Sie gehen für ihre Freiheit auf die Straße. Obwohl sie Angst haben, obwohl Aktivisten festgenommen und eine geplante Kundgebung abgesagt wurde. Junge Hongkonger berichten
Die für das Wochenende geplanten Demonstrationen sind abgesagt worden, drei prominente Aktivisten wurden am Freitag festgenommen. Darunter ist auch Joshua Wong, der erst im Juni aus der Haft entlassen wurde. Mehr als eine Million Menschen haben laut dem Veranstalter in der vergangenen Woche demonstriert. Wer steckt hinter den Masken? Hier berichten vier von ihnen. Zu ihrem eigenen Schutz sprechen sie anonym.
"Die Regierung gibt einen Dreck auf friedliche Proteste"Michael ist 26 Jahre und Doktorand, 2014 glaube er noch, mit Protest nichts verändern zu können - jetzt geht er trotz Verbot wieder auf die Straße.
Auch, wenn die Proteste verboten worden sind, ich werde wieder auf die Straße gehen. Der 31. August ist ein wichtiger Jahrestag, besonders für Leute, die bei der Regenschirmbewegung dabei waren. Damals hat verkündet, dass die Hongkonger den Regierungschef weiterhin nicht in offenen Wahlen wählen können. Außerdem gab es auch schon letzte Woche ein Verbot und die Leute kamen trotzdem zum Protest. Als die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam danach eine Pressekonferenz gehalten hat, hat das dafür gesorgt, dass die radikalen Demonstrierenden wieder rauskamen. Jetzt nehmen sie kurz vor dem Protest morgen prominente Aktivistinnen und Aktivisten fest - als ob sie wollten, dass wir wieder auf die Straße gehen.
Als ich 2014 zum erstem Mal demonstriert habe, glaubte ich noch daran, dass wir unsere Ziele durch friedlichen zivilen Ungehorsam erreichen können. Ich habe mich mit Freunden den Sondereinheiten der Polizei entgegengestellt und freie Wahlen gefordert. Aber nach den Protesten ging die Regierung nicht auf unsere Forderungen ein und ich hatte nicht das Gefühl, dass wir irgendetwas erreicht hatten. Es war einfach unglaublich frustrierend: Alles, wofür wir Monate lang gekämpft hatten, war umsonst. Mir war klar, dass China praktisch schon kontrolliert und uns keine Demokratie erlauben wird. Danach habe ich angefangen, Politik zu ignorieren. Ich wollte nirgendwo mitmachen, ich wollte einfach hart arbeiten, gute Noten bekommen und diese Stadt so schnell wie möglich verlassen.
Aber dann gingen am 9. Juni eine Millionen Menschen friedlich auf die Straße und gleichzeitig begannen Leute, als Akt zivilen Ungehorsams Straßenblockaden zu bauen. Ich hatte das Gefühl, dass es wieder Hoffnung gibt und habe mich noch in der gleichen Nacht den Straßenbesetzungen angeschlossen.
Ich will mir nicht vorstellen, was passiert, wenn wir scheitern.
Seit 2014 verstehe ich aber auch, warum manche Leute radikalere Methoden nutzen - die Regierung gibt einen Dreck auf friedliche Proteste. Deswegen helfe ich den Leuten aus dem radikalen Camp. Ich leiste zum Beispiel Erste Hilfe, erkläre Autofahrerinnen, warum die Straße blockiert ist, wo sie stattdessen entlangfahren können und entschuldige mich bei ihnen für die Unannehmlichkeiten. Es ist wichtig, dass wir die Unterstützung der Bevölkerung nicht verlieren. Außerdem sammle ich Ausrüstung wie Gasmasken, Helme und Brillen bei einer Materialstation in der Nähe der Proteste, damit sich die Leute an der Front gegen die immer extremeren Methoden der Polizei schützen können. Selbst mit der Polizei angelegt habe ich mich nicht.
Ich will mir nicht vorstellen, was passiert, wenn wir scheitern. Wenn die Polizei uns jetzt schon so behandelt, weiß ich nicht, wie es aussehen wird, wenn Pekings Einfluss in den kommenden Jahren noch stärker wird. Ich möchte nicht in einem Land leben, dass von einer autoritären Partei terrorisiert wird.
Ich werde das Ende der Bewegung abwarten, aber vielleicht beende ich meine Promotion einfach früher mit einem Master und ziehe ins Ausland, um dort zu forschen. Viele meiner Freunde möchten die Stadt verlassen, aber es ist schwierig, manche können es sich nicht leisten. Besonders die Jüngeren sagen, dass sie bis zum Ende kämpfen werden, weil sie nichts mehr zu verlieren haben. Ich glaube nicht, dass sie wirklich bereit sind, eine Revolution zu starten oder Unabhängigkeit zu fordern.
Unabhängigkeit wäre vermutlich ideal, aber nicht realistisch. Im besten Fall gibt uns mehr Freiheit und erlaubt uns, mit einem allgemeinen Wahlrecht unsere Regierung zu wählen. Auch eine wirkliche Trennung von Hongkong und China, wie sie mit "Ein Land, zwei Systeme" vor über 20 Jahren eigentlich versprochen worden war, wäre für viele eine gute Lösung. Aber China möchte das nicht. China möchte ein Land und ein System, und dass Hongkong komplett unter chinesische Kontrolle kommt. Die aktuelle Bewegung ist unsere letzte Schlacht. Wenn wir sie verlieren, verlieren wir alles.