Wie entstehen mediale Skandale und welche Fehler können in der Kommunikation von Krisen vermieden werden? Diese und andere Fragen beantwortet uns die Kommunikations- und Krisenexpertin Prof. Dr. Romy Fröhlich im Interview.
Dass 70 Prozent der Journalisten im MEDIA DELPHI 2016 davon ausgehen, dass Volkswagen von allen Unternehmen in diesem Jahr am meisten Schlagzeilen macht, kommt nach Meinung der Krisenexpertin Romy Fröhlich nicht von ungefähr. Die LMU-Professorin und Gastgeberin des diesjährigen Krisenkommunikationsgipfels (16. März 2016, München) ist sich sicher: Die Medien spüren nach den bei VW gemachten Kommunikationsfehlern, dass noch lange nicht alles erzählt wurde. Da wundert es nicht, dass Journalisten laut Recherchescout MEDIA DELPHI den aktuellen VW-Chef Mathias Müller gleich hinter Marc Zuckerberg auf Platz 2 in der medialen Berichterstattung sehen. Recherchescout sprach mit Prof. Dr. Romy Fröhlich über Kardinalsfehler, problematische juristische Kommunikationsempfehlungen - und warum angebliche typische Krisenverläufe Nonsens sind.
DELPHI-ERGEBNISSE RUNTERLADEN! Recherchescout: Wann wird in den Medien aus einem Skandal eine Krise?Romy Fröhlich: Die Frage muss umgekehrt gestellt werden: Aus einer faktischen Krise wird in den Medien ein Skandal. Skandalisierung braucht Medien, faktische Krisen nicht. Sie entstehen in der überwiegenden Mehrzahl unabhängig von Medien - von EHEC über Tsunami bis zu Abgas-Testproblemen. Und aus faktischen Krisen werden Skandale, wenn die Krisenkommunikation der betroffenen Organisationen, Institutionen, Unternehmen oder Personen versagt - etwa wenn die öffentliche Relevanz einer Krise und ihr Ausmaß von den Betroffenen unterschätzt wird und Medien entsprechend kurz gehalten werden.
Recherchescout: Was ist schlimmer?Romy Fröhlich: Das kommt auf die Krise an. Kommen Menschen zu Schaden wie etwa beim Absturz der Germanwings Maschine 2015, dann ist die faktische Krise eine schlimme Katastrophe, die kaum mehr von Medien skandalisiert werden kann. In der Regel nehmen Medien in einem solchen Fall auch Abstand von Skandalisierungsstrategien. Da werden eher Recherchestrategien einzelner Medien zum Skandal. Und dann gibt es vergleichsweise harmlose Krisen (ich zähle mal den Wulff-Fall dazu), die durch überaus unprofessionelles Krisenmanagement und schlechte Krisenkommunikation erst zum Skandal werden. In einem solchen Fall kann der Skandal schlimmer sein als die eigentliche Krise.
Recherchescout: Nimmt die Öffentlichkeit die Dieselaffäre bei VW als Krise wahr?Romy Fröhlich: Oh ja. VW ist eine nationale Ikone, bei der man sich Sorgen macht, wenn es ihr nur deshalb schlecht geht (= Krise), weil hochbezahlte Menschen im Unternehmen (bewusst!) dumme, weil illegale Sachen gemacht haben und eine Krise verursachten, bei der viele Arbeitsplätze und die gesamte Zukunft dieser Ikone auf dem Spiel stehen können. Das ist die Krise. Die Öffentlichkeit unterscheidet sehr genau zwischen der VW-Krise (Krise für das Unternehmen und seine Mitarbeiter) und dem VW-Skandal verursacht von einigen wenigen Menschen, die bewusst gegen Regeln verstoßen haben und dann auch noch schlecht kommunizieren, als sie erwischt werden.
Recherchescout: Wie ist der normale Verlauf einer Krise in den Medien?Romy Fröhlich: Auch das kommt sehr auf die Spezifik einer Krise an. Ich halte nichts von pauschalisierenden Verlaufsmodellen, wie man sie beispielsweise in der Praktiker-Literatur immer noch zuhauf findet nach dem Motto „zwei Tage akutes Krisenaufkommen, drei Tage Kommunikationshöhepunkt, ab Tag fünf starkes Abflauen des Kommunikationsaufkommens, ab Tag zehn Ende der Krise". Ich halte das für absoluten Non-Sense. Professionelles und effektives Krisenmanagement zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es die Besonderheiten der konkreten Krise in allen Schritten und jederzeit strikt berücksichtigt. Wieso sollte eine faktische Krise zu Ende sein, wenn die (eventuell) skandalisierende Medienkommunikation darüber abnimmt? Völliger Quatsch. Bei einer solchen Denke wird die nötige Unterscheidung zwischen ‚Skandal' und ‚Krise' nicht gemacht. Ein Kardinalfehler! Wieso sollte eine Krise wie ein Flugzeugabsturz quasi modellhaft so ablaufen wie die Steuerhinterziehungskrise von Uli Hoeneß?
