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Von Pizza und Poesie: Scott Matthew

Scott mag, wie jeder gute Mensch, den goldenen Herbst. Er isst kein Fleisch, aber Fisch. Seine Oliven auf der Pizza zerstückelt er zuerst mit dem Messer, um sie auf der Pizza zu verteilen und zeitgleich mit dem Rest essen zu können. Ansonsten muss man Pizza und Oliven im Wechsel essen, und dann ist es keine Olivenpizza mehr. Es geht eben um die Komposition. Und wem das Oliven-Szenario nicht genügt, möge sich die neue Platte von Scott und Rodrigo Leão besorgen - um das zu beweisen.

Im Jahr 2011 kennengelernt, war ihnen ziemlich klar, dass sie gemeinsam Musik machen wollen würden. Unterhalten mussten sie sich darüber nicht besonders viel. Bis heute nicht. Scott schreibt die Texte, Rodrigo komponiert. Wer miteinander musiziert, muss aber auch nicht sprechen, um eine gemeinsame Sprache zu finden. Mit der Familie ist das hingegen nicht ganz so einfach.

Scott war siebzehn, als seine Mutter herausfand, dass er schwul ist. „Don't tell your Dad, he's gonna die", wurde er von ihr gewarnt. Und weil keiner will, dass Väter sterben, leistet man Drohungen dieser Natur Folge. Acht Jahre später schöpfte der Vater dennoch Verdacht. „Are you gay?" - „Yes, but you may not know, because you die." Er hat überlebt. Möglicherweise hat Scott seine Art der Auseinandersetzung mit der Welt und ihren Konflikten durch die Musik von seinem Vater. „Help me make it through the night" von seinem Cover-Album „Unlearned" singt er mit ihm. Und vielleicht hätte der Vater auf keiner Platte so gut mitsingen können wie auf einer, die den Namen „Unlearned" trägt: „Natürlich haben auch meine Eltern viel durch mich gelernt, nicht nur umgekehrt", so Scott. Aber wenn Eltern lernen, ist das per se ein um-, ein „entlernen", weil sie es ja ganz anders gelernt haben.

Scott war vor drei Jahren das letzte Mal zu Hause, nachdem er es verlassen hatte. Es war das erste Mal, dass er einen Bezug zu Australien gefühlt hat. Zumindest auf eine gute Weise.

Als Kind war Scott ein Einzelgänger. Von seinen Mitschülern fühlte er sich nicht besonders verstanden, also tat er es ihnen gleich und beschäftigte sich vor allem mit sich selbst. Australien war für ihn immer Fremde. Aber Fremdes und Schmerzhaftes hilft, wenn man künstlerisch arbeiten will. Und noch viele Dinge mehr kann Scott empfehlen: als Kind nachts wach zu liegen und an den Tod zu denken zum Beispiel. Schwulsein auf dem Dorf und schwul zu sein in den USA. Und Verluste.

Um Letzteres ging es auch in seinem letzten Album nicht zu knapp. Dankbarerweise hat Scott hierbei aber auch etwas verloren: seine Wut. Seine Stimme hingegen hat er behalten. Sie ist hell und unverkennbar, sie ist traurig. Die Musik ist seine traurige Stimme. Einmal hat er versucht aufzuhören mit all der melodischen Melancholie, dann bemerkte er, dass er keine Stimme mehr hatte. „Your were my constant/ a belief, a relief/ all in truth/ ... you were my constant/ a deceit so complete/ your own show/ what was beautiful". Da steht er mit geschlossenen Augen im Berliner Dussmann und hält sich am Mikro fest wie einst an „you".

Scotts nächstes Projekt ist die Tour mit Rodrigo. Der Auftakt findet in Zürich statt, weiter geht es nach Portugal und Spanien und dann in den Rest - der noch nicht feststeht. Gleichwohl es Scott liebt, auf Tour zu sein, fürchtet er private Reisen. Er spricht kaum Fremdsprachen und geniert sich, immerzu auf Englisch sprechen zu müssen. „Es ist schön, wenn man Menschen um sich hat, die sich kümmern", sagt er, um die Vorzüge beruflicher Reisen weiter auszuführen, und prompt kommt sein Agent um die Ecke und stellt eine Portion Mandel- und Joghurteis auf den Tisch. Sein letzter Urlaub ging nach London - da spricht man immerhin Englisch. London Dry Gin mag er sowieso gerne, und so wird es einmal wieder eine stimmige Angelegenheit. Er träumt von einem Gutshaus auf dem Land in den UK. Nach dem Brexit wäre der Sehnsucht nach Einsamkeit trotz heimischer Sprache dort denkbar gut stattgegeben.

