Von Juliane Reichert
Und das ist kein geheucheltes Verständnis. Die Zahl der Philosophie-Studierenden geht zurück, die der Lebensberatungen steigt. Weil wir mit Gewissheit Geld verdienen wollen und das Scheitern unserer Ansprüche gerade einmal eine gute Ausgangsposition ist, um mit noch mehr Anlauf zu Scheitern. Selbstverwirklichung ist ja auch so etwas wie Religion - nur eben ohne Gott.
Und gleichwohl Religion in der so oft zitierten „Generation y" nicht sehr sexy ist, ist doch zu beneiden, wer sie hat. Da gibt es ein Ganzes, das hat auch noch einen Geist und spendet Garantie - einen Grund eben. Das ist nicht schlecht - und mehr als die meisten Berufe, Beziehungen und Brustoperationen zusammen zu bieten imstande sind. Schlecht wird es allerdings, wenn die Religion so ausgelegt wird, dass sie all das gar nicht mehr möglich macht. Oder wenn sie das Überleben der anderen verunmöglicht - wie beispielsweise jüngst in Paris
Dasein mit DekorUnd nicht nur da - klar. Im Internet kann man bislang nur den „Slavery Footprint" machen, anhand dessen errechnet wird, wie viele Sklaven für uns arbeiten. Das ließe sich ja ausdehnen. Natürlich stirbt jemand, der in Zhongshan unsere Jeans gebleicht hat, nicht direkt, im Blick auf die Herstellung unserer Smartphones können wir den „Ich-verstehe-ja-nichts-von-Technik"-Karte ziehen und dass unsere Banken in die Waffenindustrie investieren, kann die Schuld meines Dispo-Kontos ja wohl nicht sein.
Dass das nicht nachhaltig ist, wissen wir alle. Die einen wollen sich in einer attraktiven Position eines erfolgreichen Konzerns mit Aussicht auf viele Geschäftsreisen verwirklichen, die anderen in den Produkten, die ein solcher Konzern herstellt. Manche im Werbungssektor, der suggeriert, dass dieses Produkt der definitive Dekor des Dasein ist, und manche in Protesten gegen den Konzern. Das ist alles nicht gut, aber es ist ein Dialog.
Im Café mit SartreDie bisher bekannten Täter des Terroranschlags vom 13. November sind genauso alt wie ich und fünf Jahre jünger. Mit 25 habe ich tags im Nietzsche-Seminar gesessen, war abends in Bars und im Urlaub in Paris, weil ich in Sartres Lieblingscafé „La Flore" sitzen und nachdenklich gucken wollte. Das ist zugegebenermaßen nicht sehr politisch. Aber geschadet hat es vermutlich auch keinem. Meine Probleme lagen vielleicht in Heideggers Metaphysik oder Schellings Ästhetik-Begriff und, wenn´s mal richtig politisch werden sollte, im Protest gegen Studiengebühren.
Vieles ist mir ein wenig zu wichtig und für meine Freunde würde ich viele unvernünftige Dinge tun. Aber es wäre mir nie eingefallen, für irgendetwas mein Leben zu lassen. Davon, meine Umwelt zu zwingen, selbiges zu tun, ganz zu schweigen. Die Vorstellung, dass eine Sache so wichtig ist, dass man sich aus der Wahrnehmung derer zu eliminieren bereit ist, ist ziemlich absurd. Das wäre ja, als würde man so tun, als wäre man nicht.
Immer sagt irgendwer wasWenn man sich das Leben in Neukölln so ansieht, so tut man da ganz schön, als sei man. Man sitzt mit unfair produzierten Macbook über einem fairen Kaffee und twittert ein Foto von dem veganen Maron mit kandiertem Lavendel, die Nike-Fußspitzen sind auch mit drauf - #workinghard. Da ist die Sache mit dem ganzheitlichen Sinn ein bisschen ausdifferenzierter. Es gibt tausende Dinge, für die wir leben. Und die größte Kunst ist es, sie alle in nur einem Leben unterzubringen. Und immer sagt irgendwer was. Zu allem, vor allem aber über sich selbst. Weil wir uns doch so gern verwirklichen.
Aber ist es nicht so schön, dass wir dafür immer die anderen brauchen? „Die Hölle, das sind die anderen" ist doch ein bisschen einseitig. Sie sind unser einziges Korrektiv. Weil wir in unseren Wahrheiten aufeinander angewiesen sind, im Guten wie im Schlechten. Wir müssen uns sagen, wer wir sein wollen und wir brauchen die anderen, die uns dabei helfen, dazu zu werden.
Nur eines hat keinen SinnLeider sind wir auch darauf angewiesen, dass alle das verstehen - verstehen wollen. Das schöne an Dingen wie der Wahrheit ist nun, dass sie sich über kurz oder lang an sich selbst erweist. Über eine gemeinsame Sprache geht das ein bisschen schneller. Aber wer das Sprechen aufhört und das Verstehen verunmöglicht, nimmt nicht mehr teil. Der entwertet nicht nur alle anderen, sondern auch die eigenen Werte und die Frage nach dem guten Leben wird hinfällig. Weil die Antwort auf die nach dem Leben schon gefallen ist.
Wie Hannah Arendt einmal treffend sagte, überbrückt die Sprache den Abgrund zwischen mir und den anderen. Wer sprengt, statt spricht, gräbt an einem klaffenden Abgrund. Und der ist so ziemlich das einzige, was überhaupt keinen Sinn hat.