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Gefängnisessen: "Wenn es sein muss, lebenslänglich"

5 Uhr morgens in der Justizvollzugsanstalt Stammheim: Wer für heute im Küchenplan eingetragen ist, wird abgeholt und aus seiner Zelle in die Küche gebracht. Stimmengewirr, Klappern und Klirren, die Vorbereitungen für das Frühstück beginnen, das später nach Abteilungen sortiert wird. Auf speziell für das Gefängnis präparierten Wagen ruckelt das Essen später durch die Gänge. Wichtig: Von den Apparaten darf nichts wegkommen, nichts gefährlich sein. Die Kantine in Stammheim ist der Arbeitsplatz von Johannes Guggenberger. Er ist Gefängniskoch und Blogger.

"Die Mannschaft der warmen Küche bereitet das Mittagessen zu, die Männer der kalten Küche kümmern sich um Mittagessen und Abendbrot", erzählt er. "Für Letzteres wird das Brot in der Brotabteilung geschnitten, dort gibt es dann auch Messer. Der Rest kocht, putzt, spült und desinfiziert." 100 Inhaftierte arbeiten unter ihm in der Kantine, pro Schicht sind es bis zu 25 Männer. Eingeteilt wird nach Sprachkenntnissen und Qualifikation. "Fachkräfte aus der Gastronomie werden unter den Inhaftierten immer seltener", stellt Guggenberger fest.

Dabei wären sie bei ihm in guten Händen. Aus der Steiermark nach Schwaben übergesiedelt, widmet der Gefängniskoch dem Kochen auch seine Freizeit - allerdings als Foodfotograf und Autor des Blogs Stuttgartcooking sowie dem Kochbuch Leckeres aus dem Ländle. Seine Küche hat häufig schwäbische Wurzeln. Im Stammheimer Alltag kreativ zu bleiben, findet Guggenberger herausfordernd. Die Inhaftierten der Untersuchungshaftanstalt werden nach ihrer Verurteilung verlegt, für ihn bedeutet das: Er hat nur wenig Zeit, um die Insassen einzuarbeiten, ein reibungsloser Ablauf muss gewährleistet sein. Hunger und Vorschriften warten nicht.


Spaghetti Bolognese geht immer. 

Die Lieblingsgerichte unterscheiden sich von denen in einer jeden Mensa oder Sparkassenkantine kaum: " Spaghetti Bolognese geht immer", erzählt Guggenberger, "Wiener Schnitzel auch. Und Linsen mit Spätzle sowieso." Doch auch das eine oder andere Blog-Gericht hat es schon mal auf den Kantinenplan geschafft. Graupen zum Beispiel sind auf dem Speiseplan der JVA neu, Guggenberger hat sie eingeführt, sie seien "eine tolle Alternative". Blog-inspiriert ist auch sein Schwabentopf: ein Eintopf aus Maultaschen, Spätzle, Karotten, Lauch, Rindfleisch und Brühe.

Seine kulinarischen Eingebungen auszuleben, sei mit Blick auf die Voraussetzungen des Speiseplans möglich, aber anspruchsvoll. Der Plan wird mithilfe einer eigenen Küchensoftware erstellt, die sich nach der Verpflegungsordnung des Landes Baden-Württemberg richtet. Guggenberger muss sich fügen, in dieser Verordnung sind die genauen Nährwertvorgaben für den wöchentlichen sowie den monatlichen Speiseplan festgelegt. Erst wenn Guggenbergers Küchenteam, der Anstaltsarzt sowie die Leitung der Anstalt einem Wochenplan grünes Licht gegeben haben, darf gekocht werden. Und gegessen.

Für die meisten Häftlinge ist das gemeinsame Essen zur Mittagszeit der soziale Höhepunkt der Tage, die immer gleich verlaufen. In der täglichen Routine sind die Mahlzeiten die einzige Abwechslung, da die Inhaftierten in Stammheim die meiste Zeit in ihren Zellen verbringen. Für Guggenberger bedeutet das: nicht zu viel Fett ans Essen. Und gerade Neulinge lassen sich gern mal von Dingen überzeugen, die sie noch nie probiert haben.

Guggenberger versucht, sich Zeit für Nachfragen zu nehmen, zeigt, wie man Saucen zubereitet, Fisch schmort und Fleisch angemessen brät. Das muss auch in der Gruppe funktionieren. "Bei Meinungsverschiedenheiten wird es schon mal lauter", erzählt Guggenberger, "aber dann schreitet ein Justizvollzugsbeamter ein und schlichtet. Wer sich nicht beruhigt, wird abgelöst." Früher wurden die Messer nach jeder Schicht gezählt, heute sind sie an den jeweiligen Arbeitsplätzen mit einem Edelstahlseil installiert. Der Radius, innerhalb dessen sich damit hantieren lässt, beträgt genau einen Meter.

Kann man so arbeiten? Johannes Guggenberger hat es sich ausgesucht. Nach der Gründung eines eigenen Restaurants sowie einer Familie mit zwei Kindern war sein Leben nicht mehr ganz so einfach. Er sehnte sich nach humanen Arbeitszeiten und Freizeit am Wochenende. Das Kochen wollte er jedoch nicht aufgeben. Also ließ er sich zum Justizvollzugsbeamten ausbilden. "Anfangs war es schon schwierig", sagt er, "das Gefängnis ist ein besonderer Arbeitsplatz, auch am Herd. Wirklich lernen und verstehen kann man das erst nach Jahren." Mit einem Restaurantchef will er nicht mehr tauschen. Das Blog ist jetzt sein Ort für Spielerei und Kreativität, er schreibt auch Kochbücher mittlerweile. In der Kantine aber gehe es ihm um Menschen, um die Freude am Essen und dessen Zubereitung.

Im gemeinsamen Kochen sieht er nur Vorteile: "In der Küche können sich die Männer frei bewegen und lernen, unter schwierigen Bedingungen miteinander umzugehen. Ohne Teamarbeit geht es in der Küche nicht." Guggenberger empfindet seinen Job als Privileg, doch natürlich ist sein Arbeitsplatz im Glaskasten mitten in der Gefängnisküche mit seiner Privatküche nicht zu vergleichen. Die Inhalte schon: er will das Beste aus den Umständen herausholen, aus den Lebensmitteln, aus den Menschen. Darum geht es ihm in seiner Küche, in seinem Beruf und auf seinem Blog.

Neulich bekam Guggenberger Post von einem entlassenen Häftling. Dieser hat vorher in seiner Küche mitgearbeitet, später Guggenbergers Blog verfolgt und sich sein Kochbuch gekauft. Er schrieb: "Gut gemachtes Kochbuch, Herr Guggenberger." Zwei anderen Inhaftierten hat er bereits einen Ausbildungsplatz in einer anderen Justizvollzugsanstalt besorgt. Sein Plan ist aufgegangen. Beruflich hat Guggenberger selbst keine anderen Pläne mehr. Er will in Stammheim bleiben, "wenn es sein muss, lebenslänglich".

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