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Column

Zu Weihnachten im Schwaben-Shuttle

 

Es ist nicht leicht, Schwabe in Berlin zu sein. Schwabe in einem Bus von Schwaben auf dem Weg von Berlin nach Schwaben zu sein, allerdings, ist eine Odyssee.

 

Es ist keine große Neuigkeit, dass der Fernbus nach einer glorreichen Anfangsphase begrifflicher Paartänze von „Flexibilität“ und „Sparpreis“ nun so gar kein Verhältnis von Flexibilität und Preis mehr bietet, schon gar nicht mit einem „Spar“ im Präfix.

Und selbstverständlich erwartet an Weihnachten auch keiner, dass da ein nur halb voller Bus  von Berlin nach Stuttgart fährt. Ganz Schwabylon ist schließlich auf dem Weg und spart: willkommen im alljährlichen Schwaben-Shuttle. In diesem nimmt der für den deutschen Südländer so typische Nachbarschaftsstreit noch einmal ganz neue Formen an. Er wird transportiert in eine neue Generation – und in den Bus. Jeder Zentimeter zählt, innerhalb dessen sich die Rückenlehne des Vordermanns im Wohlfühlbereich des Hintermanns bewegt. Und kein Patrick Swayzee, der an die goldene Regel „Mein Tanzbereich, dein Tanzbereich“ erinnert, in Sicht. Wo auch, der Bus ist ja voll. Also anders: „Sammal, geht´s noch?!“ – „Was isch?“ – „Du sitsch echt glei auf meim Schoß“ – „Aber sonschd isch´s mir z´steil“ – „Aber so mir z´eng.“ Man ignoriert sich wieder, bis die Stille nach etwa sieben Minuten von einem „Gang jetzt vor!“ gebrochen wird, begleitet von einem Hau auf die Rückseite der Lehne. „Spinnsch du?!“ – „Vor!“ – „Du kannsch mi mol“ – „Halt dei Gosch.“

Man würde gern vermitteln, allein, die Lage ist aussichtslos. Der eine will den organischen Wachstumsraum der Weintraubenrebe nicht gefährden, der  andere pocht auf die exakten Maße seines Stückles.

 

Am Umsteigeort Würzburg angekommen, bietet die Aussicht auf einen neuen Bus samt neuer Sitzordnung Grund zum Optimismus. Vor lauter Fernbus-Flexibilität, liegt die Wartezeit bei knapp drei Stunden, die Schließfächer am Bahnhof sind kaputt und es schneit. Als Einwohner des süddeutschen Raums weiß man, dass das nur eines bedeuten kann: es gilt, ein Wirtshaus aufzusuchen. Knödel und ein Andechser haben noch meistens geholfen, ein zweites ist der Einlass an den Stammtisch und ein drittes macht die Heimreise fast festlich. Friedlich hätte völlig gereicht.

 

„Kann ich net mein Gepäck mit hoch nehmen?“ Der Berliner Busfahrer hat am 23. Dezember vermutlich oft genug in allen Sprachen erklärt, wie die Luggage-Logistik läuft. Er hievt die Koffer voller Ampelmann-Geschenke in den Stauraum und schaut wie ein gerade trocken gewordener Lappen einer Reinigungskraft nach Nachtschicht: „Seid ihr alle so?“ Für den individualistischen Schwaben ist die ad hoc-Antwort klar: „Noi,“ was den Busfahrer zu einem „zum Glück“ erleichtert. Der Platz auf den Klostufen scheint nach allem attraktiver denn je. Vor allem, als die schlafende Rentnerin auf den letzten beiden Sitzen zu wecken, die, gleich einem Eichhörnchen, das den Winterschlaf vergessen hat, über ihrem Tupper mit Apfelschnitzen und einem angebissenen Weckle eingeschlafen ist. Und wenn es schon in einem fahrenden Raum voll bruddelnder Berlininger nicht kalt genug für Weihnachtsgefühle ist, so leuchtet immerhin das rote Klolicht besinnlich.

Das Würzburger Ortsschild kaum überschritten, raunt es von oben links: „Ihne isch scho klar, dass des dr Notausgang isch?!“ Weil Kehrwoche aber nicht auf das Treppenhaus begrenzt, und auf dem grauen Bus-Teppich nichts als einer Sojamilchtüte zu sehen ist, kommt nur noch ein Adressat in Frage: „Ich weiß, es gibt aber keinen Platz mehr.“ Ein Argument, das keinen Eindruck hinterlassen zu haben scheint. „Wenn des jedor macha dät!“ Aufgrund eines Philosophiestudiums mit dem kategorischen Imperativ bestens vertraut, wähne ich die Lösung leicht. „Es macht aber nicht jeder, weil alle einen Sitzplatz haben.“ – „Wahrscheinlich waret´se z´spät.“ Guter Punkt, und ich bin im Begriff, den Einstieg nach drei drängelnden Mittvierzigerinnen mit Tupper-Sektglas zu schildern, verwerfe dann aber notgedrungen. Von einem dritten ordnungsliebenden Mitfahrer denunziert, ruft der Busfahrer auf den Sitz. Ich muss die schlafende Apfelschnitz-Rentnerin wecken. Aber das macht nichts, denn sie ist sehr nett: Nix g´sagt isch g´lobt g´nug, wie jeder weiß.

Weil aus der Ablage zwei Stoßzähne in Form von Selfie-Sticks prangen, habe ich mein Gepäck bis Suttgart auf dem Schoß und höre so immerhin nicht die Unterhaltung vor mir – über lästige Schwaben im Berghain. Immerhin haben die anderen dort jetzt Platz.