Blau wie der Himmel ist das Dreieck der Spanier", tönt es zu beschwingtem Paso-Doble-Rhythmus von der Bühne. Wer sich im Publikum beim Mitwippen ertappt, stellt sich unweigerlich die Frage: Darf ich das? Immerhin trägt das Musiker-Trio gestreifte Häftlingskleidung, und ein Erzähler hat dem Publikum die triste Bühne mit einem an die Wand projizierten rauchenden Schlot gerade als das KZ Mauthausen vorgestellt: In diesem Vernichtungs- und Arbeitslager der Nazis in Österreich fanden nicht nur 100 000 verhaftete Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und politische Gegner jeder Couleur den Tod - zu den Opfern gehören auch 5000 spanische Republikaner, die mit fast einer halben Million Landsleute nach dem Ende des Bürgerkriegs nach Nordfrankreich geflüchtet und 1940 bei der Besetzung Frankreichs den Nazis in die Hände gefallen waren.
Das Theaterstück "El triángulo azul" ("Das blaue Dreieck"), das kürzlich im Madrider Teatro Valle Inclán, einem Spielort des Staatsschauspiels, uraufgeführt wurde, setzt nun diesen spanischen KZ-Opfern ein Denkmal. In Mauthausen mussten sie einen dreieckigen blauen Aufnäher mit dem Buchstaben S am Ärmel tragen, was sie in der verqueren Logik der Faschisten als "staatenlose Spanier" auswies. Das macht die Aufführung fast 40 Jahre nach dem Tod des Diktators Francisco Franco in Spanien immer noch zum Politikum; doch dazu später.
Vorerst hilft Laila Ripoll, 49, Regisseurin und Co-Autorin des Stücks, das Dilemma mit dem wippenden Fuß zu lösen: "Die Musik ist ein notwendiges Ventil: für uns, die wir uns seit Monaten mit dem düsteren Thema beschäftigen, und für die Zuschauer." Vor allem aber diente sie den Häftlingen im Lager als Rettungsanker. An Weihnachten 1942 holten sich die spanischen Häftlinge die Genehmigung zur Aufführung eines Varietéstücks ein - "nur der Himmel weiß, wie", sagt Ripoll. Die schauspielernden Häftlinge, unter ihnen der professionelle Stepptänzer José Cereceda, bastelten für die Vorführung des "Raja von Rajayola" eine blonde Perücke aus Sägespänen. Und bescherten mit Tanz und Gesang ihren Mithäftlingen ein paar kostbare Momente der Ablenkung.
Eine unglaubliche GeschichteNicht weniger unglaublich ist die im Mittelpunkt des Stücks stehende wahre Geschichte: Es ist die des katalanischen Fotografen Francisco Boix, der mit 19 Jahren inhaftiert wurde. Für den sogenannten Erkennungsdienst des Lagers musste er Häftlinge, SS-Aufseher und den grausamen Lageralltag ablichten. Allein beim Besuch Heinrich Himmlers im April 1941 entstanden 4000 Aufnahmen. Während seiner fünfjährigen Lagerhaft gelang es Boix, Zehntausende Fotos aus dem Lager zu schmuggeln. Hilfe leisteten ihm Mithäftlinge und eine mutige Bewohnerin von Mauthausen, Anna Pointner, die die Bilder bis zum Kriegsende bei sich im Garten versteckte. Nach der Befreiung sagte Boix als einziger spanischer Zeuge bei den Nürnberger Prozessen aus. Seine Aufnahmen wurden zur Verurteilung der Täter sowohl bei den Prozessen von Dachau wie auch von Nürnberg herangezogen.
Publik-Forum Dossier: Der Beutezug
Für die Inszenierung machten sich die Theatermacher das fröhliche und draufgängerische Wesen des echten Boix zunutze. Marcos León in der Rolle Pacos, so Boix' Rufname, unterhält das Publikum mit rabenschwarzem Humor. Etwa als er am ersten Tag im Fotolabor die von Schreien unterbrochenen Salven eines Erschießungskommandos trocken kommentiert: "Ist hier immer so viel los?" Sein Mithäftling und Laborkollege Toni (José Luis Patiño) macht aus seiner Abneigung gegenüber solchen Scherzen keinen Hehl. Tatsächlich ließ der echte Antonio García, der den Nazis ebenfalls Widerstand leistete, indem er verbotenerweise einen sechsten Abzug eines jeden Fotos machte und versteckte, zeitlebens kein gutes Haar an Boix.
"Die Häftlinge waren keine Heiligen", sagt Regisseurin Ripoll, "zumal in einer derartigen Extremsituation, die das Beste und Schlechteste aus einer Person herauszuholen vermag." So setzt der nie um einen Spruch verlegene Paco zur Durchsetzung seines Plans nicht nur sein eigenes, sondern auch das Leben anderer aufs Spiel.
Das Stück beleuchtet auch die dunklen Seiten der HeldenDass solche Widersprüche nicht glattgebügelt, sondern herausgestellt werden und die Figuren dadurch zu echtem Leben erwachen, ist eine der Glanzleistungen der Aufführung. Die dunklen Seiten der antagonistischen Helden Paco und Toni werden ebenso gnadenlos ausgeleuchtet wie die ihres zwielichtigen Landsmanns "La Begún", der als sogenannter Kapo (Mitglied der Kameraden-Polizei) im Auftrag der Nazis die Häftlinge drangsaliert.
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