Scott hat noch nie etwas gegessen, das er so wenig mochte, dass er es nicht essen konnte. Sein Lieblingsgericht ist Pizza, aber eigentlich mag er alles, mit Pilzen vor allem. Wenn man Scott beim Essen zusieht, sitzt da ein trauriges Kind, das beschlossen hat, Pizza Funghi könnte helfen. Und die hilft auch, wenn sie beispielsweise in Form einer Gitarre gereicht wird. Sobald er in jungem Alter eine Gitarre in die Hände bekam, spielte er alles, was er konnte - und noch mehr. Sein Vater war selbst Musiker, und so lag zumindest diese Möglichkeit nah. Den Rest an Nähe hat er sich erschrieben.

In den Texten auf seinem aktuellen Album geht es weniger rückwärts gewandt zu als zuvor. Man weiß nicht genau, ob ein kleiner Junge mit Gitarre im Garten sitzt, der zu lange auf seinen Geburtstag gewartet hat, ob ein Sänger in den besten Jahren seiner Karriere über den Mut singt, Wege zu gehen, die sich nicht direkt anbieten, oder ob ein Greis Kindern im Park erzählt, dass eigentlich alles immer besser wird im Leben. Dass es irgendwann möglich sein wird, auf die sortierten Leben der verheirateten, mitten im Lehrberuf und Eigenheim wohlsituierten Schwestern zu sehen, ohne Scham. Dass Traurigkeit ohne Isolation möglich und Einsamkeit ohne das Gefühl des Alleinseins schön ist. Diesbezüglich ist wirklich alles besser geworden in Scotts Leben.

„I find my way home/ I still could be alone", singt Scott in „Effigy" - und er hat es gefunden, nämlich über den Weg, sein Zuhause zunächst zu verlassen. „Und dann hatte ich einfach Glück, dass ich diese Stimme hatte", so Scott, schmatzend und am Filetieren einer Olive. Wenn er singt, sagt er, fühle er sich wie ein kleiner Junge. Dass Musik wie eine Therapie ist, hat man nun tausendmal gehört. Man dachte da für gewöhnlich an eine Verhaltenstherapie; in Scotts Fall müsste man viel eher von einer Psychoanalyse sprechen: Die Sitzungen finden ausgesprochen häufig statt, sie sind assoziativ, und am Ende steht da ein Mensch, der sich, seine Traumata und seine Träume kennt. Wenn Schmerz in Erfolg übergeht, hat man einige Dinge richtig gemacht. Ein paar Fehltritte mögen dabei gewesen sein, aber wenn man Verfehlungen und ihre Verarbeitung auf eine gute Weise kombiniert, klingt es gut. Und schon wieder geht es um Kompositionen.

Nie mehr wieder will Scott siebzehn Jahre sein. Alles war unsicher, man selbst am meisten und die ganze Welt war Australien. Heute wohnt er in New York, erzählt über die Stadtgeschichte wie ein Siebenjähriger über sein letztes Flugmodell aus dem Bastelladen und dass er ausgesprochen gute Currys kochen kann; seine Mutter kommt nämlich aus Sri Lanka.

Nur acht Gebäude seien seit dem 17. Jahrhundert in Manhattan noch erhalten geblieben, erzählt Scott und schwärmt vom „Mount-Vernon-Hotel" - das heute kein Hotel mehr ist, sondern ein Museum. Ein bisschen ist das wie in Scotts Leben: Gebäude, die es einst gab, haben ihre Einrichtung gewechselt, und was früher ein Aufenthaltsort war, ist jetzt Fundgrube - in Scotts Falle für seine Musik.

Dass seine Eltern ihn nie nach den offensichtlich auf seine Kindheit bezogenen Texten gefragt haben, hat Scott getroffen. Die Reihenfolge seines Umgangs damit ist eine besondere: weggehen, verzeihen und sich beim Pizzaessen über Faschingsfotos der als Elfe verkleideten Mutter und des Vaters mit Rastafarimontur auf Facebook freuen.

Überhaupt ist Scott ein ausgesprochen heiteres Gegenüber, das vor Lachen beinah vom Stuhl fällt, wenn er die Kommentare seiner Mutter unter Tourfotos rezitiert ("Gut, dass du viel Obst isst, Junge, das ist gesund!") oder wenn er sich das lustigste traurige Kinderbuch vorstellt, das er vielleicht einmal schreiben wird.

Es geschehen merk- und denkwürdige Dinge, wenn Schwermut auf Lebensfreude trifft. Im Falle von Scott Matthew ist man froh um das Ergebnis eines jeden Gefüges, das seine ganz persönliche Psychotherapie performt. Und wenn er dabei neben Rodrigo Leão liegt, umso besser.

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