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Mondsonde Chang'e-4: Geologisches Neuland auf dem Mond

Mit der Reise zur Mondrückseite möchten Geologen auch bislang ungelöste Rätsel der Entwicklung des Erdtrabanten klären. Die Forscher würden zum Beispiel gerne verstehen, warum die vulkanischen Prozesse auf Vorder- und Rückseite so unterschiedlich waren - und die Maria nicht überall verbreitet sind. Lange Zeit glaubten sie, dies könnte daran liegen, dass die Kruste auf der Mondrückseite dicker ist und vulkanische Schmelzen in den ersten Jahrmillionen der lunaren Geschichte leichter aufsteigen konnten. Die NASA-Mission Grail bestimmte bis Ende 2012 allerdings das lunare Schwerefeld und konnte keine auffällig erhöhte Krustendicke auf der erdabgewandten Seite feststellen. Warum gibt es dort dennoch kaum vulkanische Mare? Das, meint Harald Hiesinger, Planetengeologe und Mondexperte an der Universität Münster, sei eben "eine große Frage".

What does the far side of the moon look like? China's Chang'e-4 probe gives you the answer. It landed on the never-visible side of the moon Jan. 3 https://t.co/KVCEhLuHKT pic.twitter.com/BiKjh7Fv22

- China Xinhua News (@XHNews) January 3, 2019

Anhand des Mondinneren können Forscher lernen, wie sich der Erdrabant seit seiner Entstehung entwickelt hat. Hier gibt es noch immer immense Verständnisprobleme - wie sich beispielhaft an den Hypothesen über die unterschiedliche Krustendicke und den überwiegend fehlende Vulkanismus auf der Mondrückseite zeigt. Klar ist, dass der Mond vor 4,5 Milliarden Jahren entstand, mutmaßlich in der Folge eines planetaren Einschlags auf der jungen Erde. Die dabei ausgeworfenen Gesteine sammelten sich im Erdorbit zum Urmond und waren zunächst sehr heiß. Experimente und Modelle legen nahe, dass dann schwerere Mineralien aus der Schmelze mit der Zeit nach unten sanken und den Mondmantel formten, während leichtere nach oben gelangten und die Kruste bildeten. Ob dies tatsächlich so ablief, ist nicht bestätigt, aber: "Wir können dieses Magmaozean-Modell jetzt überprüfen", sagt Harald Hiesinger. Manche Forscher lehnen unterdessen selbst die Theorie der Mondentstehung durch einen Einschlag bis heute ab.

Neue angewandte Experimente

Nachdem sie sich jahrzehntelang für neue Raumsonden zum Erdtrabanten eingesetzt haben, warten viele Mondexperten weltweit nun gespannt auf erste Ergebnisse von Chang'e-4 - und freuen sich über den endlich geglückten chinesische Vorstoß. Der Krater Von Kármán war schon vor elf Jahren vom Wissenschaftsrat der Vereinigten Staaten als vorrangiges Ziel für zukünftige Exploration des Mondes in den Vordergrund gerückt worden - ein Lander aus den USA ist dann allerdings weder entsandt noch ausreichend finanziert worden. Und somit ist "die Mondrückseite interessant, weil dort noch nie eine Raumsonde gelandet ist", findet auch Harald Hiesinger.

Chang'e-4 soll allerdings anders als die meisten bisher auf dem Mond abgesetzten Sonden nicht nur geologische Feldforschung leisten. Der 2013 gelandete Vorläufer Chang'e-3 samt seines Rovers Yutu hatte beispielsweise ein Röntgenspektrometer dabei, mit dessen Hilfe chinesische Forscher eine zuvor unbekannte Form basaltischen Vulkangesteins nachweisen konnten. Auf dem Nachfolger befinden sich außer mehreren Kameras und Infrarot-Spektrometer vor allem neu entwickelte Instrumente. Allen voran ist das ein Radioteleskop, denn allein die natürliche Streustrahlung der Erde verhindert Blicke in die so genannte dunkle Zeit des jungen Universums, gerade 380 000 Jahre nach dem Urknall: Bestimmte Wellenlängen aus jener Zeit sind im erdnahen Raum fast gar nicht, auf der Mondrückseite dagegen ausgezeichnet messbar.

