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Passport Heroes

DAS MAGAZIN (Tagesanzeiger) I Fotos: Luca Zanetti I Die Organisation Peace Watch Switzerland schickt freiwillige Menschenrechtsbeobachter nach Kolumbien. Unter ihnen: Studenten, Rentner, Lehrer. Ihre Waffe: sehen und gesehen werden. Ihr Schutz: der Reisepass.


Plötzlich ist Krieg in El Guayabo. Und Laura ist mittendrin. Mehr als drei Dutzend Polizisten mit Schlagstöcken stürmen aus dem Schatten der Gummibäume auf ein Grundstück, schiessen mit Tränengasgranaten auf eine Gruppe von Bauern, die sich dort versammelt hat. Sie schwenken die kolumbianische Flagge, singen, bitten Gott um Hilfe gegen die Willkür. Laura filmt, so gut sie kann. Die Kamera wackelt. Eigentlich müsste Laura hinter den Polizisten herrennen und die Räumung ganz aus der Nähe dokumentieren, aber wie soll das gehen? Wo gestern noch Kühe weideten, hängt jetzt Gas in der Luft. Es brennt in Augen und Nase, juckt auf der Haut.

Ein paar Polizisten sind zurückgeblieben, gehen neben Laura am Eingang der Parzelle unruhig auf und ab. Argwöhnisch beäugen sie die Schweizerin: Wer ist die Frau mit der modischen Brille und den kupferblonden Haaren? Was will diese Ausländerin in El Guayabo, einem kleinen Dorf im Norden Kolumbiens, das nur per Boot über den Río Magdalena zu erreichen ist? Die Beamten gehören einer Spezialeinheit an, dem kolumbianischen «mobilen Geschwader zur Aufstandsbekämpfung», zu deren Aufgaben auch Erschiessungen gehören können. Auf den Helmen steht ihre Blutgruppe. Die Männer sehen aus wie schwarze Ninja Turtles.

Die Räumung dauert nur zehn Minuten. Dann setzen sich die Polizisten unter einen Mangobaum, legen die Schlagstöcke ab, ziehen sich die Helme vom Kopf. Wenige Schritte entfernt lehnt ein grosser Mann mit dunkler Haut und kurz rasierten Haaren, keine 30 Jahre alt, völlig regungslos und mit geschlossenen Augen an einem Baum: Eric Payares, der Gemeindesprecher der 150 Familien aus El Guayabo.

Laura filmt jetzt wieder aus der Nähe: die Polizisten, Eric und die anderen Bauern. Einige bluten, ihre Hemden sind zerrissen. Die Schweizerin tupft sich mit einem Papiertaschentuch Schweiss und Staub von der Stirn, ihre Wimperntusche ist verschmiert. Es sind 40 Grad im Schatten. Hätte sie doch mehr Wasser mitgenommen. Am liebsten würde sie die grüne Weste mit der Aufschrift «Peace Watch» ausziehen, aber eine der Grundregeln der Organisation Peace Watch Switzerland, für die sie in Kolumbien unterwegs ist, lautet: Weste immer anbehalten!

Die Bauern sind gekommen, um den Boden zu verteidigen, auf dem sie seit mehr als 25 Jahren Bananen, Papayas, Kakao und Mais anpflanzen. Laura Thomi, 24, stammt aus Zug und studiert Sozialarbeit in Luzern; hier in Kolumbien aber ist sie als Menschenrechtsbeobachterin für Peace Watch und soll durch ihre blosse Anwesenheit verhindern, dass Konflikte eskalieren.

Wort steht gegen Wort

Der Konflikt von El Guayabo hat eine für Kolumbien typische Vorgeschichte: Die Bauern haben keine Grundbucheinträge für ihre Parzellen. Nach kolumbianischem Recht gehören die 400 Hektaren Land trotzdem längst ihnen: Ungenutztes Land gehört danach jenen, die es mindestens fünf Jahre lang bewirtschaften – damit also den Bauern. Eigentlich. Doch seitdem 2002 ein Mann namens Rodrigo López Henao auftauchte, dessen Familie bis 1996 auf diesem Stück Land gewohnt hatte, und Ansprüche daran anmeldete, ist die Lage ungewiss. Er behauptet, sie seien damals von der linksgerichteten Farc-Guerilla vertrieben worden und diese habe das Land ihren Mitstreitern zur Bewirtschaftung gegeben.

(…)

→ weiterlesen in: DAS MAGAZIN Nr. 46, 13. November 2015

Diese Reportage wurde durch das Gabriel-Grüner-Stipendium unterstützt.
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