In naher Zukunft in keinem besonderen Land, sondern dem besondersten, nämlich in Qualityland, wird das gesamte Leben von Algorithmen optimiert: Alle Autos fahren von selbst und wissen bereits, wo man hinwill, bevor man es ihnen sagt. QualityPartner bestimmt, wer am besten zu einem passt
Sobald ein neuer, besserer Partner in einem höheren Level verfügbar ist, arrangiert die App ein Date und benachrichtigt den alten Partner über das Lösen der Verbindung. Es ist ein System, das behauptet, einen besser zu kennen als man selbst, und das nur eine Antwort akzeptiert: Okay. Doch dann erhält der Maschinenverschrotter Peter Arbeitsloser einen pinken Delfinvibrator und er sagt: „Ich will das nicht."
„QualityLand" ist ein Buch, das witzig und ernst zugleich ist, wie man es von Marc-Uwe Kling kennt. Der Autor selbst nennt es eine lustige Dystopie. Wobei dieser Roman doch ein wenig ernster und kritischer ist als die Erzählungen mit dem Känguru, durch die er berühmt geworden ist. Eine der vielen Geschichten hat Kling am vergangenen Montag auf der Lesebühne „Lesedüne" im Kreuzberger Club SO36 vorgelesen. Eine gute Gelegenheit, mehr über den medienscheuen Autor zu erfahren, dem mit seinem neuen Buch wieder ein Bestseller gelungen ist.
Rund 350 Leute sind gekommen, sitzen auf den Bierbänken oder einfach direkt vor der Bühne auf dem Boden. Der 35-jährige Kabarettist ist lässig gekleidet, trägt eine Schiebermütze, schluffige Jeans und einen Kapuzenpulli. Sein Bart ist etwas länger als gewöhnlich, eher Fünf- als Drei-Tage-Bart. Es ist diese rotzige Coolness, die seinen Charme ausmacht, das wird an diesem Abend, den er mit Kollegen gestaltet, deutlich. Der Bühnenkünstler vereint vermeintliche Gegensätze: lustig und kritisch, ein wenig arrogant und doch sehr freundlich, nah und unnahbar.
Auch der Protagonist in „QualityLand", Peter Arbeitsloser, ist so ein freier Geist. Statt kaputte Maschinen zu verschrotten, schleust er sie in den Keller, um sie zu verstecken. Menschlicher als viele der in Qualityland lebenden Menschen wirken die unperfekten Maschinen. Ihre Macken machen sie liebenswürdig und obwohl sie sich oft zanken, helfen sie sich gegenseitig.
Da ist zum Beispiel eine Drohne, die Flugangst hat, ein Kampfroboter mit post-traumatischer Belastungsstörung, ein lustloser Sexdroide und eine E-Poetin mit Schreibblockade. Ein pinkes QualityPad ähnelt dem Känguru in seinen Charakterzügen sehr, es ist wunderbar unverschämt, ganz zufällig Kommunist und mag die Band Nirvana. An einer Stelle des Buches wird auch erklärt wieso. Bei der Personalisierung des QualityPads ging etwas schief, das hatte natürlich mit einer seltsamen Satire zu tun, in der ein Typ in einer Wohngemeinschaft mit einem Känguru wohnt.
Was das Buch unterhaltsam macht, ist Klings Sprache, sie ist originell und voller Witz - man merkt, dass Kling seine Karriere als Poetryslammer begonnen hat. „QualityLand" mag an vielen Stellen ziemlich absurd und abgefahren sein, ein satirischer Science-Fiction-Roman, doch orientiert es sich erschreckend nah an der Realität. Kling ist ein Systemkritiker und scharfer Beobachter unserer Zeit. In der zweiten Hälfte des Buches wird der Tonfall manchmal etwas zu belehrend, wenn zum Beispiel ein alter Mann einem Begriffe wie Kybernetik erklärt, aber das lässt sich ertragen.
Im Roman stehen die Präsidentschaftswahlen an. Ein Androide tritt gegen den rechtsradikalen Conrad Koch an - der mit seinen Parolen sehr an Donald Trump und AfD-Politiker erinnert. Er hetzt gegen Maschinen und die Massenmenschen aus den anderen Ländern, die den Qualitätsmenschen die Arbeitsplätze klauen, die Frauen vergewaltigen und Autos stehlen. Der Androide versucht, mit Vernunft und Argumenten dagegen anzukämpfen, er will zum Beispiel einführen, dass die Netzkonzerne sich für ihre Dienste bezahlen lassen sollten statt ihre Nutzer auszuspähen.
Wie Kling im realen Leben fordert der Androide das bedingungslose Grundeinkommen, doch seine Umfragewerte sinken immer mehr. Kling lässt keinen Lebensbereich aus, alles wird von Digitalisierung und Überwachung eingenommen: Kinder werden per Knopfdruck mit Hormonen ruhig gestellt. Eine Roboter-Nanny kümmert sich um den Nachwuchs. Nachrichten werden manipuliert, Fake News verbreitet. Alles wird personalisiert, so dass jeder nur noch in seiner eigenen Blase lebt. Passend dazu gibt es auch das Buch in zwei Versionen: in hell für die Optimisten und dunkel für die Apokalyptiker. Zwischen den identischen Kapiteln befinden sich Empfehlungen, Nachrichten und Werbung, die voneinander abweichen.
Es ist ein System, das diskriminiert und eine Gesellschaft schafft, in der jeder nur an sich denkt. Die selbstfahrenden Autos machen sich über ethische Fragen im Falle eines Unfalls mehr Gedanken als die Menschen. Verlierer des Systems sind Frauen, People of Color und Menschen mit wenig Einkommen oder einfach mit dem falschen Namen. Viele sind zu egoistisch oder zu bequem, um etwas ändern zu wollen.
Nur wenige trauen sich, Widerstand zu leisten, wie zum Beispiel die Hackerin Kiki, eine Person of Color, eine unberechenbare und ambivalente Figur, die ihren Lebensunterhalt damit verdient, Politiker mit ihren teils ungewollt aufgenommenen Wichs-Videos zu erpressen. Mit ihrer Hilfe und der seiner Roboter-WG kämpft Peter Arbeitsloser darum, den pinken Delfinvibrator wieder zurückgeben zu können.
Viele erfolgreiche Autoren erklären in Interviews, wie sie zu ihrem Thema gekommen sind und was sie sich dabei gedacht haben. Marc-Uwe Kling nicht. Schon seit Jahren gibt er keine Interviews, die letzten, die man im Netz findet, sind von 2011 und 2012. Auf Nachfrage antwortet er in einer Mail: „Ich freue mich natürlich über Aufmerksamkeit für meine Bücher, habe als Privatperson aber gerne meine Ruhe. Ich möchte mich nicht mehr selbst ‚vermarkten' als unbedingt nötig. Alles was ich sagen möchte, sage ich in den Büchern und ich fürchte immer, die Aussagen eher zu verwässern statt zu verbessern, wenn ich sie in Interviews erkläre."
Und so bleibt als Eindruck von Kling und der digitalen Welt nur eine Beobachtung während der Lesung in Kreuzberg. Seinen ausgedruckten Text hat er an diesem Abend vergessen, daher liest er vom Smartphone ab.