Wie wichtig der Chinesischen Akademie der Wissenschaften internationale Beiträge waren, zeigt das Instrument Lunar Lander Neutron Dosimetry von der Universität Kiel. Kaum zwei Jahre vor dem Start entschied sich Robert Wimmer-Schweingruber dafür, sich mit einem Instrument zur Messung von so genannten thermischen Neutronen an Chang'e-4 zu beteiligen. Sein Institut ist in diesem Bereich weltweit führend und hat bereits vergleichbare Geräte für Sonden der NASA und ESA sowie für die Internationale Raumstation entwickelt. Damals musste alles sehr schnell gehen: "Schon 13 Monate nach Förderungsbeginn haben wir unser Instrument ausgeliefert", sagt Robert Wimmer-Schweingruber. "Es war sehr hektisch."

Der Neutronendetektor zeigt eine angewandte und vergleichsweise neue Seite der Mondforschung: Nicht nur chinesische Forscher wollen damit herausfinden, welche Gefahren neue menschliche Mondbesucher erwarten könnten - und was deshalb beim Bau von Habitaten berücksichtigt werden müsste. Besonders thermische Neutronen sind bislang zu wenig beachtet worden, denn sie können nicht nur von oben in menschliche Behausungen eindringen, sondern auch von unten: "Wir schätzen, dass 10 bis 20 Prozent der Teilchenstrahlung von unten kommt, also von der Mondoberfläche reflektierte Strahlung ist", sagt der Physiker Wimmer-Schweingruber. Sein Experiment soll diese Schätzung mit Messungen untermauern.

Kurios scheint ein biologisches Experiment, das sich an Bord des Landegestells von Chang'e-4 befindet: Es enthält Kartoffeln, Samen des verbreiteten Wildkrauts Ackerschmalwand und Eier der Seidenraupe. Damit wollen Forscher erproben, wie sich irdische Lebewesen unter der verringerten Schwerkraft des Mondes verhalten. Dieses Experiment gewann gegen 200 Bewerber von verschiedenen Universitäten - und seine Auswahl zeigt, wie ernst es chinesischen Forschern mit dem Ziel ist, im übernächsten Jahrzehnt Menschen zum Mond zu bringen, die sich dort auch mit Nahrungsmitteln versorgen müssten.

Weite Fahrtstrecken denkbar

Die Mission von Chang'e-4 dürfte interessant werden - und hoffentlich etwas andauern: Das Landegestell verfügt für seine stationär arbeitenden Instrumente über eine Radioisotopbatterie, die während der 14 Erdtage langen und entsprechend kalten Mondnächte neben Wärme auch Strom produziert, ein Novum für chinesische Raumsonden. Die Reise des neuen Rovers über die bislang nie zuvor aus der Nähe untersuchte Landschaft der Mondrückseite soll mindestens einen Mondtag lang andauern - so lange versorgt die Sonne die Solarzellen mit Strom und hält die Elektronik des Fahrzeugs warm. Schon der Vorgänger Yutu war für ein Jahr auf dem Mond und Fahrtstrecken weit über zehn Kilometer ausgelegt. Doch Yutus Antrieb versagte noch in der ersten Mondnacht, als der Rover gerade einmal 114 Meter weit gefahren war. Für diesen Ausfall war chinesischen Raumfahrtvertretern "ein sehr kleiner Teil" der Hardware verantwortlich. Der Fehler sei nun behoben und der Nachfolger könnte somit monatelang in Betrieb sein - um möglichst viele kleinere Krater und Felswände der Umgebung anzusteuern.

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