Viele PR-Schaffende lügen sich täglich die Taschen voll und schaffen mit falschen Reichweitenzahlen sie eine Daseinsberechtigung für sich und ihre lieb gewonnenen Instrumente. Darüber hinaus sind sie es gerade bei langweiligen Mittelständlern Leid, zu kommunizieren. Weil es wirklich nix zu sagen gibt. Zeit für die Wahrheit. Eben erreichte mich eine E-Mail, in der ein Distributionsdienstleister ein Jahresangebot für die Online-Veröffentlichungen von Pressemitteilungen unterbreitet. Das Angebot ist um ein Drittel rabattiert. Als besonderes Schmankerl erhält der PR-Verantwortliche bei einer Bestellung obendrein ein iPad Air. Gratis. Aber warum schlägt der Vertrieb des Distributors einen solchen Weg ein? Ich komme nicht umhin, es mit der mangelnden Nachfrage nach dieser Dienstleistung zu begründen. Dass Onlinepresseschleudern in der Gunst der PR-Verantwortlichen sinken, hat mehrere Ursachen. Mindestens aber zwei: Falsche Reichweitenzahlen und von Kommunikation gelangweilte Kommunikatoren. Falsche Reichweitenzahlen Stellen Sie sich vor, Sie schlagen am Morgen die Zeitung auf und stoßen auf Seite 7 zufällig auf ein Unternehmen, das Saft aus alten Obstsorten herstellt und online vertreibt. Stellen wir uns weiter vor, es handelt sich um die "Süddeutsche". Reichweite: 1,29 Mio. Es könnte ebenso gut ein Fernsehbeitrag sein. Für das Unternehmen ein Volltreffer, weil an diesem und in den darauffolgenden Tagen mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Bestellungen eingehen. Vielleicht rufen sogar andere Medien an. Mediale Koorientierung. Stellen wir uns nun vor, das Unternehmen setzt nach diesem kleinen PR-Erfolg auf die Online-Distribution einer Pressemitteilung. Der Pressetext erscheint daraufhin auf Seiten wie Yahoo, Finanztreff oder Focus. Wobei Erscheinen das richtige Wort ist. Der Text läuft dort einmal kurz ein. Auf irgendeiner Unterseite. Ein potenzieller Sucher ist kein potenzieller Leser Spannend ist ein Blick auf die Reichweiten, die selbst professionelle Clippingdienstleister für solche Online-Veröffentlichungen veranschlagen. Yahoo: mehr als 111 Mio. Besucher im Monat. Focus online: mehr als 59 Mio. Okay, einige Medienbeobachter teilen diese mögliche Reichweite durch 30, weil ein Monat rund 30 Tage hat. Andere versuchen, die galaktische Zahl der Gesamtaufgriffe anderweitig etwas kleinzurechnen. Ich habe es aufgegeben, den Unterschied zwischen der erstrebenswerten Startseite bei Focus-Online und irgendeiner Online-Focus-Seite jenseits einer freiwillig ansteuerbaren Rubrik zu erklären zu versuchen. Das Problem: Im Vergleich steht der wöchentliche Print-Titel bisher mit seiner Minireichweite von 4,45 Mio. Lesern lächerlich da. Online-Distributoren ist es gelungen, durch geschickte Kooperationen mit Medienseiten eine Welt der Pseudorelevanz aufzubauen. Meldungen laufen irgendwo online auf. Gemessen wird dies in potenzieller Reichweite. Und genau dies ist falsch. Es handelt sich vielmehr um eine potenzielle Suchreichweite. Denn: Weil die Online-Meldung auf den Portalen nicht auf den Startseiten erscheint, kann sie nur finden, wer danach sucht. Doch wer wacht schon am Morgen mit dem Gedanken auf, ausgerechnet heute einen Text über seltene Obstsorten zu googeln? Hier liegt ein fundamentaler Denkfehler vor. Die Reichweiten sind - egal wie - nicht vergleichbar, weil das Nutzungsverhalten ein anderes ist. Ein Gros der Internetangebote verlangt vom Rezipienten die aktive Beteiligung, während herkömmliche Medien inspirieren, servieren, einordnen. Von Kommunikation gelangweilte Kommunikatoren Nicht wenige PR-Schaffende erwarten, dass Pressemitteilungen gelesen und veröffentlicht werden, die zuvor ohne Einsatz ihres Gehirns routiniert von ihren Fingern verfasst wurden. Doch warum schreiben wir alle so gerne Pressemitteilungen? Bei Agenturen ist die Sache oftmals klar. Das ist eine klar zu verkaufende Dienstleistung, deren Erbringung einfach nachweisbar ist. Zudem waren meist mehrere Seiten in den Entstehungs- und Abstimmungsprozess involviert, was auch auf Kundenseite für einige Beschäftigung gesorgt hat und das prima Gefühl hinterlässt, etwas getan zu haben. Vorzeigbares entsteht daraus natürlich auch, gerade online. Siehe oben. Der Wert dieser Veröffentlichungen? Siehe oben. Tief im Innersten lässt uns jedoch etwas anderes immer und immer wieder beherzt in die Tasten greifen. Wir kennen es nicht anders. Wir sind es gewohnt. Wir schreiben gerne. Viele PR-Schaffende haben sich lange genug als Schreiberlinge verdingt. Angefixt von einer Bezahlung nach Anschlägen. Um ehrlich zu sein: Auch die von mir mitgegründete Agentur scrivo Public Relations trägt diesen Code im Namen. Am Schreiben scheitert es aber natürlich auch nicht. Dummerweise schreiben viele allerdings heute über Inhalte, die keine sind. Inhalte, die wir keinem Redakteur ruhigen Gewissens am Telefon anbieten könnten, weil er uns fragen würde, wo darin die Story enthalten ist. Also schreiben wir die nicht vorhandene Story lieber auf und scheuen diese Konfrontation. In der Scheinkommunikation eingerichtet Das ganze System der Nicht-Kommunikation ist dabei herrlich prozessual abgebildet. Es wird geschrieben und versendet. Die Anwendung diverser Softwareprodukteprodukte wie Mail- und Versandprogramme strukturiert und füllt gleichzeitig einen ganzen Arbeitstag. Ich könnte als PR-Kommunikator den ganzen Tag Emails schreiben, lesen und löschen. Journalisten übrigens auch, was nur ein Grund für sinkende Recherchezeiten ist. Es ist, als ob der PR-Kommunikator beim Kommunizieren per Distribution seine Angst bekämpft, mit Nichtinhalten zu kommunizieren. Jemanden anzusprechen in einem Raum, in dem bereits viel zu viel Gesprochen wird. Also spricht er indirekt. Das Zeug muss ja irgendwie in die Welt. Das Gesicht wird gewahrt, eine scheinbare Arbeit verrichtet. Und dafür gibt es kurz vor Weihnachten noch ein iPad gratis. Eine schöne Bescherung. Kai Oppel arbeitete lange Zeit als Journalist, u.a. für dpa und die FTD. Heute ist er Mitgründer des Portals Recherchescout sowie seit 5 Jahren Mitgesellschafter der in München ansässigen PR-Agentur scrivo.