ein Haus, das ihr Privatsphäre bietet. Normalerweise sieht man nämlich das genaue Gegenteil hiervon: Transparenz - die wollte der Architekt so. Deshalb verstecken wir das Gebäude auf unseren Fotos zum Beispiel hinter einem Baum, um nachträglich diese Privatsphäre zu schaffen.
SPIEGEL ONLINE: Also geht es auch um eine Entzauberung der Häuser?
Lake: Genau, die Schwächen, Macken, aber auch Dramen, die sich um diese Häuser abgespielt haben. Wie beim "Hagerty House" von Gropius und Breuer: Eines der architektonischen Aushängeschilder der Moderne schlechthin - und ein Bauprojekt, über das sich beide auf Lebenszeit zerstritten haben.
Carla Verea: Man vergisst auch schnell, dass diese heute weltberühmten Häuser ursprünglich nicht für besonders wohlhabende Bewohner gebaut worden sind. Klar, es waren Menschen mit einem Sinn für Avantgarde, die etwas ausprobieren wollten. Aber sie konnten dafür keine Unsummen ausgeben. Hochglanz-Fotografien zeigen da vielleicht ein missverständliches Bild.
SPIEGEL ONLINE: Das "Lovell Newport Beach House" von R. M. Schindler haben Sie von unten fotografiert, was als fotografisches No-Go gilt: überall stürzende Linien.
Verea: Genau: Wir wollten es so zeigen, wie man es noch nicht gesehen hat. Unsere persönliche Perspektive, unsere Interpretation eines Hauses. Und uns dafür keine Regeln auferlegen.
Lake: Die Häuser, die wir porträtiert haben, sind echte Persönlichkeiten für uns - sie sind um die 80 Jahre alt, es gibt so viele Geschichten und Legenden. Einige sind wirklich heruntergekommen, aber man erkennt immer noch diese klaren Linien, ihre ursprüngliche Schönheit - "gealtert mit Würde", sagen wir. Dann gibt es unsere "Botox-Ladies" (lacht), die bis ins hohe Alter immer noch knackfrisch aussehen.
SPIEGEL ONLINE: Welche Rolle spielen die aktuellen Besitzer? Klingeln Sie nach dem Shooting an und stellen sich kurz vor?
Lake: Wir versuchen, so wenig wie möglich mit den Bewohnern zu interagieren. Wir melden uns nicht an, wir suchen auch danach keinen Kontakt. Im Idealfall bemerken sie nicht, dass wir da waren.
Verea: Viele Häuser haben keine Mauern, keine Zäune. Wir konnten uns ihnen also wirklich sehr leicht nähern.
SPIEGEL ONLINE: Sie fotografieren ausschließlich analog. Welche Rolle spielt dieser Faktor für Ihre Arbeit?
Lake: Wir machen auch keinen digitalen Check-up. Wenn wir unsere Filme von der Entwicklung abholen, ist das wie ein Überraschungspaket: Was bei unserer Arbeit herauskommt, ist Teil des Mysteriums.
Verea: Wir schneiden unsere Fotos nie, wir verändern den Ausschnitt nicht. Die Technik folgt unserem Ansatz: Natürlich bereiten wir uns vor. Aber die Geschichte wird an dem Tag erzählt, an dem wir vor dem Haus stehen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben zwischen 2011 und 2018 die Klassiker der US-Moderne besucht. Irgendwelche Häuser, die noch auf der Liste stehen?
Lake: Es war eine tolle Zeit, zusammen unterwegs zu sein, sich nur von den Häusern leiten zu lassen, on the road zu sein. Die US-Moderne ist für uns aber abgeschlossen. Im heutigen politischen Klima hätten wir als Mexikanerinnen ehrlich gesagt auch mehr Bedenken, als Haus-Paparazzi herumzureisen (lacht). Aber Häuser-Stars gibt es natürlich noch viele: Jetzt haben wir ausschließlich männliche Architekten gehabt, das nächste wären dann Häuser von Architektinnen.
"Lake Verea: Paparazza Moderna" ist noch bis zum 7. Juli zu sehen in der Vitra Design Museum Gallery.