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Star-Designer Ettore Sottsass: Baumeister auf Ecstasy

Eine knallrote Reiseschreibmaschine hat ihn berühmt gemacht, aber Ettore Sottsass brillierte auch mit frühen Computern und bekloppt bunten Möbeln. Eine neue Schau feiert einen der wichtigsten Designer der Gegenwart.


Es ist der Abend des 18. September 1981, an dem die bisher sicher geglaubten Grenzen des guten Geschmacks nachhaltig erschüttert werden. Ettore Sottsass hat diesem Moment lange entgegengefiebert, nun steht er mit etwas abwesendem, aber nicht unzufriedenem Blick mitten im Geschehen. Gerade ist der Verkehr auf dem Corso Europa, eine der Hauptverkehrsstraßen im Zentrum Mailands, zusammengebrochen.


Alle wollen die Revolution des Designs sehen: Grellbunte Möbelstücke in noch grellerer Kombination, Sofas in Blau-Pink-Grasgrün und Lampen in Pink-Schwarz-Gelb-Rot, gestreifte und gemusterte Laminatfolien, schiefe Ebenen und Regale - wie Spielbausteine, zusammengesetzt von Baumeistern auf Ecstasy. Das Designer-Kollektiv Memphis, zu dem auch Sottsass gehört, hat nicht zu viel versprochen.


Insbesondere in Deutschland sind Designerkollegen schockiert über die scheinbar willkürlich zusammengewürfelten Farb- und Formenhaufen aus Mailand. Einer Hochkultur des guten Geschmacks setzen die Italiener in ihren Augen Elemente aus Trash und Massenkultur der Fünfzigerjahre, billiges Resopal und jegliche Gesetze der Statik missachtende Konstruktionen entgegen. Andere, zum Beispiel Karl Lagerfeld, finden genau das wunderbar. Er lässt angeblich sein komplettes Ferienhaus mit Memphis-Mobiliar ausstatten.


Zumindest als Vorboten läuten die Entwürfe von Memphis den Stil der Achtziger- und der frühen Neunzigerjahre ein. Und wie es radikale Ideen so an sich haben, verschwinden sie spätestens dann, wenn sie im Allgemeinen aufgegangen sind - doch da hat sich Ettore Sottsass, der mit dem Kollektiv auch Hoffnungen auf unabhängige Produktionsbedingungen verknüpfte, schon längst wieder von Memphis verabschiedet.


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Sottsass wird 1917 in Innsbruck als Kind einer österreichischen Mutter und eines italienischen Vaters geboren. Seine Kindheit verbringt er in den Tiroler Bergen. Dieser Umstand ist seinem Biografen später Anlass zu der Frage, wo seine tiefe Schwermut denn ihren Ursprung haben könnte - als ob ein melancholisches Naturell per Definition erklärungsbedürftiger wäre als die permanente Fröhlichkeit.

Ein ganzer Bildband wird sich später mit Sottsass' unterschiedlichen Formen der Traurigkeit befassen. Mal erschöpft, mal nostalgisch, selbst im glücklichen Zustand sieht der sympathische Herr mit dem Schnauzbart noch immer ein wenig mitgenommen aus. Für Ettore Sottsass beginnt die Traurigkeit, so wird er gern zitiert, als er das Leben als Reihung lauter Abschiede erkennt. Vielleicht eine Voraussetzung, die viele Künstler mit Designern teilen: Der empfundene Mangel an der imperfekten Welt, der man etwas entgegenzusetzen hofft.


"Anti-Designer" mit Hang zur Melancholie


Nachdem er sich als Soldat unter Mussolini verpflichtet hatte - was ihn dazu bewog, hat Sottsass im Gegensatz zu anderen Details seines Lebens kaum kommentiert -, arbeitet er mit seinem Vater, dem erfolgreichen Architekten Ettore Sottsass Senior, in einem gemeinsamen Architekturbüro. Im Geiste des Modernismus helfen sie, die zerbombten italienischen Städte neu zu gestalten. Nach dem überraschenden Tod des Vaters findet der Junior Gefallen am Design, genauer: dem Industriedesign.


Für Olivetti - das eine Zeit lang technisch wie gestalterisch gleichauf war mit Apple, bevor es den Wettlauf der Digitalisierung schließlich verlor - entwirft er, was bald zu seinem und des italienischen Unternehmens Aushängeschild werden wird: Die Olivetti Valentine, eine bald weltberühmte knallrote Reiseschreibmaschine.

Ettore Sottsass 1984
Courtesy Studio Ettore Sottsass/ Barbara Radice

Ettore Sottsass, 1984


An diesem Stück Industriedesign-Geschichte zeigt sich Ettore Sottsass Prinzip. Design erfüllt für ihn immer auch eine emotionale Funktion. Seine Idee hinter der Olivetti Valentine: Die Maschine soll tröstender Begleiter in einsamen Stunden sein. Sottsass konzipiert sie als Alltagsgegenstand für Jedermann, aus günstigem Plastik, ohne Schnickschnack und ausschließlich mit Großbuchstaben ausgestattet.


Mit der Ausführung ist er dann überhaupt nicht zufrieden. "Ich habe 60 Jahre meines Lebens gearbeitet, und es scheint als ob alles, was ich jemals geschaffen habe, diese verdammte rote Maschine ist", schimpft er später in Interviews.


In diesem Jahr wäre Ettore Sottsass 100 Jahre alt geworden. Das Vitra Design Museum widmet ihm eine große Schau, die Sottsass‘ umfangreichem Œuvre ebenso Rechnung tragen soll wie seinem Leben – zu dem neben der nach eigener Ansicht missglückten Schreibmaschine und den Memphis-Entwürfen Aufenthalte in den USA und in Indien, Freundschaften mit Hemingway und Ginsberg, Sympathien für anarchistische Ideen ebenso gehörten wie Architektur in Japan und Hannover, Computer-Modelle für Olivetti. Für Kuratoren dürfte der italienisch-österreichische Architekt, Künstler und Designer eine dankbare Persönlichkeit sein: Permanent hat er sich Notizen gemacht, Gedanken und Ideen niedergeschrieben, ganze Briefkorrespondenzen aufbewahrt, neben Designzeitschriften mehrere Bücher herausgebracht. Das macht es wohl nicht unbedingt leichter, einen Menschen wie ihn unter einem Ausstellungstitel zusammenzufassen. Mit dem Begriffsdoppel „Ettore Sottsass: Rebell und Poet“ könnte aber vielleicht auch der sich anfreunden.



Ausstellung: Ettore Sottsass - Rebell und Poet. Die Retrospektive läuft noch bis zum 24. September 2017 im Vitra Design Museum, Weil am Rhein.




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