Recherchescout: Welche Fehler hat VW offensichtlich gemacht?Romy Fröhlich: Obwohl Winterkorn (nach neuesten Informationen) bereits im Mai 2014 - also 1,5 Jahre vor dem Bekanntwerden der Manipulationen - erste Informationen hierüber aus dem Unternehmen heraus erhalten hatte, wurde beim ersten Aufkommen in den Medien von den Verantwortlichen bei VW auf ‚Überraschung' und kommunikative Salamitaktik geschaltet. Natürlich ist es in derart ökonomisch bedrohlichen Krisen überaus wichtig, erst mal intern die Juristen arbeiten zu lassen und abzuklären, was unter Berücksichtigung zukünftiger Schadenersatzansprüche aus juristischer Sicht überhaupt gesagt werden kann. Genau hieraus entstehen aber sehr oft juristisch determinierte Kommunikationsempfehlungen, die dann die faktische Kriese verschärfen und den Medien den Boden bereiten für fortlaufende Skandalisierung. Und das umso mehr bei faktischen Krisen, für die auf Basis von Plausibilisierung für jedermann schnell klar ist, dass das, was die Betroffen da offiziell sagen, nicht stimmen kann. Im Falle von VW war nicht nur Experten sehr früh klar, dass das Management von den Manipulationen gewusst haben muss. Da kann man sich nicht hinstellen und sagen, sorry, davon haben wir nichts gewusst. Der Rücktritt von Winterkorn war deshalb richtig, nur die begleitende Kommunikation dazu war eine Katastrophe. Zu spät kamen Eingeständnisse, zu lange wurden Medien hingehalten (dann beginnen sie selbst zu suchen!), zu spät kam das ‚Sorry'.
Recherchescout: Stichwort selbsterfüllende Prophezeiung: Was bedeutet es für ein Unternehmen, wenn Journalisten das Thema von sich aus derart auf die Agenda setzen - wie aus dem MEDIA DELPHI ersichtlich wird?Romy Fröhlich: Das tun Medien in der Regel vor allem dann, wenn sie auf breiter Basis den Eindruck haben, dass die Betroffenen mehr wissen, als sie sagen und zugeben (ich meine hier nicht Fälle, in denen betroffene Unternehmen beispielsweise keine Informationen über Schutzbedürftige herausrücken wie etwa im Falle Germanwings!). Das ist meist ein Hinweis darauf, dass mit der eigenen Krisenkommunikation etwas nicht stimmt. In dieser Situation ist es geradezu die Aufgabe von Medien, der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen - und das führt zu einem quantitativen Anstieg der Berichterstattung. Dass sich Medien oder einzelne JournalistInnen dabei zuweilen auch vergaloppieren können (wie z.B. im Falle Wulff), müssen die Betroffenen bei ihrer Krisenkommunikation antizipieren (und eben nicht mal schnell beim Chefredakteur Drohungen absetzen; Medien kann man nicht drohen). Es nützt überhaupt nichts zu lamentieren „die bösen Medien" und darüber zu verkennen, dass einem derweil munter die Felle weiter davonschwimmen. Am Ende des Tages sitzen die Medien nun mal an einem sehr langen Hebel. Diese Medienmacht kann man bedauern - aber was wäre die Alternative in einer Demokratie? Das will ich mir gar nicht erst vorstellen.
Der Krisenkommunikationsgipfel Ob die Manipulationen bei VW-Dieselfahrzeugen, der dramatische Flugzeugabsturz in Südfrankreich, die Terroranschläge in Paris oder die Flüchtlingskrise - das Vertrauen der Deutschen in die Krisenbewältigungsfähigkeiten von Unternehmen, Behörden und Verbänden wird auf eine harte Probe gestellt. Wie gelingt es den Krisenbeauftragten und Kommunikationsverantwortlichen das Vertrauen der Kunden und Bürger zurückzugewinnen oder gar nicht erst zu verlieren? Das Krisennavigator-Institut für Krisenforschung und das Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München veranstalten am 16. März 2016 in München den Krisenkommunikationsgipfel. Bereits zum 24. Mal treffen sich Kommunikationsmanager, Pressesprecher, PR-Experten, Krisenbeauftragte und Wissenschaftler, um gemeinsam neuste Erkenntnisse und Strategien zu erörtern. http://www.krisenkommunikationsgipfel.de/