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Das unsterbliche Gastmahl

Das Symposion – Platons Gastmahl – ist einer der Lieblingstexte unter Studierenden. Es ist das Sinnbild des intellektuellen Trinkgelages, der wissenschaftlichen Zusammenkunft,

kurz: des verstandesmäßigen Austausches jeglicher Fasson. 


Und weil der Mensch nun einmal ein Nnimal Rationale zu sein beansprucht und sich aus dem sozialen Gefüge nicht entziehen kann, steht fest: Auf der Welt wimmelt es nur so von

Symposien, bis heute. Verblüffend dabei ist jedoch, dass sie sich seit jener Ursprungsversion

im Jahre 416 v. Chr. kaum verändert haben. Zwar unterscheiden sich die Trinkgelage äußerlich: Längst tragen nicht mehr alle Beteiligten griechische Namen, geschweige denn

Doktortitel. Auch stehen nicht immer Wein oder Häppchen zur Verfügung, meist mangelt es an artistischen Darbietungen, und Frauen sind heute zugelassen. Doch inhaltlich gleichen sie dem Original wie ein Ei dem anderen.

Zur Wiederholung: Platons Werk erzählt von einem Gastmahl im Hause Agathons, bei dem man beschließt, reihum Lobreden auf den Eros zu halten. Phaidros prescht vor und dichtet eine Hymne auf den ältesten und ehrwürdigsten unter den Göttern, den Gott der Liebe. 

Als Nächstes ist Pausanias an der Reihe: Er sagt, des Eros gäbe es zweierlei: den Irdischen und den Himmlischen. Der Arzt Eryximachos hingegen findet: Es gilt vor allem, entgegengesetzte Neigungen miteinander zu vereinen.

Woraufhin Aristophanes von den Kugelmenschen – nicht Mann, nicht Frau, sondern beides zugleich – erzählt, die die Götter entzweiteilten, weshalb die Menschen seither nach ihrer

verlorenen Hälfte suchen. Agathon schließlich preist in höchsten Tönen die Schönheit, die Zartheit, die Üppigkeit und den Edelmut des Eros. Woraufhin Sokrates dessen Thesen

auseinandernimmt und selbst ein Bild der Liebe zeichnet, das in der Mitte liegt. Der Eros sei ein Bote zwischen Göttern und Menschen. 

Und überhaupt gehe es am Ende um Unsterblichkeit. Da platzt Alkibiades in die Runde, hält

betrunken ein Loblied auf Sokrates und offenbart seine tiefe Eifersucht. So viel aus dem alten Griechenland.

Nun zu heutigen Gelagen: Gibt es da nicht immer einen Phaidros, der nach dem x-ten Bier den Stammtisch eröffnet – etwa mit den Worten: »Das ist schon ein Kreuz mit der Liebe«?

Worauf das Publikum nickt und weiter schlürft. Bis ein Pausanias das Wort ergreift: »Klar, man muss eben aneinander wachsen.«

Und ein Eryximachos-Ahne einwirft: »Im Grunde ist das alles Wechselseitigkeit. Gegensätze ziehen sich nun mal an!« An dieser Stelle der Party geht man – oder bleibt für immer. Wer bleibt, hört, wie nun ein Aristophanes einen Außenseiter ins Spiel bringt: »Ihr kennt doch diesen Nerd aus dem Adorno-Kurs. Der ist jetzt mit Anna zusammen.« Man seziert die Liaison. »Keine Ahnung, was die an dem findet«, so die Runde. Aristophanes sagt: »Das könnt ihr euch doch denken.« Im Verlauf – man hat sich bereits gut warm getrunken – übernehmen die heutigen Agathons das Wort: Sie wissen, dass Loblieder auf Sven Regener

und Thea Dorn, auf Friedrich Nietzsche und Charlotte Gainsbourg um diese Uhrzeit wahrscheinlich gut ankommen.

Das Glas ist leer. Der Gast schwankt zwischen gehen und bleiben. Hauptsächlich schwankt er und füllt nach. Da kommt ein Sokrates mit seinem Fachgebiet: die Welt und ihr innerster

Zusammenhalt – Praxiskurs. Sein Auftritt ist imposant, fasziniert unisono. Der verbal geführte Taktstock, mit dem die perspektivischen Gesprächsfetzen der Gäste zu einem Rausch

synchronisiert werden, findet Anklang. Dies schafft bei all den Symposien des Alltags meist der in Positionen Unverliebte – ein Zuhörer, der ausreden lässt und nichtssagende Diskussionen so bündelt, dass am Ende etwas dasteht. Ein Überflieger, der nie

zur thetischen Landung ansetzt und so weder Gefahr läuft zu kollidieren noch abzuheben. Während der letzte Alkibiades nach Hause torkelt, sitzt solch ein Sokrates schon am nächsten Essay.

Was aus all dem folgt? Das Symposion ist weder per se altgriechisch noch in akademischen Elfenbeintürmen zu Hause. Im Gegenteil. Viel eher scheint es ein Grundgerüst all unserer

Zusammenkünfte zu sein. Mit ihm zeichnete Platon einen Soziografen, eine Stereotypologie unserer sozialen Begebenheiten, Bedenken und Bedürfnisse. Eine Skizze, die bleibt und

unsterblich ist wie der Eros, wenngleich die einzelnen Konturen so manches Mal verschwimmen. 

Original